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Bayreuth: Bällade und Tragödie

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Bayreuth, Ende Juli Das fünfte Festspieljahr auf dem Grünen Hügel, dem die Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang vorstehen, schloß den Kreis der von Richard Wagner selbst zur Aufführung im Festspielhaus vorgesehenen musikdramatischen Werke mit dem „Fliegenden Holländer“ in der Inszenierung Wolfgangs und bot am zweiten Eröffnungsabend „Tsnnhäuser“ in teilweise' abgeänderter Besetzung und mit neuen Inszenierungseinzelheiten Wieland Wagners. Wolf-gang ist bislang der undankbare Teil der Erneuerungsarbeit zugefallen. Seine vermittelnde, dem Kompromiß nahe Art neigte von vornherein Werken wie „Lohengrin“ und nun dem „Fliegenden Holländer“ zu. Freilich wäre auch eine andere Lösung vorstellbar gewesen: Wieland, der kühne Erneuerer, hätte Opern der Jugendzeit seines Großvaters, die Werke der Verheißung, „radikal“ inszenieren und seinem Bruder die „Meistersinger“ des kommenden Jahres überlassen können. Auf diese Weise wäre unter dem festen, auch im Irren selbstsicheren Grfff Wielands eine gänzlich neue Inszenierungsarbeit für „Holländer“ und „Lohengrin“ zustande gekommen, während Wolfgang am konkreten „Meistersinger“-Nürnberg die Güte seiner Personenführung hätte erproben können. So aber kam es anders: Wieland errang mit der „Tannhäuser“-Inszenierung (hauptsächlich durch seine Korrekturen bühnenbaulicher und regielicher Einzelheiten des Vorjahres) einen eindeutigen Erfolg, während Wolfgang sicherlich heute schon über die Notwendigkeit entscheidender Umordnungen im pausenlos abrollenden „Holländer“ brütet ...

Die Hauptmängel dieser Premiere lagen auf szenischem wie auf dem Gebiet der Personenführung. Es geht nicht an. daß gerade im „Holländer“ vom Auftritt des düsteren Helden bis zum Schluß des ersten Aktes kaum etwas anderes geschieht als die Begegnung mit Daland. Die Mannschaft des schier dahergeflogenen „Holländer“-Schiffes bleibt unsichtbar. Allein das Heck des Schiffes, das auf einer Art Felsennase ruht, ist zu erkennen. Drei Personen kommen uns im ersten Akt vor Augen: Daland, der Holländer, und der schläfrige Steuermann. Im zweiten Akt steht Senta — Baudelaire sagt: „Ihr Typ trägt eine übernatürliche und schwärmerische Größe in sich, die entzückt und Furcht erweckt!“ — vor einem Massenkollektiv von Mädchen in der durchaus konkreten Spinnstube, deren gleichgerichtete Bewegungen uns beinahe mehr beanspruchen als die visionäre Kraft der Seemannstochter. Das pure Gegenteil zu all dem stellt das naturalistische Gehaben des Jägers Erik und des polternden Vaters dar. (Auch über den „Pilotenanzug“ des Holländers wäre noch zu streiten!) Im letzten Bild schließlich gemahnen die miteinander tanzenden Seeleute an vervielfachte Fafner und Fasolte. Auch will es uns nicht recht in den Sinn, wieso Senta langsam geradeaus zum Meer hinabschreiten kann, ohne durch diese ihre Handlungsweise Gegenaktionen hervorzurufen. Das „Hüpfen“ des „Holländer“-Schiffes, das das Auftakeln symbolisieren soll, nimmt dem Zuschauer die Vorstellung von der ungeheuren statischen Kraft des Unerlösten. Die auch durch die Musik charakterisierte Vereinigung Sentas mit dem Holländer im Jenseits trat in keiner Andeutung zutage.

Die Venusberg-Szene des „T a n n h ä u s e r“ gehört in Wielands Gestaltung nunmehr zum stärksten des modernen Theaters überhaupt. Die Ekstase hat ihre vollgültige Ausdeutung gefunden. Der Kontrast des Anfangsbildes zur Schlußszene, die Richard Wagner in ihrer Erlösungssicherheit „stellvertretend für die gesamte Menschheit“ aufgefaßt haben wollte, ist bezeichnend für die Illusionskraft, deren die Bühne von heute mit der Lichtorgel (die freilich von keinem Al-fresco-lnszenator geführt werden darf) und mit den vielen Wundermaschinen fähig ist, wenn die Visionen des Verantwortlichen von seinen erworbenen Kenntnissen gestützt werden. Die Waldlichtung im zweiten Bild hat nun Kugelbäume erhalten, die im letzten Akt entlaubt und starr ihre Zweige gegen Himmel strecken. Der Einzug der Gäste auf Wartburg leidet nun nicht mehr an der im Vorjahr konstruierten Aufstellung, die neue Verteilung des Gleichgewichtes im Szenischen dieses Aktes läßt nun auch eine akustisch bessere Position der Elisabeth zu. Kurz und gut: es findet sich nicht eine einzige die Einheit des Geschehens störende Aktion. „Tannhäuser“ gehört heute an die Seite des „Parsifal“, den wir nach wie vor für die gelungenste Bayreuther Inszenierung halten.

In musikalischer Hinsicht ging die Einheit der Ensembles mit dem Ergebnis der Inszenierungen konform. Hans Knappertsbusch stellte mit seinen eigensinnig-schleppenden' Tempi so manche Partiturseite des „Holländers“ im wahrsten Wortsinne bloß. Daß Einzelheiten gerade durch epische Breite besonders eindrucksstark gelangen, lag an der technischen Reife des Orchesters, das keinen philharmonischen Vergleich hüben und drüben zu scheuen braucht, und am schier unverbrauchten Atem des Festspielchors, den Wilhelm Pitz vorbildlich erzogen hat. Die stärkste Persönlichkeit auf der Bühne blieb die Senta Astrid Varnays, die wie keine andere hochdramatische Sängerin seit Maria Müller in ihren Bann zieht. Leider war Hermann Uhde den Ansprüchen der Titelpartie stimmlich und ausdrucksmäßig noch nicht gewachsen. Seine entsprechendste Rolle hatte Wolfgang Windgassen im Erik gefunden, den er vollsaftig und als gleichberechtigten Gegenspieler auf die Bühne stellt. Der Daland ist auch in Wien eine klug gelöste Aufgabe des prächtigen Sängers Ludwig Weber. Josef Traxels Steuermann machte durch die lyrische Strahlkraft seines Tenors aufhorchen. Elisabeth Schärtels Amme betätigte sich als korrekte Vorsängerin in der Spinnstube.

Wäre Herta Wilferts an sich schönes Organ den Belastungen der Venus gewachsen und würde Gre Browenstijns intensiver Sopran dem bisweilen unruhigen Flackern entwöhnt werden, könnte man geradezu von einer Idealbesetzung des „Tannhäuser“ sprechen. Wolf gang Windgassen bringt für die Titelrolle weniger Dämonie als das ihm bereits großartig gehorchende Organ mit, das ihm das gefürchtete Finale des zweiten Aktes heldisch durchhalten ließ. Seine Leistung steht auf der Höhe der steilen Entwicklungsstufe von einem Sänger zu einem Singschauspieler, der sich voll Vertrauen einer klugen und permanenten Führung überließ. Dietrich-Fischer-Dieskau machte den Wolfram im Lyrismus wie im Zupacken zu einem Erlebnis. Volker Horns junger Hirt war der wirksamste Gegensatz zu dem Heer entfesselter Männer und Frauen, das Gertrude Wagner befehligte und dem Tänzerpaar Ehrengard von Dessauer und Roger George könnerisch protagonierte. Kein Lob ist für die überragende Dirigentenleistung Andre Cluytens' zu hoch, dessen spontanes Bündnis mit dem neuen Bayreuth sich bereits heute schon beispielhaft ausgewirkt hat.

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