Datenhighway und deutsche Geschichte

Werbung
Werbung
Werbung

In einer von Erfolgsdruck und digitaler Flut bestimmten Gegenwart erzählt Bayreuth-Debütant Jan Philipp Gloger seine Version des "Fliegenden Holländers“. Wie man ein Sujet neu und dennoch stimmig deuten kann, zeigt Stefan Herheims Inszenierung des "Parsifal“ am Grünen Hügel.

Mit viel Geld lässt sich einiges regeln. Zuneigung, noch dazu, wenn man sie nötig hat, um sich damit aus seinen eigenen Zwängen zu lösen, kann man damit nicht kaufen. Um sie muss man ringen. Diese Botschaft will Jan Philipp Gloger mit seiner Inszenierung von Wagners "Der fliegende Holländer“, den er dabei gleich in die Gegenwart transferiert, überbringen.

Anstelle des Meeres eröffnet ein Datenhighway die Szenerie, schließlich, so der Regisseur, sei die Bedrohung durch die Daten durchaus vergleichbar mit jener durch die Natur, worauf man ebenfalls kaum Einfluss habe. Auch von Spinnrädern keine Spur, dafür Mädchen, die, beaufsichtigt von Mary (unauffällig Christa Mayer, die so etwas wie eine Vorarbeiterin oder Abteilungsleiterin ist), emsig dabei sind, Ventilatoren zu verpacken, die offensichtlich von Sentas Vater Daland (wortdeutlich, betont seriös Franz-Josef Selig) im großen Stil produziert werden.

Holländer im grauen Zweiteiler

Verständlich, dass sich ein so erfolgreicher Geschäftsmann nicht einen Hausarbeiter, wie Erik (durchschnittlich Michael König) hier dargestellt wird, als künftigen Schwiegersohn wünscht. Schon eher einen inmitten eines Datenhighways stilgerecht im grauen Zweiteiler mit schwarzem Trolley und viel Geld anreisenden Bürokaufmann, wie Gloger den Fliegenden Holländer sieht. Ihn gibt, durchaus rollendeckend, Samuel Youn, der kurzfristig in diese Produktion eingestiegen ist. Bekanntlich wurde beim ursprünglich vorgesehenen Evgeny Nikitin nach seinem Engagement ein Hakenkreuz-Tattoo bekannt, was die Festspiele veranlasste, ihn unverzüglich zu feuern. Die Festspielleitung musste in diesem Zusammenhang auch herbe Kritik einstecken. Dazu kommt, dass mittlerweile kolportiert wird, das vermeintliche Hakenkreuz sei in Wahrheit ein achtseitiger Stern mit Drachen und Schwert … Ob Nikitin, wie aus den Proben durchgesickert ist, eine differenzierter gestaltete, tiefenschärfere Titelfigur gegeben hätte, muss damit Spekulation bleiben.

Exzellent jedenfalls der Steuermann von Benjamin Bruns, der bald zum Werbemanager für Ventilatoren wird, während die Matrosen zu Verkäufern für dieses Produkt mutieren. Dass in Wagners Sujet auch eine Liebesgeschichte eingepackt ist, wird freilich nicht vergessen. Auch wenn sie sich hier (Bühne: Christof Hetzer) meist inmitten von Pappkartons abspielt und Senta (vokal souverän, ebenso darstellerisch überzeugend Adrianne Pieczonka) ihren Wunschmann zuerst als Pappfigur kreieren muss.

Entschädigt wird man für diesen zumindest eigenwilligen Erzählfluss, bei dem der Erlösungsgedanke in den Hintergrund rückt, durch das fabelhafte Musizieren im Orchestergraben. Kontrastreich, bis ins Detail überlegt fächert Christian Thielemann die Partitur auf. Er ist den Sängern ein idealer Begleiter, lässt einem mit seiner ausgeklügelten Tempo- und Klangdramaturgie nicht nur einmal den Atem stocken. Ein Musterbeispiel für packendes Musiktheater, das auch entsprechend umjubelt wurde, während es für die Inszenierung auch Buh-Rufe gab.

Spannender "Parsifal“

Dass man ein Sujet sehr anders und dennoch stimmig deuten kann, zeigt Stefan Herheim mit seinem vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte aufgerollten, spannenden "Parsifal“, bei dem diesen Festspielsommer ein prominenter Bayreuth-Debütant am Pult steht: Philippe Jordan, Musikchef der Pariser Oper und designierter Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Wenngleich er nicht über die Erfahrung Thielemanns am Grünen Hügel verfügt, noch nicht über alle Details der spezifischen Bayreuther Akustik Bescheid wissen kann, beeindruckte, mit welcher Souveränität er diese Partitur in eben diesem Ambiente auslotete, wie selbstverständlich er die Protagonisten, angeführt von Kwangchul Youns markantem Gurnemanz, Burkhard Fritz’ untadeligem Parsifal und Susan Macleans dramatisch akzentuierter Kundry, zum stimmigen Ensemble formte.

Ein überzeugender Bayreuth-Einstieg, was gewiss nicht ohne Folgen bleiben wird.

Weitere Termine

12., 18., 24. August ("Holländer“); 11., 16., 22., 28. August ("Parsifal“)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung