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Playmobil-Männchen und Stöckelschuhe

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Seit 1951 fehlte die große Alternative zu Wialand Wagners epochalem „Parsifal“. Bayreuth blieb sie schuldig, als dort im letzten Sommer nach 25jährtger Spielzeit der klassischen Inszenierung ein neuer Anlauf zum Sprung über den Schatten Wielands genommen wurde. Das gravierende Ereignis fand jetzt statt, fast zehn Jahre nach dem Tod des Wagner-Enkels, auf der Bühne seines „Winter-Bayreuth“, in Stuttgart. Götz Friedrich realisierte den „Parsifal“ des neuen Maßstabs, an dem kein Regisseur mehr vorbeikommen wird, einen „Parsifal“ der großen Herausforderung zur neuen Alternative, die mit Sicherheit lange auf sich warten lassen wind.

„Revuegirl beschwört den Mutter-komplex“ oder „Parsifal erlegt das Krümelmonster“ könnte boahaft darüber schreiben, wer Götz Friedrich übel will (und deren gibt es nicht wenige). Es wäre sogar richtig gegenüber einer Kundry des zweiten Akts mit Stöckelschuhen und im Trikot unter dem präsentierfreudig auseinandergeschlagenen Seidenmantel, es träfe zu angesichts des toten Schwans im heiligen WaHd. Nur wäre es aus dem Zusammenhang gerissen und lediglich die hämische Einladung zur gefälligen Fehlinterpretatibn.

Erheblichen Anteil am Erfolg dieses erregenden Konzepts hat Günther Uecker als Bühnenbildner. Er arbeitet weniger mit seinen charakteristischen Nägeln (dies geschieht nur in der Klingsor-Szene, wo sich gleichsam die Erde öffnet wie der Leib einer eisernen Jungfrau), sondern mit drei Bühnenebenen. Die

vordere — zwei Keile zwischen den Bühnenrahmen — vermittelt das reale Geschehen, die zweite die Er-scheinungs- und Visionswelt und die dritte reflektiert als Spiegelfläche über der gesamten Bühne das eigentliche Unsichtbare, wie etwa den lebend aufgebahrten Titurel. Den Gralswald markieren weiße Stäbe, wechselnd angeleuchtet...

Bei den Gralsszenen meidet Götz Friedrich den obligaten Kreis, placiert Amfortas und die Ritter im ersten Akt nach dem Vorbild von Leonardo da Vincis Aibendimalhl und teilt ,im dritten den Ohor in zwei Blöcke: Die Ritterschaft, dem Regisseur ohnehin suspekt, ist gespalten. Friedrichs Regie führt die Mission Parsifals konsequent aus. Durch Mitleid wissend — das bedeutet für ihn nicht die plötzliche Initialzündung des Kuindry-Kusses... Mitleid und Wissen stellen sich nicht gleichzeitig ein. Parsifal wirkt an der Gralslhandlung nacht als Statist mit. Das Mitleid übermannt ihn, wenn die Ritter egoistisch und ohne Mitgefühl vom siechen Amfortas die Gralsenthüllung fordern, ihr eigenes Lalbsal auf Kosten eines Leidenden.

Der mit allen Mitteln des blutvollen Theaters operierende Götz Friedrich sieht auch nicht ein, warum im „Parsifal“ an der richtigen Stelle nicht gelacht werden darf. Er investiert eine Comic-strips-Episode in die Klingsor-Szene. .Außen wachsendes Getöse und Waffengeräusch“ schreibt Wagner in der Regieamvei-sung vor, wenn Klingsor die Gralsritter verspottet Die „betörten Eigenholde“ heißt es in seinem Text,

„Wie übel den Tölpeln der Eifer gedeiht! Dem schlug er den Arm — jenem den Schenkel!“ Da zockelt über die Visionsebene eine Kompanie lädierter Ritter wie lebensgroße Playmobiil-Männchen, einer ohne Kopf — Kasperlfiguren in schimmerndem Metall. Welchem Regisseur ist die Möglichkeit einer solchen Szene bis jetzt aufgegangen?

Dem szenischen Konzept entsprach in jeder Phase die musikalische Aufbereitung durch Silvio Varviso. Klanglich entmystifiziert, spielte er einen dramatisch straffen, unzere-moniösen „Parsifal“, auch bei breiten Tempi schlank, niemals schleppend. Vor allem in der Blumenmädchenszene ging Varviso ganz auf Friedrichs Idee einer von Klingsor inszenierten Show ein (die Mädchen steigen aus verspiegelten Luken, agieren im Trikot mit Fächern aus Blumen-

blättern) und musizierte nicht mit impressionistischem Parfüm, eher etwas salopp, fast in Richtung Blues.

Götz Friedrich will kein Startheater. Es sang im wesentlichen das Stuttgarter Hausensemible. Als Kundry gastierte Eva Randovä, die ihre Bayreuther Leistung vom letzten Sommer weit überbot. Parsifal war der aus Finnland stammende Schwede Peter Lindroos: ein Außenseiter, im Typ ganz der Vorstellung von einem Kaspar Haiuser entsprechend. Hubert Hofmann war ein kerniger, aktiver Gurnemanz, Raymond Wo-lansky ein in der Scbmerzensgebär-de sich aufbäumender Amfortas., Hervorragerad Klaus Hirte als Klingsor: Der schwarze Magier mit großen Spiegeln an den Händen, darf endlich agieren, die Bühne beherrschen, seine Künste zeigen.

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