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Der Grazer Parsifal

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Die heurige Spielzeit hat mit dem völlig neuinszenierten „Parsifal“ Richard Wagners einen unerwarteten Höhepunkt erreicht. Unter dem Einfluß der Bayreuther Renaissance gingen Operndirektor Andre D i e h 1 und der Ausstattungschef Heinz Ludwig (den Graz nun leider an Düsseldorf verliert) daran, das Werk von Grund auf — voraussetzungslos gewissermaßen — neu zu denken. Seit Jahrzehnten gab es in Graz immer wieder — manchmal mit ein paar Jahren Unterbrechung — den österlichen „Parsifal“. Wenn man der heurigen Neuinszenierung mit gemischten Gefühlen entgegensah, so deshalb, weil seit vielen Jahren die hiesige „Parsifal“-Interpretation festgefahren und im Traditionspathos erstarrt war. Von all der gewohnten, allerdings nur stöhnend ertragenen szenischen und darstellerischen Gebrauchtware, die alle Jahre wieder vom Dachboden des 19. Jahrhunderts geholt wurde, fehlt diesmal jede Spur: entschlackt, geläutert, befreit von allem Symbolkram, fast ohne Requisit, aufgebaut nur auf die künstlerische Persönlichkeit der Interpreten und die virtuose Handhabung der Scheinwerferapparatur, die die Bühne bemalt — so bietet sich der Grazer „Parsifal“ 1956 in kühner Konzeption dem Beschauer dar. Und er ist — zumindest auf der Szene — kaum wiederzuerkennen: eine schräge Scheibe, deren Drehung im Verein mit beweglichen Projektionen die „Wandeldekorationen“ ersetzt, 'der Zaubergarten ohne Versatzstücke, nur mit Licht (allerdings etwas zu spartanisch) suggeriert, mit Hilfe des Balletts tänzerische Auflösung der Blumenmädchenszene, wobei der Chor im Orchester postiert ist, ein Wald von Bündelpfeilern in der Gralsburg — auch hier jede Ueberladung geflissentlich vermieden; desgleichen das Spiel aller Darsteller, insbesondere die elementare Mimik der Kundry Marianne R ad e v s, ergriffen und echt, reduziert auf die sinnfällige Gebärde; nichts mehr von der Peinlichkeit bürgerlichen Religionsersatzes, hohe Schlichtheit, künstlerischer Ernst und vor allem eines: Intensität. Diese geht in erster Linie vom Pult aus. Dort steht ein Meister: Lovro von M a t a c i c. Seine Persönlichkeit faßt alle Mitwirkenden mit weitausholender Geste zusammen und zwingt sie zu jener äußersten Hochspannung, aus der allein der Funke auf den Zuhörer überspringt. Selten hat man das Orchester in der Grazer Oper so sauber und so blühend musizieren gehört.

Das Ballett tr.it auch heuer mit einem eigenen Abend hervor: neben dem in fast ritueller Feierlichkeit getanzten Bolero Ravels sah und hörte man als österreichische Erstaufführungen das Katzenballett „Les demoiselles de la n u i t“ von Jean F r a n ? a i x und das frühe Werk Gottfried v. Einems „Turandot“. Das Ballett von Francaix ist nach einer Idee von Anouilh gestaltet und musikalisch von delikater Raffinesse, voll französischen Charmes und leiser Poesie. Einems fesselnde „Turandot“ besticht durch barbarische Rhythmen, erregende Bläser- und Sehlagzeugstellen, aber auch durch einige schöne Lyrismen, in manchem Schon den heutigen Einem-Klang vorwegnehmend.

Ein Musikvereinskonzert brachte den „Zaubertrank“ von Frank Martin nach Graz. Dieses wundervoll keusche und herbe, zarte und strenge Oratorium von der immerwährenden Liebe Tristans und Isots erfuhr unter dem begabten Miltiades Caridis durch den Grazer A-cappella-Chor mit Magda Laszlo, Julius Patzak und Walter Berry in den wichtigsten Solopartien eine respektable und vor allem tief berührende Interpretation.

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