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Wieland Wagners neuer Stil

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Bayreuth, im August 1952

Di Musik im Gesamtkunstwerk Richard Wagners siegt, weil sie die stärkste Symbolträgerin ist. Die Träume und Schmerzen des „Tristan" treiben auf dem Meer des Wagner- Orchesters: „Das Schiff ist das dramatische Gerüst und die vom Winde geblähten Segel sind der nun befreite Ton und Gesang“ (Richard Wagner an Devrient). Wieland, der „Schmied“ des neuen Bayreuth, weiß um die rechte Deutung dieser Worte. Hier die unendliche Melodie, da die enge, endliche Welt des Gegenständlichen! Licht und Raum, Farbe und geometrische Form, Mensch und Symbol — mehr braucht die unverwelklich geniale Musik nicht, zu ergreifen, zu erschüttern. Die Ellipse, Sinnbild unstillbarer Sehnsucht, löst dem Bühnenbildner das Grundrißproblem. Sie beläßt den Zuschauer nicht „draußen“, wenn auch jenseits der Rampe. Sie setzt seiner Raumphantasie keine Grenzen. Licht in mannigfacher Farbtönung i6t das lapidare Mittel dieses Regisseurs. Der Kontrast zwischen lärmender Tageswelt und dem Menschenpaar wird rein akustisch gelöst; der Seemannschor, dessen Klang in das Zeltgemach dringt, läßt das konventionelle Aufreißen des Vorhangs am Schluß de6 ersten Aktes entbehren. Rotes Faekellieht durchschneidet den Bühnenraum; dann ist es Nacht und das Nachtgespräch wird von keiner üblichen Bühnengeste, von keinem hohlen Brauch gestört. Die Vision Tristans im Schlußakt erhellt ein Sonnenstrahl. Dämmerung umfängt die „Tagmenschen", die ans Todeslager eilen, Isoldens Verklärung läßt die Silhouetten der anderen ins Dunkel sinken. Eliminierung ist ein lapidarer Bestandteil von Wieland Wagners Bewegungsregie: was nur möglich i6t, wird an Gebärde eingespart; Markes Gefolge im dramatischen Kulminationspunkt der Handlung fehlt, der Kampf mit Melot hat durch die Ausmerzung „realistischer“ Details Überzeugungskraft.

Wieland Wagner huldigt keinem Ismus. Er 16t mit den Werken, mit den Regievorschriften seines Großvaters, mit der Entwicklung der Wagner-Bühne innerhalb der letzten dreißig Jahre voll vertraut. Er zieht folgerichtig Kon sequenzen. Er sieht die Möglichkeiten des Lichts, die seinem Großvater fremd bleiben mußten, und nützt sie. Er sieht die Unmöglichkeit, einem Publikum, das zu einem Großteil aus jüngeren Menschen besteht, durch seine Regietaten orthodoxe Wagner-Ästhetik zu predigen, die wohl in den Büchern steht, jedoch' nur ein Mittel von vielen bleibt, dem Zweck des Gesamtkunstwerks zu dienen, und berücksichtigt diese neue Sachlage. Ęr hat den Mut, vom Festspielhügel aus — sozusagen ex cathedra — die zeitlich bedingten und begrenzten Vorschriften seines Großvaters auseinanderzuhalten von den Forderungen, die man an ein musikalisches Kunstwerk vom Range der Wagner-Opern immer und somit in der kulturkrisenhaften Gegenwart erst recht zu stellen hat. Wir haben die Regieideen dieses phantasiebegabten Wagner- Enkels im Falle des neuen „Tristan“ ein wenig ausführlicher beschrieben, weil sie uns typisch für die Deutung des Wagner-Werkes erscheinen. Wir können feststellen, daß die Personen des „Ringes“ psychologisch scharf Umrissen sind, daß man an allen vier Abenden den Einheitsschauplatz wahrnehmen kann, eine gewölbte Fläche, die nach den Seiten abfällt. Sie tritt beispielsweise im dritten „Walküre'-Akt ohne Kulissenaufbau direkt in Erscheinung. Der zweite „Siegfried'-Aufzug enträt jeglicher Konkretisierung des Waldes und trotzdem: Lichtwirkungen und szenische Andeutungen vermitteln dem Zuschauer die richtige Vorstellung. Folgerichtig ist die Bühne bereits während der Aktvorspiele offen: Mime grübelt am Amboß, klingt das Fluchmotiv auf, erscheint Alberich. Die Schlußszene der „Götterdämmerung1' erhält durch die Modulationen des Lichts unglaubliche Spannung: das Mondlicht wechselt beim Trauerzug auf düsteres Rot; wenn Hagen vor dem erhobenen Arm deß Toten zurückschreckt, wird un6 durch die Beleuchtung die Größe d s Augenblicks zutiefst bewußt. — „Parsjfal", die revolutionäre Tat der vorjährigen ersten Premiere, wird heute auch von den grundsätzlichen Verpeinern der Wieland-Wagner- Regie bereits milder beurteilt, ein Beweis mehr dafür, daß die Zeit für diesen „neuen" Wagner arbeitet. — Bezeichnend für die sinnvolle Planung des Bayreuther Repertoires ist die Tatsache, daß die „Meistersinger von Nürnberg" (deren Inszenierung nicht in der Hand Wieland Wagners lag, weil es hier um keine Stilprägung, sondern um eine Stilerhaltung gehen mußte) zugunsten des „Lohengrin", den Wolfgang, der jüngere der Wagner-Enkel, inszenieren wird, aus dem Werkkrei6 der nächsten Jahre scheiden werden.

Eine mindestens ebenso große Tat, wie die lapidare Inszenierungsidee der jungen Wagners, ist die systematische Heranbildung eines Bayreuther Festspielensembles, dessen Sänger aus aller Welt, dessen Musiker aus vielen Städten Deutschlands Zusammenkommen. Es kann hier nur ad exemphim auf die großartig intensive deutsche Singschau6pielerin Martha Mödl (Isolde, Kundry, Gudrune), auf den elementaren chilenischen Tenor Ramon Vinay (Tristan), auf den zwielichtigen amerikanischen Baßbariton George London (Anfortas), auf den besten Mimen Paul Kuen, auf den prachtvollen Bassisten Josef Greindl (Hagen, Fafner), auf die Brünhllde der Amerikanerin Astrid Varnay verwiesen werden.

Herbert von Karajan war der Rechte für den „Tristan": nirgends ein forcierter Klang, niemals ein verzeichnetes Tempo. Sensible Feinfühligkeit herrscht auch in der Ekstase. — Joseph Kejlberth, erstmalig Bayreuther „Ring'-Dirigent, wußte tempomäßig zu straf-fen, ließ keine falsche Pathetik aufkommen und präzisierte den dramatischen Ablauf des Geschehens. — Han6 Knappertsbusch, dem im „Pareifal" Phrasierungsbögen von größtem Ausmaß gelangen, befremdete in der „Meistersinger'-Premiere durch manieriert langsame Zeitmaße, die von den Stimmorganen der

Solisten Unmögliches verlangten. Jedem der drei Dirigenten waren die seiner Mentalität entsprechenden Partituren anvertraut — eine Tatsache, die auch für die musikalische Sachkenntnis und Kompetenz der jungen Generation im Hause „Wahnfried" spricht.

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