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Wieland Wagners neuer „Tristan“

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Man muß Wieland Wagner Achtung zollen. Immer wieder schlägt er neue Funken aus dem Stahl des alten Barden, seines Ahnherrn Richard. — „Tristan und Isolde“, dieses Spiel von Tod und Liebe — man glaubt es zu kennen. Liebe , ist Schmerz und nur in Nirwana zu verwirklichen. Doch geht uns dieser psycho-logisierende Traum noch an? Wieland Wagner mag das Brüchige der romantischen These gespürt haben: Er ließ sich von Siegfried Melchinger einen grundlegenden Programmheftaufsatz schreiben, der die „Tristan-und-Isolde“-Handlung aufs neue untersucht, und er selber errichtete eine Gegenwelt aus Bildzeichen, abstrakter Plastik vergleichbar, etwa der von Henry Moore, und wie jene primitiven Formen verwandt — also mit der Beschwörung der Moderne zugleich auf jungfräuliche Kulturen hindeutend. Auf der Schnittlinie von beidem entstanden zwei neue „Tristan“-Leitgedanken: Die Oper erfährt eine direkte Ableitung von den geistlichen Spielen („Autos sacramentales“) Calderons, sodann: Die Schopenhauersche Weltverneinung ist auf das Werk nicht mehr anwendbar. Es geht nicht mehr um den Weg vom Leben zum Tod, sondern um den entgegengerichteten, vom symbolischen Totsein — dem Sein ohne Liebe — zum Leben. Heilloses liegt noch über der ersten Szene: Isolde tritt ganz in Schwarz auf, Brangäne wie ein Todesengel. Der Bug des Schiffes, zugleich auf eine Naturform, einen Baum etwa, hindeutend, ist himmelwärts gewandt von männlicher Selbstsucht. Im zweiten Akt werden Tristan und Isolde eins mit einem berückenden Bildzeichen, das die Kritiker zu tiefsinnigen Deutungen veranlaßte: Sie sahen darin eine „gigantische Grabstelle“ oder gar eine „Eule mit alles erkennenden Augen der Nacht“, nur eben nicht das, was es wohl war — eine Chiffre für die Umarmung. Die Entsprechungen der Zeichenwelt wirkten auf die Inszenierung ein und härteten den Boden für das leidenschaftlich bewegte Spiel, eine überzeugende Kontrapunktik von ideeller und persönlicher Sphäre. Ekstase ist mit höchster Bewußtheit gestaltet.

Dieses überhaupt typisch wagnerische Verfahren prägte auch die überragende Leistung der Birgit N i 1 s s o n als Isolde, der ihr Partner, Wolfgang W i n d g a s-s e n, nicht an Kultur und spezifischem Wagner-Ausdruck, wohl aber an Frische und Reichweite der Mittel nachstand. Kerstin Meyer als zeitweise etwas tremulierende Brangäne und Eberhard Waech-t e r s gesanglich makelloser Kurwenal wurden zu Kernfiguren der umdeutenden Regie. Sie sind die Vertrauten ihrer Herrn und spielen temperamentvoll aus, was die Edlen nur verschlüsselt im Linienmuster des Gesangs kundgeben dürfen. Josef Greindl stattete den König Marke in der Deklamation und Darstellung mit differenzierter Würde aus. Am Pult gab Karl Böhm sein Bayreuther Debüt: Mit seinem klangintensiven Musizieren hellte er das Reich dieser nächtlichen Liebesbeziehung auf, im Duft der nahezu impressionistischen Zeichnung die Möglichkeit einer poetischen Existenz einräumend, an die wohl auch Wieland Wagner gedacht hat, als er verlauten ließ, er habe das Werk von der „Liebeserfüllung“ her inszeniert.

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