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Wo blieb des Märchens Hintersinn?

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Shakespeares neben dem „Sturm“ rätselhaftestes Spätwerk heißt zu Recht nicht „ein“, sondern „Das Wintermärchen“. Es ist kein Zufallsprodukt nachlassender Bühnenbeherrschung, sondern eine Symboldichtung höchster und gedankenklarster Einsicht. Die Geschehnisse der äußeren Handlung muten wirr und uneinheitlich an. Aber sie sind es nur deshalb, weil sie von einer anderen, dahinter liegenden Handlung bestimmt werden. Der Winter ist für Shakespeare, der hier dem Barock schon viel näher ist als der Renaissance, die Zeit des notwendigen Eingezogenseins, der erstarrenden Kälte, de scheinbaren Todes. Zugleich aber ist er die Zeit der Geduld, der wartenden Bereitschaft, des reifenden Samenkorns im zeitweiligen Grab. Die zwischen der ersten Handlung vom Ehezwist des Leontes, dem alle zerstörenden Terrorgericht, und der zweiten Handlung des Frühlingserwachens von Perdita und Florizel, die dann in die Auferstehung der totgeglaubten Gattin einmündet, verstreichende Zeitspanne hat hier eine dramaturgisch-symbolische Funktion. (In der hier besprochenen Aufführung des Burgtheaters verstand es die darstellungskräftige Intelligenz Sonja S u 11 e r s, diese kurze Zwischenrede zu einem Angelpunkt des Stücks zu machen.) Der Winter bricht herein, sobald das Vertrauen schwindet, sobald der Mensch weniger durch Schuld als vielmehr durch einen augenblicklichen Akt des Versagens an einer Seinsfülle irre wird, die Apollinisches und Chthonisches, christliches Lehenswesen, delphisches Orakel und provenzalischen Minnedienst zu integrieren wußte. Die sezierende Erkenntnis, das zerstörende Mißtrauen des Königs Leontes zerstört diese Einheit des Ursprungs. In der Naivität der Hirten, im langsamen Reifen, in der Verkanntheit des Lumpengewandes reift eine neue Generation zu neuer Erkenntnis. Durch Vertrauen wird die Welt wieder hergestellt, wird selbst der Tod besiegt. In den Bühnenbildern und Kostümen, die Ita M a x i m o w a für den ersten, in einem phantastischen „Sizilien“ spielenden Teil schuf, war diese Atmosphäre, diese Zwischen- und Hintergrundsv/elt des Werkes vorhanden. An „Böhmen“ versagte ihre Imagination. Das Böhmen der „schönen Madonnen“, das Böhmen der Wenzelsbibel, ja noch das Böhmen des Stifterschen „Witiko“, das Land des langsamen, demütigen Reifen* und Duldens hätte hier die Antithese brft*n müssen, das Winterland, Wie es Claudel jn der Prager Szene des „Seidenen Schuhs“ beschwor, aber unter keinen Umständen das Böhmen der „Verkauften Braut“. Vom rotweißWauen, korngelben Bühnenbild ließ sich dann auch alles in die Irre führen. Die Choreographie von Dolores H u b e r, die Smetana parodierende Musik Paul Angers und der Darstellungsstil der Schauspieler in den Nebenrollen. Josef G i e 1 e n, dem die Regie dieses Abends oblag, hatte schon im ersten, sizilianischen Teil nur den Vordergrund, nur die Handlung selbst inszeniert. Im zweiten Teil hielt er nicht einmal die dramaturgischen Zügel strenge. Er ließ Tanz und Balletthumor solange wuchern, bi* sich fast Langeweile einstellte, die erst wich, als Heinrich Schweiger (Autolycus, der Dieb) die Bühne betrat. Da war dann freilich Shakespeare wieder unbestrittener Regent des Abends. Daß alle Poesie des Dichters auch bei den beiden Schäfern lebte, versteht sich bei Hermann Thimig und Ernst Anders ja von selbst.

Die Hauptfiguren waren ersten Künstlern des Hauses übertragen worden. Restlos erfüllte Judith Holzmeister die Aufgabe der .Hermione. Kein Wunsch blieb offen. Auch Lieselotte Schreiner (Pauline) gab der Rolle, die ja während des Stückes mehrmals die Funktion wechselt, von der „Amme“ im „Romeo“ am Ende fast zur Brangäne wird, alle sprachlichen Nuancen. Viel weniger glücklich waren wir da schon mit Johanna Matz. Von diesem Zauberwesen Perdita, das durch sein bloßes Dasein eine Welt verwandelt, mag ihr manches eigen sein. Es teilte sich an diesem Abend kaum mit, weder in der wenig intensiven Sprachkraft noch in der Gestaltung selbst. Problematisch auch Wilhelm B o r c h e r t, den wir so schätzen und so gern ohne Einschränkung loben würden. Dieser König Leontes ist ein Othello, den die Eifersucht, das ihn zerstörende Mißtrauen überfällt wie ehr Elementarereignis. Er aber war überlegener, 'fast- ntrigaanterGrandwigneur. von Anbeginn. Und das machte die Wandlung unglaubhaft. Sie war nicht die Erlösung von einem plötzlich hereingebrochenen Wahn, Erwachen aus winterlicher Starre, sondern ein persönlich-moralischer Akt ohne Elementarkraft. Fred Liewehr gab dem Böhmenkönig seine bewährte Bonhomif, Heinz W o e-s t e r s dem Camillo die vornehme Besorgtheit des großen, Manfred Inger dem Antigonus die des kleinen Mannes* Nicht alle Nebenfiguren entsprachen dem Burgtheater-Niveau, vor allem haperte es immer wieder im Sprachlichen!

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