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Modell einer Gewaltherrschaft

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Shakespeare hat in allen seinen Königsdramen Tendenzstücke in des Wortes bestem Sü>n geschaffen. Sie dienten nicht nur dem herrschenden Hause der Tudor, das die Epoche der das Land zerreißenden spätfeudalen Fehden beendete und dem damals zeitnotwendigen zentra-listischen Absolutismus die Grundlage schuf, zur höfischen Verherrlichung. In den Generationenfolgen der Plantagenet, Lancaster und York, die von Richard II. an als ein inneres Ganzes gesehen werden wollen, spiegelt sich seine eigene Geschichtsphilosophie: Sie verherrlicht nicht den starken Mann, den „Weltgeist zu Pferde“, sondern den schlichten Vollstrecker eines göttlichen Ordnungsauftrags, dem das letzte Wort gebührt, mag er nach dem Ende der genialischen Dilettanten Brutus und Cassius Octavian heißen, mag er nach dem schuldhaften Versagen Hamlets als Fortinbras die Szene beherrschen oder mag er hier, in „R i-chard III.“, als kaum überdurchschnittlicher Graf Richmond, das mittelalterlich fromme Amen sprechen. Man mißversteht Shakespeare, wenn man ihn, bestochen durch die eindringliche Wucht seiner Charakterzeichnung, für einen Individualisten hält, den der geniale Einzelne am meisten interessierte. Er schreibt kein Charakterdrama, sondern eine weltfromme Chronik, die ihren Sinn vom Ganzen her bezieht, in das die Menschen eingebettet sind. Und dergestalt ist er dem „Welttheater“ näher, als man es zur Zeit des Geniekults je zu sehen vermochte. Leopold Lindtberg, der das Werk im Rahmen des Königsdramenzyklus des B u r g t h e a t e r s inszenierte, erkannte seinen erzählenden Charakter, seine gleichnishafte Form, sehr richtig. Aber er versuchte zuweilen, die Überzeitlichkeit dieser Moralität von der schließlichen Bestrafung des Bösen durch den Frommen in die ihrerseits zeitgebundene Modernität der Hitlerschen Gewaltherrschaft zu übersetzen. Und das verwirrte Publikum und Schauspieler. Zudem fehlte seiner Konzeption die letzte konsequente Widerspruchslosigkeit. Ein makelloses Symbol, wie es ihm wohl vorschwebte, bedürfte dann nämlich keiner Unterstreichungen und Gebrauchsanweisungen mehr. Es spräche durch sich selbst. Teo Ottos Bühnenbild blieb dem Grundgedanken der starren welttheaterhaften Monumentalität im wesentlichen treu. Den Richard gab Heinrich Schweiger. Schade, daß man nicht die Zeit zu haben sehten, seine vorhandenen Nuancienmgs-mogiichkeiten1 noch gründlicher auszuschlafen: Er verband seine Höhepunkte (die Werbung Um Anna, den Marsch ins Feld, die Schlacht) durch Überleitungen deklamatorischer Art. Die Darsteller mit einem einzigen Auftritt hatten es in dieser Inszenierung am besten, wenn sie ihre Chance zu nützen verstanden, wie dies Sonja S u 11 e r (Anna) geradezu vollendet tat, wie es aber auch Fred L i e w e h r (Eduard IV.), Hans Thimig (Kanzlist), Günther H a e n el und Manfred Inger (Mörder) überzeugend verstanden. Wer mehrmals in der Handlung stand und gleichsam die Entwicklung mitspielen mußte, bedurfte schon des Könnens einer Eva t i 1 c h e r (Elisabeth), einer Judith Holzmeister (Margaretha) und Liselotte Schreiner (Herzogin) oder eines Erich Auer (Hastings), um nicht an tote Punkte zu kommen. Wolfgang S t e n d a r setzte als Richmond von der sprachlichen

Intensität her den notwendigen Gegenpol. Daß die Rachegeister ihren Fluch zu Richard, aber nicht zugleich auch die Verheißung an ihn richteten, ist ein Bruch im richtig angelegten, aber auch hier nicht ganz durchgeführten Regiekonzept. *

Man' sagt, daß Helmut Q u a 11 i n g e r in Deutschland demnächst den Richard III. spielen wird. Sein „Herr Karl“, den die Kammerspiele als Wiederaufnahme zeigen, ist, vielleicht im instinktiven Bemühen des Künstlers „gegen“ den konventionellen Raum des Amüsiertheaters anzuspielen, noch um einige Nuancen böser und kälter geworden als zuvor: eine Vorstudie für die Bonhomie des Teufels, den er darstellen wird. Ein kleines bißchen von einer kalten Herrschernatur fehlte Ernst Waldbrunn, dem hoff nungslos und unrettbar Liebenswürdigen, der am gleichen Abend den Generaldirektor Miller in Mo 1 nars „Eins, zwei, d r e i“ zu verkörpern hatte. Man vergißt, daß diese Komödie vom „Öl“, der zynisch-liebenswürdigen Menschenbehandlung, von der Käuflichkeit aller gesellschaftlichen Attribute einen unverkennbar satirischen Unterton hat, wenn man den

besorgten Pechvogel Waldbrunn agieren sieht. Aber man erinnert sich nachher daran, wenn man um sich blickt in Wiener Landen und sieht, wie aktuell dieses Stück der „zwanziger Jahre“ bei uns geblieben ist. Sehr gute Akzente setzten Gerlinde Locker und die beiden Sekretärinnen Dany Sigel und Rita Bünzli, wie auch die Herren Peter Gerhard und der täuschend echt aussehende Baron des Ernst N a d h e r n y. Erich Padalewski blieb seiner köstlichen Rolle des arrivierten Taxifahrers viel, sehr viel schuldig. Glänzend in der Regie Friedrich K a 11 i n a s die Perfektion der „freundlichen Gewaltherrschaft“ des Managertums von gestern und heute.

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