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Maeterlinck und Claudel

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In Maeterlinck und seinem Werk — Dichtkunst, Drama, Philosophie; Wissenschaft — verschmolzen Niederländisches und Französisches, Eigenständiges und Europäisches. Für eine Welt galten andere Maßstäbe als für die rationale Welt der Naturalisten. Er wußte um die irrationale Seinslogik, das letztlich Unerklärbare menschlichen Empfindens und Verhaltens. Die Realität als solche hatte ihm nichts mehr zu sagen. So kam sein Werk ganz vom letzten Unmittelbaren des Inneren her; der Erkenntnis des inneren Lebens entsprachen die inneren Dialoge. Dem Tragischen im kleinen Alltag, das man sonst kaum gewahr wird, galt seine Dichtung. „Muß man denn ewig schreien wie die Atriden, damit ein Gott sich zu uns niederlasse?“ In seinen Anfängen ein irrealer, fast surrealistischer Dichter, hatte Maeterlinck (1862 bis 1949) in Vorahnung des nahenden Weltgrauens das Thema des Todes und der Lebensangst in seinen frühen kleinen Dramen gestaltet. Mit ,.Peleas und Melisande“ kam die große Wende. Eine neue Welt tat sich ihm auf: An Stelle der existentiellen Angst trat die Liebe.

Univ.-Prof. Dr. Margarete Dietrich charakterisierte Wesen und Werk de Dichters in ihrem Einführungsvortrag. Proben aus dem Werk waren: das ergreifende „Mysterium der Gerechtigkeit“ („Gerechtigkeit ist das große moralische Mysterium im Menschen ... ist Mitleid, Großmut und Heldentum zugleich; sie bildet das Zentrum der Liebe“); der ebenso humorvolle wie tiefsinnige Nachruf „Zum Tod eines jungen Hundes“ und die gleichnishafte Betrachtung „Der Zorn der Bienen“, gelesen von Wilhelm B o r c h e r t, Peter Mosbacher, Erich Auer. Die nachfolgenden Dramenproben hatten leider nicht die gleiche Wirkung wie die Leseproben. Einige Szenen aus dem „Blauen Vogel“, mit verteilten Rollen gelesen, während die Musik Debussys die Stimmung untermalte, zeigten, daß diese Feerie, halb Traumspiel, halb Kindermärchen, gewiß eine der seltsamsten dramatischen Dichtungen Maeterlincks ist. Hier vermißte man zu sehr den visuellen Eindruck einer szenischen Realisierung. Anderseits geriet die Aufführung der satirischen Legende „Das Wunder des heiligen Antonius“, in der Maeterlinck mit beißendem Sarkasmus fast in die Nähe Bernard Shaws gelangte, ein wenig zu gemütlich. Der Dichter wollte hier das unwürdige Verhalten der Menschen von heute angesichts eines echten Wunders dartun. Der szenenwirksame Scherz erforderte aber doch schärfere, leicht stilisierte Konturen. Immerhin verdankt man der einmaligen Aufführung die Begegnung mit einem sonst nie gespielten Stück. (In den beiden Hauptrollen hervorragend Hermann T h i m i g als Heiliger und Alma S e i d 1 e r als naives Hausfaktotum.)

Eingeführt von Friedrich Heer, sprach Pierre Claudel über seinen Vater. In einem fast einstündigen, in einem rührenden Deutsch gehaltenen Vortrag rühmte er Paul Claudel als den Dichter einer großen Verheißung, dessen Werk in die Welt von heute mündet und immer mehr an Bedeutung und Wirkung gewinnt. Von Anfang an kündete Claudel in seinem Werk enthusiastisch und unermüdlich von der Schönheit der Welt und baute, in naher Verbindung mit dem Wirklichen, nach und nach ein harmonisches Universum vor uns auf, dessen inneres Gesetz der klare Geist ist. Dichtung als Eroberung der sichtbaren Welt ist lebendige, notwendige Tat und alles andere als eitles Spiel, „kein bloßer Luxus für den Geist, sondern Nahrun? für das Leben“, das wundervolle Abenteuer, das man ohne Hintergedanken von einem Ende zum anderen erleben muß. Ihr entspringt die Freude eines Menschen, der mit seinem Blick „der Schöpfung unermeßliche Oktave“ umspannt. Das große Thema Clau-dels ist denn auch die Freude, die das Herz des Menschen erst erlebt, wenn er durch das Fegefeuer der Leidenschaft und des Leidens gegangen ist. Claudel ist bis zur äußersten Grenze des Bösen vorgedrungen, um dessen wahre Natur zu ergründen, und erkannte: im Kampf gegen das Böse und den Zweifel 6iegt die Liebe und die Freude. Alle Werke Claudel sind Hymnen an die Freude.

Wunderschön die Parabel „Der Aufbruch des Laotse“ (gelesen von Hermann T h i m i g) und das dichterische Prosastück „Der Geist und das Wasser“ (gelesen von Helmut J a n a t s c h). Immer wieder bildet bei Claudel das Meer, das große, flüssige Element, Sinnbild des Geistes, die unermeßliche Einheit. Höhepunkt war die Lesung des Geistergespräches aus „Der seidene Schuh“ (Liselotte Schreiner, Hans T h i m i g, M o o g, Wolf), die wichtige Prager Szene, in der die Heiligen Dona Musica umgeben: Prag (neben Wien und Salzburg) als tönender, betender Kern eines werdenden Europa. Fred i e w <• h r. las zum Abschluß „Zum Lobe Österreichs*, Hymne auf das Österreich von einst, das die widerstrebendsten Völker, Stämme und Leidenschaften zu vereinen gewußt hatte.

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