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Claudel in Wien

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Nach zwanzig Jahren bringt das Burgtheater wieder einen Paul Claudel, sein auch im Raum der deutschen Sprache oft auf die Bühne gestelltes Mysterienspiel „Verkündigung“ L’annonce faite ä Marie. Die lange Zeit der Enthaltsamkeit, der Entwöhnung von Claudel, war, wie konnte es anders sein, keine schöpferische Pause. Der gesamte Apparat, der menschliche und technische Fundus der Burg erweist sich als außerstande, Claudel zu folgen, ihm Nachfolge zu leisten. Denn darauf käme es hier vorerst an. Claudel, der ruhmbedeckte Führer der neukatholischen Dichtung in Frankreich, ist ein herrisch-großer Meister. Er stellt dermaßen hohe Ansprüche an seine Gefolgschaft vor und auf der Bühne, daß das Publikum ihn gar nicht zu hören bekommt, wenn es der Schauspielerschaft nicht gelingt, ganz und gar demütig dienendes Organ seines künstlerischen Willens und seines Geistes zu werden!

Claudel will nämlich — und nur nüchterne Einsicht in diese Tatsache kann das oftmalige Scheitern seiner Stücke auf der Bühne erklären — Ungeheueres: Nicht mehr und nicht weniger als die Erneuerung des christlichen Dramas des hohen Barocks mit den Mitteln lateinischer Klassizität, aus den Kräften eines Gemütes und eines sehr eigenwilligen dichterischen Temperaments, das erschüttert wurde durch das Erlebnis vielhundertjährigen Unglaubens seines Vaterlandes. Sein unbarmherzig scharf- sehender Intellekt weiß: Dieses moderne Frankreich ist seit langem weithin abgefallen von dem, was es einst war, als Land der gotischen Kathedralen und der Scholastik, der Jeanne d’Arc und der mit dem Himmelsöl in Reims gesalbten allerchristlichsten Könige, Nation der Kreuzfahrer und des heiligen Ludwig … Also — so befehligt sich der Dichter, ein geistlicher Imperator, wie ihn Ludwig Derleth ersehnte — zwingen wir es zurück! Zeigen wir ihm in großen Bildern, was es war, was seine Aufgabe gewesen ist und immer sein wird: Zeugnis zu geben für Gottes Macht und Herrlichkeit, für das Wirken seiner Gnade im schuldhaften Gefälle der menschlichen Leidenschaften. Führen wir Frankreich, ja die ganze Christenheit, führen wir den Kosmos wieder in den Dienst seines Herrn zurück! Dann werden alle Dinge, vom Blatt am Baum, von der Feder des Vogels bis zur Perle und zum Menschenherzen neu beginnen, Gott zu preisen, sie werden licht, glänzend, durchsichtig werden. Eine neue Welt, wiedergeboren aus geistig-geistlicher Poesie, die zutieft Liturgie ist. Claudel wagt tum dies Äußerste: Liturgie, das überper- sonliche und objektive Sinn-Bild des Heilsgeschehens, des „Spieles“ Gottes mit den Menschen, einzuformen in das Werk seiner sehr persönlichen Kunst. Alle seine Gestalten und Probleme, Bilder und Gedanken, Verse und Worte sind Meditationen über die Geheimnisse der Liturgie, über die hohen Spiele Gottes und die Widerspiele des Menschen in dieser Welt.

Arme, kleine Schauspieler! In diesem Wien 1948. Sie haben sidi wohl redlich gemüht. Josef Friedrich Fuchs, der als Gast Regie führte, mag ihnen auch manche Weisung gegeben haben, den Anforderungen Claudels waren sie nicht gewachsen.

Es hat wenig Sinn mehr, zu klagen, anzuklagen. Der gewaltige Innenraum des Mysteriums, in dem sich das Wunder um Violaine, die Aussätzige, die Reine, begeben kann, wurde nicht erstellt, nicht geschaffen. So löste sich die Aufführung in einen Märchenbilderbogen auf, in dem die sehr erwachsenen und sehr ungläubigen Wiener Kinder nichts zu erspüren vermochten von der Leuchtkraft, von der Überzeugungsmächtigkeit des religiösen oder zumindest des dichterischen Wunders, das sich in ihm begeben sollte.

Das Burgtheater bringt eine Reprise des alten Volksstückes „Der Himmel voller Geigen“ von Rudolf Holzer. Das Leben Ferdinand Sauters, eines in Suff und Armut untergehenden, sehr wienerischen Volksdichters, wird hier als Exempel des Auf- und Unterganges eines Österreichers darzustellen versucht. Das Stück spielt fast zur Gänze beim „Heurigen“, was Anlaß gibt, 39 Personen zu gefälligen Gruppen von Zechern und Sängern; Krakeelern und Leichenträgern zu gerieren. Die Hauptrolle, ehedem Girardi an vertraut, wird von Josef Meinrad in höchsten Tönen heruntergeschrien. Man sollte diesem begabten Schauspieler Zeit zur Erholung, zur Muße geben. Seine Herausstellung in nahezu jedem Stück droht ihn zu verbrauchen, läßt ein echtes Reifen nicht zu. Und es wäre schade um ihn.

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