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Beglückung durch das Kunstwerk

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„Der aber ist ein Liebling des Himmels, der mit demütiger Schnsudit auf die auserwählten Stunden harrt, da der milde himmlische Strahl freiwillig zn ihm herabführt. die Hülle irdischer Unbedeutendheit, mit weldier gemeiniglich der sterbliche Geist überzogen ist, spaltet und sein edleres Innere auflöst und auseinanderlegt; dann kniet er nieder, wendet die offene Brust in stiller Entzückung gegen den Hinimilsglanz und sättiget sie mit d?m ätherischen Licht, dann steht er auf, froher und wehmütiger, volleren und leichteren Herzens und legt seine Hand an ein großes und gutes Werk.“

(Wackcnroder und Tieck: Herzens-ergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders.)

„Und ein Ding (Kunstwerk), das an einer tödlichen Krankheit leidet, sollte imtande sein, jemanden glücklich zu machen?“ fragt Manfred Hausmann in seinem Aufsatz „Trauer im Kunstwerk?“, in dem er von dem Übcrwirklichcn, das den Gehalt jedes editen Kunstwerkes bestimmt, spricht, das ..lebendig sein möchte“, aber eigentlich undarstellbar ist mit irdischen Mitteln. Eine zuinnerst wahre und treffende Bemerkung, die zugleich reizt, die Materie von der anderen Seite zu beleuchten

Spürt der Kunst Schaffende, der Kunst Genießende wirklich keine Beglückung? Wie ist das Gefühl zu nennen, das das ganze Sein des Künstlers erhöht, sein Herz schneller schlagen läßt im Rausche des Schaffens, des sich Hingebens? Wenn er sich selbst überhaupt zu fühlen fähig ist, da er ja ganz aus sich herauszutreten scheint: was beseelt ihn in seinem Ringen, Unsagbares sagbar. Ungreifbares körperlich zu machen und Unerhörtes zum Tönen zu bringen?

Er gleicht in dieser Phase dem Liebenden, der, nach unablässisem Streben um die Vereinigung mit dem geliebten Gegenstand, diesen endlich gewonnen hat. W;iß er zu sagen, ob es Glück war, was er genoß? Er meint, es scheint ihm sehr zu gleichen.

Alles Alltägliche, Gewohnte hat kein Dasein für ihn im schöpferischen Augen . blick, er erlebt eine Segnung Gottes — und wie sollte sie ihn nicht glücklich machen und ihn nicht versuchen lassen, sie anderen mitzuteilen?

Wohl ist er nur ein schwaches, irdisches Gefäß, in das eine Fülle von zauberhaft Schönem. Unheimlichem, ja Grauenhaftem auf verwirrende Weise flutet und das von all der Fülle nur ein weniges. Kostbares retten, auffangen und bewahren kann. Wohl scheint das Gefäß schier zu vergehen in seiner Armseligkeit vor dem Göttlichen, oft genug geschieht dies auch.

Was rettet den Künstler, den so Gefährdeten, was macht ihn fähig, ein Gefühl, das ich nicht anders als Glück nennen kann, zu empfinden und die lähmenden Fesseln der Trauer abzustreifen?

Es ist eine männliche Tugend, ein Sich-wcgreißen-Könncn von der Gefahr, die zauberhaft lockt — eine Selbstaufgabe durch den Humor. Humor ist in diesem Sinne ein Abwenden vom eigenen Ich, eine Begrenzung d^s Erkenntnisverlangens in der Erkenntnis seiner selbst, das heißt seiner Unzulänglichkeit. Und — was wesentlich ist — ein sich Abfinden mit diesem Zustand. Somit etwas Gesundes, im Grunde Bürgerliches, das auch den größten Genies der Menschheit nicht abging. „We are such stuff as dreams are made on and our little Iife is rounded with a sleep.“

Der Künstler empfängt seine Inspirationen, er ist glücklich in seinem Schaffen, durch den Humor, der ihn davor bewahrt, diese Segnungen zu erzwingen, der sich zu-frieden gibt, wenn ihm zuweilen im Traum ein Blick hinter den Schleier des Bildes zu Sa'i's gegönnt wird. Ein solches Geschenk scheint ihm wie ein Gift, das in kleinen Mengen belebend ist, im großen genossen tödlich wirken würde. Natürlich darf man sich nicht vorstellen daß der Künstler wie ein Hypochonder genau die Zeit berechnet, in der es ihm verstattet ist, sich seinen Gesichten hinzugeben, oder die Intensität seines Versunkenseins, die von ihm ohne Nachteil ertragen werden könne. Die geheimen Kräfte, die in ihm wirken, lassen sich nicht berechnen, ihnen muß er sich überlassen, wenn es ihn überkommt, gefährlich wird es aber für ihn, wenn er die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Wir wissen, wie oft der junge Goethe durch übermächtige Einflüsse am Rande des Abgrundes unrettbar verloren schien und wie ihn seine eigene Kraft immer wieder davon wegriß.

Ähnlich verhält es sich beim Kunstgenießenden, denn wie wäre er sonst imstande, das Schöne oder Wahre freudig in sich aufzunehmen, wenn er es nicht wiedererkennen würde als etwas Eigenes, Selbstgefühltes, das darzustellen er nicht selbst befähigt ist Für ihn liegt das Glück in diesem Wiedererkennen von etwas unklar Erlebtem, das sich ihm nur im Dargestellten, sinnlich Wahrnehmbaren wahrhaft enthüllt, denn er ist nicht so ursprünglich wie der Künstler, seine Gesichte werden ihm viel weniger eindringlich bewußt. Auch er soll sich den Sesnunsen der Geistes hingeben, dann, wenn sie ihm geschenkt werden. Dann sind sie imstande, wahrhaft zu beglücken.

Wir alle wissen, wie die Lektüre eines guten Buches, nennen wir zum Beispiel Kellers „Grünen Heinrich“, die Sorgen des täglichen Lebens in den Hintergrund zu schieben vermag und neue Lebenskrait schafft, wie ein Shakcspearesches Lustspiel, eine Sonate von Mozart ein beschwingtes Lustgefühl verleiht. Wie Rodins gewaltige Plastiken den Betrachter in froher und stolzer Ehrfurcht erschauern lassen gegenüber so großem menschlichem Vermögen, dem etwa gleichkäme Beethovens meisterliche dämonengesegnete Musik.

Wie vielfach sind die Quellen des sogenannten Glücksgefühls! Man betrachte aufmerksam den Gesichtsausdruck der allegorischen Figur in Dürers Melandiolie. Er läßt unbedingt die Deutung eines Wohlgefühls zu. Ein gewisses Behagen, die Seele schauernd dem Erhabenen zu unterwerfen, spricht aus ihren Zügen.

Gerade der Vitalität des österreichischen Künstlers entspricht dieser künstlerische, romantische Humor, der so beglückend und fruchtbar in der Kunst wirkt. Denken wir an all die vielen originellen Selbstbildnisse unserer Maler, denken wir an Meister Pil-grams Selbstdarstellung an der Kanzel der Stephanskirche, ja an diese selbst, die mi~ ihrem unvollendeten Turm einen sichtbaren Verzicht auf menschliche Vollkommenheit darstellt und gerade dadurch die einmalig vollkommene, verfließende Linie ihres ausgebauten Turmes, deren Anblick sich ungehemmt bietet, auf schönste Weise enthüllt, was die Baumeister wohl erkannt haben mögen. Man lese Mozarts Briefe, um zu erfahren, was dieser Humor zu bedeuten hat und wie er bereichern und beglücken kann.

Es gäbe der Beispiele Legion, gerade in dem von der'Kunst begnadeten Österreich, die uns ahnen lassen, welches Glück unsere Größten erfuhren in ihrem Werk und durch ihr Werk, und die uns mahnen, uns getrost — und beglückt — ihrem Vermächtnis hinzugeben.

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