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Nachruf auf Claudel

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Anläßlich des Todes von Paul Claudel widmete der französische Hohe Kommissar in Deutschland, Botschafter Andre Frangois-Poncet, seinem Kollegen von der Academie Frangaise und vom Quai d'Orsay den folgenden Nachruf.

Der Tod Paul Claudels erfüllt uns mit tiefer Trauer, denn er bedeutet für die

französische Literatur, für die Weltliteratur überhaupt, einen unersetzlichen Verlust.

Die literarische Lautbahn Paul Claudels ist eine erstaunliche Sache. Die Bewunderung, die man ihm zollte, den Ruhm, der seinen Lebensabend verklärte, verdankt er Werken, die er 20 und 30 Jahre zuvor geschrieben hatte. Das ist an und für sich nicht verwunderlich, denn Paul Claudel war nur gelegentlich ein Schriftsteller.

Sein eigentlicher Beruf war die Diplomatie. Er hat im Laufe seiner reichen und langen Karriere — sie erstreckte sich über 46 Jahre, und das ist am Quai d'Orsay nicht oft der Fall — Länder und Leute von drei Kontinenten kennengelernt, denn er hat sein Land in Amerika, Asien und Europa vertreten.

Er begann 1893 bei einer konsularischen Mission in den Vereinigten Staaten, kam zwei Jahre später nach China, von dort 1910 nach Prag, ein Jahr danach nach Frankfurt und von da nach Hamburg, wo er bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges blieb. Er nahm es mit seinen beruflichen Pflichten sehr genau. Und doch entstanden, während er sich in Tiensin befand, 1909 seine fünf grofjen Oden. 1921 wurde er als Botschafter Frankreichs nach Tokio berufen, sechs Jahre darauf nach Washington und schließlich von 1933 bis 1935 nach Brüssel. Das ist fürwahr eine mustergültige Laufbahn.

Das große, das wesentliche und entscheidende Ereignis im Leben Paul Claudels ist aber seine plötzliche Konversion zum Katholizismus am Weihnachtstage des Jahres 1886. Er wohnte, damals 18jährig, der Chrisfmetfe in Notre-Dame bei, als sich, völlig unvorhergesehen, ein Mysterium vollzog, von dem er selbst gesagt hat, dafj es sein ganzes Leben beherrschte.

Claudels Werk in besonderem Maße von seiner in der französischen Literatur einzig dastehenden kosmischen Schau beherrscht, die wohl im „Seidenen Schuh“ ihren schönsten Ausdruck gefunden hat. Aber zugleich machte sich bei ihm ein sehr feiner und ausgeprägter Sinn für die ureigenste Heimat, ich wäre beinahe versucht zu sagen; für den Geruch der Scholle, bemerkbar. Ich glaube, es war Ernst Robert Curfius, der von ihm gesagt hat, er stehe wie ein Findlingsblock, hart und ursprünglich wie der Granit der Vogesen, an deren Westhang er geboren wurde, in der Weltliteratur. Mütterlicherseits stammt er aus der Champagne, und bis in seine „Verkündigung“, deren Autführung vor kaum einer Woche in der Comedie Francaise in Paris ein triumphaler Erfolg zuteil wurde, vermag man diese Abstammung zu verspüren. Die „Verkündigung“ ist in gewisser Hinsicht auch ein bäuerliches, ein ländliches Drama, und die Namen der Personen der Handlung sind Namen von französischen Dörfern, wie Coeuvre oder Coufonfaines. Das gleiche könnte man von Stücken wie „Goldhaupt“ (Tete d'Or), „Der Bürge“ (L'Ofage), „Das harte Brot“ (Le Pain dur), „Der erniedrigte Vater“ (Le Pere humilie) sagen.

Seine Reisen in Asien bringen Claudel in direkten Kontakt mit den Philosophen des Orients. Dieser gibt ihm neue Anregungen, bringt aber auch Versuchungen mit sich. Sein katholischer Glaube hilft ihm, ihnen zu widerstehen. Doch der Konflikt bleibt sichtbar in der Figur des Mesa in der „Mittagswende“. Dieser, angezogen von den Verführungskünsten des Weibes und des Orients, singt vor seinem Tode eine Lobeshymne zu Ehren des alleinigen Gottes.

In seinen späteren Lebensjahren hat Claudel sein Denken auf das Studium der Bibel gerichtet. So entstanden Meditationen oft hoch lyrischen Charakters, wie jene über das Buch Jesaja und die Apokalypse. Sie sind die logische sowohl wie die poetische Erfüllung seines Werkes, das seine Krönung findet in der Geschichte von „Tobias und Sara“, einem Stück, das, 1942 vollendet, erst 1953 in Hamburg seine Uraufführung erlebte.

Ein sonderbares Los wurde den Stücken Claudels zute'l. Man dachte zuerst, sie seien nur zum Lesen geschrieben, und doch wohnt ihnen ein unglaubliche dramafische und szenische Spannung inne, die sich erst auf der Bühne offenbarte. Deutschland ist eines der ersten Länder, die das entdeckt haben, wie es auch unter den ersten war, die den Wert des Werkes von Claudel erkannt hatten. Ernst Robert Curfius hielt schon 1914 ein Kolleg über Paul Claudel. Jakob Hegner hat bereits 1912 die „Verkündigung“ (L'Annonce faite ä Marie) übersetzt, den „Tausch“ (L'Echange) bereits 1910, die „Mittagswende' (Partage du Midi) gar schon 1908. Und derselbe Jakob Hegner gab 1916, mitten Im ersten Weltkrieg, den „Ruhetag“ (Le repos du septieme jour) heraus.

Claudel ist ein Dichter von brennender Ueberzeugungs- und Gestaltungskraft, und er beherrschte die französische Sprache mit einem Glanz, mit einer Fülle und einer Prägnanz, die seif Victor Hugo nicht mehr in Erscheinung getreten war. Sein Werk erhebt sich wie ein Bergmassiv, wie ein Himalaja über der modernen französischen Dichtkunst.

Der Mensch Claudel war ganz aus einem Block, freimütig, mit einer Lauterkeit des Charakters, der mitunter bis zur Schroffheit ging, der aber immer von echt menschlicher Güte durchdrungen blieb. Er war wie er es selbst bei seinem letzten Aufenthalt in Hamburg gesagt hat, ein warmherziger Befürworter der endgültigen Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. Die Worte, die er damals von der Hamburger Bühne aus sprach und die die Zuschauer so tief ergriffen, bleiben unvergeßlich.

Um seinen Tod frauert nicht nur sein Land, sondern die gesamte gebildete Menschheit. r

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