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Claudel über Claudel
Wir haben uns an die soziologische Brille gewöhnt; wenn man sich getränt, sie einmal abzunehmen, so merkt man bald, daß die ganze Welt doch anders ist. Christenheit, Menschheit, Familie, Staat, Stadt und Haus; gewiß werden sie unter soziologischen Gesichtspunkten betrachtet deutlicher; aber sobald die Soziologie totalitär auftritt, wird sie zur Fälschung. Darum ist es gut, wenn man Claudels „Kritische Schriften” hin und wieder zur Korrektur zur Hand nimmt. Denn auch der Dichter hat Sicht und Stimme, wenn es um unser Weltverständnis und die Menschheitsverständigung geht. Ist der Dichter noch — wie Claudel — ein Christ, so werden die Blickpunkte in unsere Gemeinschaftsbeziehungen allgemeiner, katholisch. E.s handelt sich nicht um Dichtungen, sondern um dichterisches Weltsehen. Es sind keine dichterischen Gleichnisse und Symbole, in denen Claudel in diesen Schriften zu uns spricht, sondern „Visionen”; Schau in die Wirklichkeit, Zusammenschau des Gegebenen, um Ganzheit und Einheit zu gewinnen —nun aber in „theoretischer Form”, in der nicht-dichterischen und nicht-wissenschaftlichen Form. Der Dichter spricht ohne sein ihm eigenes Mittel anzuwenden. — „Die Ars Poetica Mundi”, Schriften zur Dichtung, Schriften zur Kunst, Schriften zur Musik pnd die bisher viel zu wenig beachteten, manchmal skurrilen, immer anregenden „Gespräche im Loir und Cher” sind in diesem Band V der Gesammelten Werke zusammengefaßt; manches erstmals ins Deutsche übertragen, anderes neu übersetzt; die Originale sind über Jahrzehnte verstreut erschienen und teilweise bereits von Andre Blanchet in „Paul Claudel; Pages de Prose” (Paris Gallimard, 1944) gesammelt worden.
Als Kommentar zu diesem Werk und zum Gesamtwerk Claudels können die köstlichen „Improvisierten Erinnerungen” (Gespräche mit Paul Claudel) gelten. Amrouche hat mit dem 82jährigen Dichter vor dem Mikrophon Gespräche geführt und diese veröffentlicht. Der unmittelbare Claudel spricht hier von ąich und seinem Leben, von seinen Werken, seinem Apostolat, von Begegnungen mit Zeitgenossen und mit den ihm wichtigen Großen der Weltgeschichte. Die Gesprächsform ist manchmal etwas mühsam zu lesen, aber die Lektüre lohnt sich trotzdem: Claudel von Claudel erklärt zu bekommen.
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