6718452-1965_01_11.jpg
Digital In Arbeit

Die zweite Seele eines Claudel

19451960198020002020

SINGSPIEL FUB S STIMMEN. — ANTLITZ IN GLORIA. - HEILIGENBLÄTTER. -CORONA BENIGNITATIS ANNI DEI. Von Paul Claudel. Übersetit von Hans Urs von Balthasar, .lohnmies-Verla“ ;, Einsiedeln, 1964. Preis je Band 8.50 sFr.

19451960198020002020

SINGSPIEL FUB S STIMMEN. — ANTLITZ IN GLORIA. - HEILIGENBLÄTTER. -CORONA BENIGNITATIS ANNI DEI. Von Paul Claudel. Übersetit von Hans Urs von Balthasar, .lohnmies-Verla“ ;, Einsiedeln, 1964. Preis je Band 8.50 sFr.

Werbung
Werbung
Werbung

Urs von Balthasar, der maßgebende Übersetzer Claudels, hat uns vor kurzem in vier exquisiten Bändchen Claudels Gedichte beschert, die bereits in der Gesamtausgabe (Band I, Benzinger/Kerl) enthalten sind. Man kann diese Veröffentlichung nur begrüßen. Für den Claudel-Leser, der vor allem, wenn nicht ausschließlich „Das Prager Jesuskind“ und „Die lauschende Jungfrau“ kennt oder noch ein paar Gelegenheitsgedichte, die in verschiedenen Anthologien zu finden sind, wird die Lektüre dieser Bändchen eine große Überraschung bedeuten, jedenfalls eine wesentliche Bereicherung und eine entscheidende Nuancierung des herkömmlichen Claudel-Bildes, 'das'seit jeher im deutschsprachigen Raum zu herrschen-scheint Diese~Gbdiciitb“ stam-man aus Claudels verschiedensten Schaffensperioden und Lebensepochen. Die „Verse der Verbannung“ hat Claudel 1900/05, das „Singspiel für drei Stimmen“ 1911, die „Corona Benignitatis Anni Dei“ von 1887 bis 1915, „Heilige Blätter“ 1910/15 und endlich „Antlitz in Glorie“ und „Vermischte Gedichte“ von 1932 bis 1946 verfaßt.

Nicht allein ein poetisches Phänomen mit allen seinen Schattierungen — der genialischen Größe ebenso wie den künstlerischen Schwächen iner unglaublich vielseitigen und zugleich doch konsequent geführten Inspiration — steht vor uns, sondern auch ein Mensch, der, bei aller Objektivierung der dichterischen Thematik, über sich selbst, die Fährnisse und den „Triumphalismus“ seiner Karriere, über die Demütigungen und die unauslöschliche Problematik seines geistigen Wegs und des christlichen Schicksals überhaupt, hartnäckig meditiert. Gedichte, wie „Verse der Verbannung“ , die Claudels mißlungene Priesterberufung widerspiegeln, die „Ballade“ (1906) und „Allerseelen“ (1913/ 1914) aus „Corona“ , oder noch die „Heilige Therese“ (1915), die „Hymne zum 600. Todestag Dantes“ (1921) und „Die unterbrochene Straße“ (1923), endlich „Von Seiten der Verteidigung—'(1927) und „Antwort auf Job“ (1944), dokumentieren in aller Klarheit die zweite Seele eines Claudel, der etwas ganz anderes war, als ein einseitiger Prophet der Freude und ein apollinischer Beschauer der Schönheit und Ordnung des Kosmos. Claudels Liebesdrama (1900/05) hat an seinem ganzen Schicksal genagt und wurde zur Hauptquelle seiner dichterischen Inspiration. Das vermerkt, obzwar sehr diskret („Antlitz in Glorie“ , S. 143; „Corona“ , S. 184; „Singspiel“ , S. 39) mit Recht der Übersetzer, der in seinen Nachworten die formelle Entwicklung Claudels als Epiker, Hymniker und Lyriker, genau verfolgt und die literarische Bedeutung dieses Prozesses klarlegt.

Balthasars Ubersetzung ist, wenn die Übertragung französischer Gedichte ins deutsche unbedingt eine wortwörtliche Transponierung sein soll, ab und zu etwas frei. Eine Nachdichtung kennt aber andere Gesetze, und man muß betonen, daß Balthasars eigene Bildersprache beinahe immer dem tiefen Sinn und dem immanenten Duktus des Originaltextes entspricht, es sei denn, daß Claudels Verse es manchmal an Klarheit fehlen lassen und divergierende Auslagungen gestatten. Balthasars Übersetzung vom „Seidenen Schuh“ hat schon längst den Wert eines Musterbeispiels erlangt: der aufmerksame Leser dieser vier Bändchen wird bald erkennen, daß die Übertragungen der meisten Gedichte, die hier vorliegen, als ebenbürtig gewürdigt werden können. Es war nur verständlich, daß der eminente Übersetzer, unabhängig von der deutschen Gesamtausgabe Claudels (besonders von den drei letzten Bänden, in denen es von den gröbsten Fehlern nur so wimmelt), sich sozusagen „auf eigenen Füßen“ dem Leserpublikum vorstellen wollte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung