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Paul Claudel über Deutschland
Daß das künftige Verhältnis zwischen dem französischen und dem deutschen Volke für das Schicksal des Abendlandes von entscheidender Bedeutung sein wird, haben in letzter Zeit immer mehr führende Franzosen ausgesprochen. Keiner aber hat wohl mit größerem Gewicht hiezu das Wort ergreifen können als Paul Claudel, Frankreichs und vielleicht des ganzen christlichen Abendlandes größter lebender Dichter. Wenn er, Weltbürger, Katholik, Dichter, Diplomat, mit 80 Jahren erklärt, was Deutschlands Schuld war, so wird man eine solche Analyse nicht leichtfertig beiseitewerfen.
„Es ist ein maßloses Unglück für Europa und die Welt“, sagt Claudel nach einer Darstellung der Aufgabe Deutschlands, als starker Schild gegen die Gefahren aus dem Osten und Europas Seele zu wirken, „daß Deutschland heute dieser Rolle, die ihm wesensgemäß gehört, enthoben worden ist. Von allen Verbrechen, die es begangen hat, ist das Verbrechen, das es gegen sich selbst beging, das größte. Indem es sich selber schlug, hat es unsere ganze christliche Gemeinschaft getroffen.“
Claudel spricht dann davon, was Frankreich und was Europa tun muß:
„Die Schrift sagt, Gott habe alle Nationen heilbar gemacht. Heilbar, sage ich, im materiellen Sinne und heilbar im moralischen Sinn. Deutschland braucht Europa uftd Europa braucht Deutschland. Solange Deutschland in der Lage bleibt,- in der es gegenwärtig ist, solange wird Europa an Deutschland Schmerz empfinden und sein Gleichgewicht nicht wieder erlangen. Man muß Deutschland so rasch wie möglich eine einer selbst bewußte, auf sich selbst beruhende Existenz zurückgeben. Man muß ihm die Würde einer Person turückgeben, man man muß ihm das Leben wieder verleihen, ich will sagen, die Mittel, sein Leben zu verdienen. Man muß ihm vor allem das unschätzbare Gut zurückgeben, dessen kein christliches Volk beraubt sein darf: das Recht auf Horizont, das Recht auf Hoffnun g."
Claudel betont sodann, daß er nicht von Klugheit und Vorsicht vor Deutschland abrate, damit es sich nicht neuen Tobsüchtigen hingeben könne, wofür er die föderative Form der „Vereinigten Staaten Deutschlands" vorschlägt, doch habe er schon im „Seidenen Schuh“ ausgesprochen, daß es Deutschlands Berufung sei, Ursprungsland der Harmonie zu sein ü b e r Sprach- und Raumgrenzen hinaus in einem „Treffen, zu dem es uns auf einem goldenen See einlädt".
Ein gewichtiges Wort. Ein Feststellung und eine Warnung. Man wird an diese Sätze des großen Dichters und Fackelträgers seiner Nation leider nodi öfter erinnern müssen.
Claudel schließt: „Es ist Frankreichs Rolle, zu verstehen, zu begreifen. Warum sollte es nicht Deutschlands Rolle sein, mitzufühlen? All den verschiedenen Nationen, ctye es umgeben, zu fühlen zu geben, wie sie einander brauchen, welche Freude sie einander zu bereiten vermögen und wie sehr, um mit dem Psalmisten zu sprechen, ,es gut und angenehm ist, als Brüder am selben Orte zu wohnen'.“
Ob Deutschland wirklich mitzufühlen vermag?
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