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Alltag des szenischen Repertoires

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Ohne großen Premierenglanz gingen Auffahrt, Pausenritual sowie die Vorstellungen der „Meistersinger“, des „Tannhäuser“, „Parsifal“ und des „Ring“ in Bayreuth vorüber. Es fehlte nicht nur die Zugkraft einer Neuinszenierung, auch in den Wiederaufnahmen herrschte vielfach gehobenes Stadttheaterniveau, und zu guter Letzt waltete auch noch ein Unstern über den Premieren, der, mit Ausnahme der „Walküre“, in allen Werken Umbesetzun-gen notwendig machte.

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Ohne großen Premierenglanz gingen Auffahrt, Pausenritual sowie die Vorstellungen der „Meistersinger“, des „Tannhäuser“, „Parsifal“ und des „Ring“ in Bayreuth vorüber. Es fehlte nicht nur die Zugkraft einer Neuinszenierung, auch in den Wiederaufnahmen herrschte vielfach gehobenes Stadttheaterniveau, und zu guter Letzt waltete auch noch ein Unstern über den Premieren, der, mit Ausnahme der „Walküre“, in allen Werken Umbesetzun-gen notwendig machte.

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Für Franz Crass sprang als Pogner Hons Sotin ein und als Gurnemanz Franz Mazura. Im „Tannhäuser“ mußte Hugh Beresford die Titelpartie nach dem ersten Akt aufgeben (Hermin Esser sang weiter). Im Verlauf des „Ring“ übernahm im Umbesetzungs-Puzzlespiel Hartmut Bauer für den nun erkrankten Hans Sotin die Partie des „Rheingold“-Fafner, während sich in den folgenden drei Abenden das Kuriosum einstellte, daß drei Brünnhilden sangen: Berit Lindholm, Ursula Schröder-Feinen und Caterina Ligendza. Merkwürdiger Fall!

Bei der Eröffnung hielt sich auch im Defilee der Roben die Eleganz in Maßen. Die modische Linie indessen schien ganz auf Wolfgang Wagners „Meistersinger“ einzuschwenken, der das Publikum an einem fränkischen Volksfest teilnehmen ließ. Die Inszenierung stammt aus dem Jahr 1968, ruhte in den letzten beiden Sommern zugunsten des „Lohen-grin“ im Fundus und kam jetzt wieder zu Ehren, wenn auch nicht zum Ruhm. In diesem Nürnberg hat die Erde sie alle wieder. Es gibt kein hochgestochenes Patrizierspiel, keinen Anhaltspunkt für politischen Verdacht; die Welt ist in Ordnung, weil die gute Stube der Kunst gegen jeglichen Wind von draußen abgedichtet ist.

Die Konzentration aufs rein Menschliche, wie sie Wolfgang Wagner beabsichtigt hat, ließ sich dennoch nicht voll verwirklichen, weil der urmenschliche Kern im „Mei-stersinger“-Drama nicht getroffen war; Sachsens Verzicht auf Eva, wovon auch das Vorspiel zum dritten Akt erzählt. Theo Adam hatte es stets durchgefühlt, durchlitten und überwunden. Nun aber brachte es keinen Gewinn, daß sich Karl Ridderbusch innerhalb der gleichen Inszenierung vom Pogner zum Sachs wandelte: Mehr Schuster als Poet, schien er alles schon hinter sich zu haben, jenseits von Gut und Böse nur noch ein Vaterherz für Eva zu besitzen. Die menschlichen Dimensionen konnten damit nicht mehr stimmen.

Demgegenüber wurde die Partie des Stolzing mit Rene Kollo optimal besetzt. Wo so oft beleibte Barden ungestüm um Evchen werben, paßt bei diesem Junker einfach alles: Figur, Habitus und Stimme. Seine Jugend allein ist schon Provokation für die Meister, der helle Tenor verschenkt keine Kantilene, die Höhepunkte sind aneinander gereiht, vom „Stillen Herd“ bis zum Preisgesang auf der Festwiese. Eine siebzehnjährige Eva neben einem achtzehnjährigen Stolzing glaubt man auch unschwer Hannelore Bode, die zusammen mit Kollo ein blühend junges Paar abgibt. Ein Gewinn für Bayreuth ist der neue Beckmesser von Klaus Hirte. Die Komik erhält bei ihm zugleich die Grimasse des Verbitterten und Verschrobenen, wie ein Shakespearescher Malvolio geht er nächtens auf die Balz. Anno Reynolds war eine schön singende Mag-dalene; für Frieder Stricker als David kam der Sprung auf die Festspielbühne noch zu früh. Weitgehend enttäuschend verlief die musikalische Leitung von Silvio Varviso. Er traf im Grundton zwar den Lustspielcharakter der Partitur, aber die flotten Zeitmaße waren gehetzt, und die aus Romantik, Spuk, Nacht und Fliederduft gemischte Atmosphäre wollte siich nicht einstellen.

Versöhnung mit dem Publikum feierte Götz Friedrich. Ein Jahr zuvor war bei seinem „Tannhäuser“ gepfiffen und gebuht worden. Jetzt gab es eitel Beifall. Dabei änderte Friedrich keinesfalls sein Konzept; er weichte nur ein wenig auf, mach-

te Konzessionen: Der Chor wechselte für der Gnade Heil lediglich das Hemd, trug keine Arbeitskluft, sondern helle Gewänder, außerdem verzichtete die Leibstandarte des Landgrafen auf Helme und Kinnriemen, und schon ging's gut. Die Änderungen besänftigen ohne zu gravieren. Es verbleibt bei allen dem Werk immanenten sozialkritischen Aspekten, der ewige Kampf zwischen den himmlischen und höllischen Mächten tobt nach wie ekstatisch in Tann-häusers Brust. Die Panne mit Hugh-Beresford brachte dem einspringenden Hermin Esser Premieren-Ehren und Jubel für einige stimmlich imposante Momente. Gewonnen hat gegenüber dem Vorjahr Gwyneth Jones in der Doppelrolle Venus-Elisabeth. Die Liebesgöttin liegt ihr weniger, aber ihre Elisabeth hat Kontur und Ebenmaß in der Stimme, ist keine verzückte Heilige, sondern ein liebendes junges Weib. Ein nobler Wolfram war wieder Bernd Weikl, Hans Sotin der herrische und dennoch schön singende Landgraf. Hons Hollreiser als neuem „Tannhäuser“-Dirigenten sind zunächst gute Nerven zu bescheinigen. Die Spannungen und Nervosität, wie sie sich unerläßlich aus der Kalamität des ersten Akts ergaben, .fing er ab und hielt den Apparat zusammen. Mehr als sein Vorgänger Erich Leinsdorf dirigierte er mit dem Blick zur Bühne, ist aber immer noch nicht der gemäße • Partner für Götz Friedrichs aggressive Inszenierung.

Wieland Wagners „Parsifal“-In-szenierung wird in diesem Sommer zum Schwanengesang im Verglühen des Grals. Nach 23 Jahren ist diese epochale Regietat Geschichte. Es wird 1974 keinen „Parsifal“ in Bayreuth geben, 1975 folgt eine Neuinszenierung Wolf gang Wagners. Die Aufführung leitet Eugen Jochum im dritten Jahr. Hatte man ihm zuerst noch vorgeworfen, er greife auf die breiten Tempi eines Knappertsbusch zurück, so führte er dies ad absurdum, musizierte flüssig und transparent, vollzog in den Gralsszenen das Maestoso ohne Pathos und investierte soviel Kraft und Dramatik, daß die Partitur nicht im Sinn eines PontifikaLamts zelebriert wurde. Hervorragend bewährte sich Franz Mazura als sehr männlicher Gurnemanz im Kreis der Bewährten: Jean Cox in der Titelpartie, Janis Martin als Kundry, Gerd Nienstedt als Klingsor. Donald Mclntyre debütierte als Amfortas so rechenhaft und kraftvoll, daß die Qualen des siechen Gralskönigs noch recht erträglich erschienen.

Durch den steten Brünnhilden-Wechsel konnte sich die wünschenswerte Kontinuität während der „Ring“-Abende nicht einstellen. Nach ihrem Mißerfolg in der „Walküre“ meldete sich Berit Lindholm für den „Siegfried“ krank, was Ursula Schröder-Feinen sehr zustatten kam, als sie mit strahlenden Forte-Höhen unvorgesehen erwachte. Und Cata-rina Ligendza („Götterdämmerung“) ist ohnehin bereits ein Publikums-lieblimg. Die großen überraschenden Momente lagen indes bei Anna Reynolds, die als Fricka und Waltraute sich selbst und die meisten ihrer Vorgängerinnen übertraf und bei Heinz Zednik, dessen Mime in diesem Jahr hielt, was er im letzten versprochen hatte: die gültige Bayreuther Besetzung zu werden, eine Verschmelzung der darstellerischen Intelligenz Gerhard Stolzes mit den Stimmqualitäten Erwin Wohlfahrts. Horst Stein ist des „Rings“ souveräner Dirigent; in Wolf gang Wagners Regie blieb alles beim alten.

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