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Reichsparteitag auf der Wartburg

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Die Wogen der Empörung stiegen nicht minder an als die Temperaturen. Dem Siedepunkt verdächtig nahe befand sich im Bayreuther Festspielhaus ein Großteil des Publikums, das den neuen „Tannhäuser“ des Ostberliner Regisseurs Götz Friedrich mit Buh, Pfiffen und Pfuirufen quittierte, wie es seit Wieland Wagners „Meistersingern“ von 1963 nicht mehr der Fall gewesen war. Herbe Enttäuschung für festspielbevvußte Operngourmets.

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Die Wogen der Empörung stiegen nicht minder an als die Temperaturen. Dem Siedepunkt verdächtig nahe befand sich im Bayreuther Festspielhaus ein Großteil des Publikums, das den neuen „Tannhäuser“ des Ostberliner Regisseurs Götz Friedrich mit Buh, Pfiffen und Pfuirufen quittierte, wie es seit Wieland Wagners „Meistersingern“ von 1963 nicht mehr der Fall gewesen war. Herbe Enttäuschung für festspielbevvußte Operngourmets.

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Dieser hübsche Eklat galt einer Inszenierung, wie es sie profilierter, konsequenter und mit solch provokantem Zündstoff erfüllt seit Wielands Tod in Bayreuth nicht mehr gegeben hat. Gewiß: Es ließe sich stundenlang über Details diskutieren, aber wichtiger ist das große Ganze. Und hier ist es Götz Friedrich gelungen, neue Dimensionen zu öffnen, nach den tiefenpsychologischen Lotungen Wieland Wagners erfolgreich den Spuren gesellschaftskritischer Relevanz nachzugehen. Dabei ergeben Richard Wagner im Dresdner Vor-März und die Reflexe seiner politischen Agitation in den „Volksblättern“ August Röckeis auf den Menschen Tannhäuser eine hochaktuelle Gedankenbasis, die Götz Friedrich einer Inszenierung unterlegt, die als Markstein des neuen Bayreuth apostrophiert werden darf und den Werkstattcharakter des Festspielhauses doppelt unterstreicht.

Ausgangspunkt ist der zweite Akt: Landgraf, Sänger und Wartburg-Gesellschaft waren stets eine Art mathematisch gegebener Größe, die nicht verändert werden durfte. In dieser heilen Welt eckte Tannhäuser an, machte gegenüber der anämischen Artigkeit im höfischen Singsang um der Liebe reinstes Wesen vehement Reklame für die Realitäten des Venusbergs. Götz Friedrich öffnet jetzt die Dramaturgie, stellt fest, daß diese Gesellschaft doch nicht so in Ordnung ist. Es deutet sich schon beim Jagdgefolge des ersten Akts an, wenn die Herren von den

Knechten auf Sänften durch die Landschaft getragen werden. Beim Sängerkrieg präsentieren sich die Edlen schließlich in schwarzen Mänteln mit Gürtel und Koppelschloß, tragen weiße Handschuhe, sind umgeben von einer Art Staatspolizei, die schwerbewaffnet, mit Helm, Schulter- und Kinnriemen nur des Zeichens zum Eingreifen harrt. Wenn schließlich noch vor dem Einsatz der Fanfaren zum Einzug der Gäste rund um die stilisierte Halle Fahnen hochgezogen werden, ist der Reichsparteitag auf der Wartburg offiziell eröffnet.

Hier wird der Geist auf Vordermann gebracht, andere Meinung ist nicht erlaubt. So ist es auch bei Friedrichs exakter Regie keine hohle Operngeste mehr, wenn die Ritter nach Tannhäusers Geständnis die Schwerter ziehen, sondern damit dekouvriert sich ein Regime, das keine Diskussion duldet, keine Toleranz kennt und fehlende Argumente durch Gewalt ersetzt. Hier ist der Zündstoff für die ganze Inszenierung, und wenn beim Schlußchor der Gnade Heil nicht mehr von Pilgern, sondern vom Volk in Arbeitskleidung gesungen wird, ist dies ein vergleichsweise äußerer Effekt.

Von der Konfrontation himmlischer und irdischer Liebe als dramatische Idee hält Götz Friedrich nichts. Elisabeth und Venus sind für Tannhäuser dieselbe Person. Die Göttin der Lust existiert nur in seinen Vorstellungen. Entsprechend dieser Version (die Isadora Duncan bereits 1904 vertreten hat) wird das

Vorspiel bereits in die Aktion einbezogen. Bei offenem Vorhang stürzt Tannhäuser auf die Bühne und steigert sich nach der Pilgerchormelodie ins Bacchanal. Aus dieser Phan-tasmagorie (von Jürgen Rose in stark vereinheitlichende Dekors gehüllt, von John Neimeier dicht und beklemmend choreographiert) sucht Tannhäuser Erlösung von sich selbst; die Gnade wird ihm zuteil, wenn er sterbend zur wahren Menschlichkeit gefunden hat.

Leider wurde diese mit erbitterter Konsequenz durchgedachte und mit den Sängern schonungslos erarbeitete Inszenierung vom Pult her nicht unterstützt. Erich Leinsdorf dirigierte den „Tannhäuser“, als gelte es einer Schallplatteneinspielung im Studio. Es fehlte zuweilen die aggressive dramatische Dichte, wie sie zur Kongruenz mit der Bühne erforderlich gewesen wäre. Es wurden liebevolle Episoden im bemerkenswert breiten Tempi ausgemalt, die szenisch nicht abzugelten waren.

In der Personalregie hatte es Götz Friedrich erreicht, die Sozialisten als singende Schauspieler zu führen. Hugh Beresford als Tannhäuser hatte das Pech, im zweiten At von einer Indisposition befallen zu werden.

Einen Beweis ihrer sängerdarstellerischen Intelligenz brachte Gwyneth Jones in den Partien der Venus und Elisabeth. Bei den sehr differenziert eingesetzten Mitteln ist sie am stärksten als die wenig heilige, leidenschaftlich aufjubelnde und mit voller Weiblichkeit liebende Elisabeth, die bei der Hallenarie und selbst noch vor dem Gebet aus ihren körperlichen Gefühlen kein Hehl macht.

Konkurrenz für die jungen Wagnerbässe Ridderbusch und Talvela gibt es durch Hans Sotin: ein junger Souverän als Landgraf, dem der kategorische Imperativ in Gesten geläufig von der Hand geht, dessen noble Stimmkultur unterkühlte Würde verströmt.

Ganz zum Schluß eine großartige Geste Wolf gang Wagners: Im anhaltenden Buh- und Pfeifkonzert, trat er 'selbst mit auf die Bühne und erklärte sich solidarisch mit den geistigen Väter dieses „Tannhäuser“, der als Indiz gewertet werden kann, daß es weitergeht in Bayreuth.

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