Was heißt hier schon Erlösung?

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Seit wenigen Tagen ist es offiziell: Frank Castorf wird 2013 den neuen Bayreuther "Ring“ inszenieren. Ob der diesjährige "Tannhäuser“ schon ein Vorgeschmack darauf war? Die nach so mancher Aufführung gemachte Bemerkung, wer das Stück bisher nicht kannte, kenne es jetzt noch weniger, hat selten solche Berechtigung wie nach dieser Inszenierung, die mit dem längst überwunden geglaubten Arsenal des Post-Brecht-Theaters aufwartet.

Originell will jeder Regisseur sein. Problematisch wird es, wenn nicht nur die Grenzen zwischen Interpretation und Willkür verschwimmen, sondern die Eigendeutung den Stückcharakter bewusst aushöhlt oder ins Gegenteil verfremdet. Dass sich Baumgarten von seinem Bühnenbildner Joep van Lieshout anstelle der gewohnten vier Bühnenbilder eine Einheitsszenerie hat bauen lassen, hätte nicht gestört. Befremdend war die dabei verwirklichte Idee: eine von in die Höhe ragenden Regalen umschlossene Biogasanlage, deren zynischer Sinn sich erst am Ende erschließt, wenn Elisabeth gezwungen wird, in dieser Gasanlage ihr Leben zu lassen. Wolfram muss dabei Sterbehilfe leisten, indem er die Tür zuhält.

Pilger als Putztrupp

Im Programmheft wird diese Anlage als Symbol eines in sich geschlossenen Systems der Macht, Ethik und Moral charakterisiert, als Gegensatz zum Venusberg. Er zeigt sich in dieser Inszene als Käfig, in dem sich seltsame Wesen tummeln. Venus muss hochschwanger auftreten, ohne dass dies später erklärt wird, die Pilger dürfen sich als Putztrupp zeigen. Immer wieder werden Videos eingespielt, die weniger das Libretto kommentieren als mit kontrapunktierenden Sprüchen aufwarten wie: "Wir sind krank“, Wir denken nach“, "Kunst wird Tat“; wohl eine Idee des Dramaturgen Carl Hegemann, der schon Schlingensiefs Bayreuther "Parsifal“ begleitete. An ihn erinnert bereits der Stückbeginn. Hier wird ein Video von einem von Krebs befallenen Thorax eingeblendet. Bekanntlich sah Christoph Schlingensief die Ursache für seine tödliche Krebserkrankung in seiner Bayreuther "Parsifal“-Arbeit.

Offensichtlich waren Baumgarten solche Anmerkungen wichtiger, als sich mit Wagners ureigenen "Tannhäuser“-Intentionen näher auseinanderzusetzen. Das hätte auch einer detaillierten Reflexion des Erlösungsgedankens bedurft. Aber wozu, wenn schon im Vorhinein alles klar ist: Tannhäuser will das Apollinische, verkörpert durch die Wartburg, kann aber nicht ohne das Dionysische, repräsentiert durch den Venusberg, lautet Baumgartens "Tannhäuser“-These. Zumindest laut Programmheft - die sich nicht selten in schrillen Bildern gefallende Bühne verrät davon kaum etwas.

Thomas Hengelbrock setzt - unterschiedlich spannend und mit extremen Tempi - auf eine kammermusikalische Realisierung der Partitur. Günther Groissböcks sonorer Landgraf, Camilla Nylunds sensible Elisabeth, Michael Nagys untadeliger Wolfram dominieren die Sängerriege. Stephanie Friede als Venus und Lars Cleveman in der Titelpartie verwechselten Dramatik mit Lautstärke. Uneingeschränkt umjubelt wurde einmal mehr der phänomenale Festspielchor.

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