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Traum von der Gewaltlosigkeit

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Hofmannsthal hat Grillparzer den politischesten Kopf unter unseren Dichtern deutscher Sprache genannt. Vielleicht dachte er da vorweg an „Libussa”, denn sein eigenes Werk, das Trauerspiel „Der Turm”, entwickelt in den .revolutionären Zeiten nach dem- ersten Weltkrieg, nach dem Zerbrechen der Donaumonarchie, Ideen weiter und entfaltet sie, die Grillparzer in noch festgefügter Zeit in seinem. Alterswerk um den Begründer der Przemyslidendynastie behandelt hatte. Beide Stücke schließen mit einer politischen Zukunftssicht.

In visionärer Form, die sich mehr und mehr steigert, gestaltet Hofmannsthal im „Turm” das Problem der Macht als ein Problem der Gewalt, führt er den Machtmißbrauch von oben und von unten vor, zeigt er, wie die Macht das Menschliche zersetzt und läßt schließlich eine Utopie, eine Wunschvorstellung, die in den Ideologien des Ostens — das Stück spielt in Polen — immer wieder aufspringt, szenische Wirk-, lichkeit werden: die Herrschaft der Gewaltlosigkeit, hier verkörpert durch den Kinderkönig. Auf diese Gestalt als Sinnbild einer Zeit, da die „Schwerter zu Pflugscharen” umgeschmiedet werden, verzichtet eine andere, von Max Reinhardt angeregte Lösung, die einen bühnengemäßeren, handlungsstärkeren Abschluß bietet, dafür aber des Traumhaften, das schon in früheren Szenen immer wieder spürbar wird, entbehrt.

Der „Turm” wird in Salzburg in der Felsenreitschule gespielt. Die übereinandergelagerten Arkadengänge der Felswand, die Katakombenstimmung des gewaltigen Raums rücken Hofmannsthals Trauerspiel aus der „Atmosphäre” des 17. Jahrhunderts in frühgeschichtliche Bereiche, was dem Gehalt der Dichtung durchaus zuträglich ist. Die geistige Konzentration geht aber durch die überbreite Spielfläche verloren. Die Einbauten von Gustav Manker als simultanes Bühnenbild — ein halboffener Rundturm auf der einen Seite — geben geeignete Spielmöglichkeiten. Der Regisseur der Aufführung, Ernst Lothar, entschloß sich, den Schluß mit dem Kinderkönig zu spielen. Das verpflichtet um so mehr, die entscheidenden Wirkungen im Traumhaften, Visionären zu suchen, das Stück als einen Mythos der Macht darzubieten. Statt dessen bleibt besonders im ersten Teil alles greifbar, bewußt, gerät fast knallig, im zweiten Teil ersteht ein geschlossener Eindruck, der Einzug des Kinderkönigs gelingt noch am besten. Ob da die Chöre — sie stammen von Bernhard Paumgartner . so sehr ans Kirchliche gemahnen sollen, sei bezweifelt.

Es erweckt den Anschein, als habe, sich der Regisseur den Schauspielern gegenüber als allzu behutsam, allzu zurückhaltend erwiesen. Maximilian Schell wird als Sigismund überfordert, den Eingekerkerten glaubt man ihm, den Armeleutkönig ungleich weniger. Hofmannsthal spricht vom Larvenhaften des Basilius, bei dem man nicht errate, was für ein Mensch darunter stecke Nun, daran hält sich der fast gnomenhaft wirkende, weit ausschreitende Ernst Ginsberg allzusehr. Er bleibt tatsächlich Maske brutaler Macht. Ullrich Haupt aber kommt leider als Julian über leere Theatralik nicht hinaus. Auch Rudolf Therkatz bringt für das Ekstatische des Ignatius nur äußere Mittel auf. Voller Gegensatz dazu: Mathias Wiemann als Arzt, er bietet in voller Schlichtheit die stärkste geistige Wirkung, wodurch seine Partner abfallen, die Gestalt aber mehr, als von Hofmannsthal im Gefüge des Stücks gewollt, Gewicht erhält. Hanns Ernst Jäger füllt die Brutalität des Olivier vom Vitalen her, wirklich gestaltete Figuren bieten Adrienne Geßner als Bauersfrau, Martha Wallner als Zigeunerin. Peter Broglė gibt dem Kinderkönig etwas vom Unwirklichen dieser Gestalt.

Die Gesamtwirkung bleibt unausgeglichen. Das Geistige, die Grundidee, wird nicht eindrucksstark, nicht überzeugend genug herausgearbeitet. Es ersteht aber der Wunsch, dieses Stück immer wieder auf der Bühne zu sehen. 15-3

H. H. Stuckenschmidt

„Meistersinger”

BAYREUTH

Die „M eistersinger” erscheinen zum dritten- mal in der langsam sich wandelnden Inszene Wieland Wagners. Ihre Höhepunkte sind die immer mehr aufgelockerten und ausgespielten Bilder der Singschule. Hier allerdings zeigt die Regie sich gerade von einer realistischen Seite, die sonst so geflissentlich vermieden wird. Was hingegen in der Prügelszene geschieht, ‘wo ein Massenaufstand der Nachthemden und feenhaften Gazeschleier symmetrisch um einen Zweikampf David—Beckmesser organisiert wird, das ist weder aus der Partitur noch aus der dramatischen Situation zu rechtfertigen. Auch der Maidenreigen zu Beginn der Szene gehört eher zum Sonnwendbrauchtum als zu einem romantischen Opernspiel.

Neben vielem anderen enthalten Wagners „Meistersinger” ein Element von Jean-Paulschem Bürgeridyll. Man vermißt diesen wichtigen Zug überall, wo in die intime Hans-Sachs-Welt hineingeleuchtet wird: in der Straßenszene und vor allem in der Schusterstube. Was dabei an konstruktiver Strenge gewonnen wird, ist keine Kompensation. Und es ist keine Frage des Stils oder der künstlerischen Aktualität, sondern eine der geistigen Ehrlichkeit. Das gilt, mutatis mutandis, auch für die Festwiese. Zwar werden die Aufzüge der Zünfte nun nicht mehr von einem Tänzer, sondern von David pantomimisch dargestellt, was die Sache um einen Grad plausibler macht. Aber die Fatalität der Filmapotheose bleibt an dem von weißen Uniformen ausgefüllten Halbrund eines Nürn- bergischen Kolosseums haften.

Zu den Höhepunkten der bekannten Besetzung: Elisabeth Grümmer als Eva, Gefhqrd .5x41 als David, tritt nun ein Neuling für Bayreuth: Rudolf Schock. Er hat alles, was er für den Stol- zing braucht, nur nicht ganz die richtige Stimme. Sein Tenor klingt berückend beim „Fanget an!” in der schönen Uebergangslage von c bis f. Was darüber liegt, genügt für die Preislieder nicht. Eine noble, auch darstellerisch sympathische Leistung. Aber doch eine Fehlbesetzung — wobei freilich zu fragen ist, wo heute ein Stolzing lebt.

Der andere Neuling stand am Pult: Erich Leinsdorf. Ich war von dem Vorspiel enttäuscht, fand es nervös und nicht recht gestaltet, namentlich im Kontrast der Zeitmaße. Aber im Laufe des Abends wuchs die Dirigentenleistung. Die Begleitung der Sänger war schlechthin perfekt, die Szenen bauten sich musikalisch überzeugend auf, das Vorspiel zum dritten Akt — ein Juwel romantischer Musik! — klang, als entstünde es vor uns.

Wo diese Musik spricht, entgeht man ihr nicht. Bei allen Maßlosigkeiten und inneren Tautologien ist Wagners Komödie mit dem zweifach bitteren Kern doch ein Quentchen vom Herzblut unserer Kultur. Sie reicht weit über das 19. Jahrhundert hinaus, dessen sie doch ein so getreuer Spiegel ist. Aber vielleicht gilt das für Wagners Werk überhaupt. Das Publikum, für das es in Bayreuth gespielt wird, wirkt vielfach wie eine Auferstehung der Gründerjahre. Sollte sein Enthusiasmus dorthin applaudieren?

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