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Nacht und Morgen über Bayreuth

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Von allem Anfang an war Wagners Werk mit der hohen Staatspolitik verknüpft. „Wenn es des Teuren Wunsch und Wille ist, so verzichte ich mit Freuden auf die Krone und den öden Glanz“, schrieb Ludwig von Bayern an den Meister, dessen Visionen er in königliche Entschlüsse umzuwandeln bereit war und der Mühe hatte, den verstiegenen jungen Monarchen wieder zur Realität zurückzuführen. In der nachfolgenden Bismarck- und der Wilhelminischen Ära galt Wagner, obwohl er keine staatliche Forderung erfuhr, als Gestalter des neudeutschen Machtwillens — sehr zu Unrecht übrigens! — und während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes geriet Bayreuth wieder in ein politisches Kräftefeld . Kein Wunder also, daß nach 1945 um Bayreuth sofort wieder ein mehr kulturpolitisches als künstlerisches Streitgespräch begann, das bereits abzuklingen scheint und die Leistungen des Bayreuth von heute unter der Leitung der beiden tüchtigen Wagner- Enkel Wolfgang und Wieland Wagner um so deutlicher hervortreten läßt.

Im Mittelpunkt des Lebensberichts der rebellischen Wagner-Enkelin F r i e d e 1 i n d, die im zweiten Kriegsjahr Deutschland verließ und über die Schweiz, England und Südamerika in d’e Vereinigten Staaten emigrierte, steht Winifred Wagner. Um sie dreht sich auch der zweite, hier allein interessierende Teil des Buches von Erich Ebermayer. — Die geborene Engländerin Winifred Williams, Tochter einer kleinen Schauspielerin und eines musikliebenden Ingenieurs, wurde als Vollwaise mit zehn Jahren von dem alten Ehepaar Klindworth adoptiert. Der Prozeß ihrer völligen „Eindeutschung" vollzog sich, wenn wir von häufigem Schulwechsel absehen, ohne besondere Schwierigkeiten, und im Oberlyzeum der Königlichen Augusta-Schule in Berlin wurde sie zur perfekten deutschen Hausfrau und Mutter ausgebildet. Bereits in der Jugend zeigten sich ihre Fähigkeiten und Charaktereigenschaften. Sie war „ganz Energie, ganz deutsche Tüchtigkeit und englische Zähigkeit". Durch Klindworth, den bekannten Wagner-Apostel und Hersteller der vorzüglichen Klavierauszüge, kam Winifred nach Bayreuth. Dort lernte sie den um fast 30 Jahre älteren Siegfried Wagner kennen, den die knapp Achtzehnjährige heiratete. In Bayreuth gelang es ihr, sich der alten Cosima unterzuordnen, aber es begann der Krieg mit den Tanten, den Bülow-Töchtern Daniela und Eva, die ihre erbitterten Feindinnen wurden und bei denen Friedelind später Unterstützung gegen ihre Mutter finden sollte. (Die dritte und schönste Bülow-Tochter, Blandine, hatte mit 20 Jahren den Grafen Gravina geheiratet und lebte in Florenz.) 1930 starben Cosima — mit 93 Jahren — und Siegfried Wagner. Von nun ab war Winifred die .Herrin von Bayreuth .

Ohne Zweifel besaß Winifred Wagner, die als Senta Klindworth adoptiert worden war und in einem musikalischen Milieu aufwuchs, wo man Richard Wagner vergötterte, hervorragende Fähigkeiten, das Werk ihres verstorbenen Mannes fortzuführen und das Erbe von Bayreuth zu verwalten. Aber sie war es auch, die Bayreuth in jenes Verhältnis zum nationalsozialistischen Staat hineinmanövrierte, das seinen weithin sichtbaren Ausdruck in Hitlers prunkvoller Hofhaltung in Haus Wahnfried, besonders während der ersten Jahre nach 1933, fand. Obwohl Engländerin von Geburt, besaß sie keinerlei demokratische Anlagen. Mit Siegfried Wagner, der sie gewähren ließ, teilte Winifred die Verachtung und Ablehnung der jungen Republik. Man trauerte in Wahnfried dem Glanz der Wilhelminischen Epoche nach — obwohl Kaiser und Kanzler kein besonderes Interesse für Bayreuth gezeigt hatten —, und man hatte vergessen, daß Richard Wagner 1848 auf den Dresdener Barrikaden gestanden hatte… Kurzum: man sehnte sich nach der „starken Hand" — die sich denn auch bald nach Bayreuth ausstreckte.

Am 30. September 1923 kam anläßlich eines „Deutschen Tages“ Hitler nach Bayreuth. Nach einem Besuch bei H. St. Chamberlain betrat er Wahnfried zum erstenmal am 1. Oktober. Friedelind hat diesen Besuch ausführlich und nicht ohne Sinn für das Groteske der Situation geschildert. Aber sie war damals fünf Jahre alt… Jedenfalls hat Hitler dort eines der vielen feierlichen Versprechen gegeben, die nie eingelöst wurden: „Wenn es mir je gelingen wird, irgendeinen Einfluß auf die Geschicke Deutschlands auszuüben, dann werde ich dafür sorgen, daß der .Parsifal'wieder an Bayreuth zurück- gegeben wird.“ Am 14. November erscheint bereits in den Zeitungen ein offener Brief Winifreds, in dem sie sich zur neuen Partei und ihrem Führer bekennt. 1925 bis 1933 war Hitler nicht in Bayreuth, aber Winifred hielt ihm und der Partei die Treue während der „Kampfjahre“. Sie sammelte Geld und Kleider für die Angehörigen der Landsberger Häftlinge, und das Papier, auf dem der erste Teil von „Mein Kampf“ geschrieben wurde, stammt — nach der übereinstimmenden Aussage von Friedelind Wagner und Erich Ebermayer — aus Haus Wahnfried. Siegfried Wagner ließ Winifred zwar gewähren, war aber bestrebt, Bayreuth aus der Tagespolitik herauszuhal- ten. Mit Bezug auf ihren politischen Übereifer soll er eines Tages gesagt haben: „Winnie vernichtet alles, was ich so verzweifelt aufzubauen versuche!" über seine Ablehnung des Antisemitismus ließ Siegfried Wagner nie einen Zweifel, und Friedelind zitiert einen schönen Brief aus dem Jahre 1921, in dem Siegfried seinen Standpunkt mit aller wünschenswerten Entschiedenheit vertritt. Auch Winifreds Haltung ist „ebenso rätselhaft inkonsequent wie die anderer Nazis, die ich kannte“, schreibt Friedelind an einer anderen Stelle. Man ist zwar theoretischer „Rassist und eifriger Nationalsozialist, verkehrt aber mit Juden und schimpft auf die Partei… Aber noch war der neue Mann nicht an der Macht.

Im ersten Festspielsommer nach der „Machtergreifung waren in Bayreuth noch zwei jüdische und neun ausländische Sänger in größeren Rollen beschäftigt. Toscanini zog sich zurück, aber es blieben genug berühmte deutsche Dirigenten, wie Richard Strauß und Furtwängler. Und hinter den Kulissen zog Tiedjen die Fäden … Im gleichen Sommer kehrte auch Hitler siegreich in Bayreuth und in Wahnfried ein, wo er wochenlang Hof hielt. Immerhin wurde das ärgste vermieden: innerhalb des Festspielhauses kam es zu keinen Kundgebungen, und das Niveau der Aufführungen war immer noch sehr hoch. — Das Verhältnis Friedelinds zu ihrer Mutter hatte sich inzwischen mehr und mehr zugespitzt. Hier trafen zwei harte, gleichstarke Charaktere aufeinander, und die Kette der Konflikte und Zusammenstöße reißt kaum ab. Die anderen Kinder — Wieland, Wolfgang und die charmante Verena — sind leichter lenkbar. Auch scheint es nicht ganz den Tatsachen zu entsprechen, wenn Friedelind ihre persönlichen Konflikte mit der Familie, insbesondere mit ihrer Mutter, nur aus ihrer politischen Opposition erklärt. Der endgültige Bruch kam erst 1940, als Friedelind sich weigerte, von Zürich — wo einst ihr Großvater im Exil gelebt hatte — nach Deutschland zurückzukehren. Winifreds heftige Bemühungen, den Skandal zu vermeiden, scheiterten. „So war die Erinnerung an sie, die ich mit mir nahm: schön, zorngerötet, unversöhnlich", schreibt Friedelind einige Jahre später in der Emigration.

Dieser „Skandal", daß eine Wagner mitten im Kriege zum Feind übergelaufen war, wurde gegen Bayreuth ausgespielt. Denn man hatte auch Feinde. Innerhalb der Partei waren es vor allem Göbbels und Streicher, gewisse Kreise der HJ und des BdM, die der rassischen Diffamierung Wagners durch den bekannten Professor Günther zustimmten, der Wagner als „barock" und „ostisch" bezeichnet hatte. Auch widersetzte man sich in Haus Wahnfried dem Eintritt in die Reichstheaterkammer und zog sich so die Ungnade von Goebbels zu. Trotz der persönlichen Beziehungen Winifreds zu Hitler, deren Höhepunkt in der diplomatischen Mission zu erblicken ist, die ihr bei einem Empfang von Simon und Henderson in der Reichskanzlei 1935 zugedacht war, hatte Bayreuth durch den nationalsozialistischen Staat keine wesentliche Förderung erfahren. Die Subventionen in den ganzen elf Jahren betrugen rund eine halbe Million Mark, eine geringe Summe, wenn man bedenkt, daß das Weimarer Nationaltheater mit einer Million Mark jährlich unterstützt wurde. Und der „Parsifal"wurde auch nicht an Bayreuth zurückgegeben … Bei Kriegsausbruch wollte Winifred die Festspiele — wie während des ersten Weltkrieges — unterbrechen, aber es mußte auf ausdrücklichen Wunsch der obersten Führung weitergespielt werden, und zwar für Soldaten und Rüstungsarbeiter. Damit zog ein für Bayreuth völlig ungewohntes Publikum im Festspielhaus ein, und nicht alle, die in jenen Jahren mit dem hochkomplizierten, hintergründigen und anspruchsvollen Werk Wagners konfrontiert wurden, mögen genügend vorbereitet gewesen sein. Aber für viele Tausende wurden Bayreuth und die Opern Wagners zum Erlebnis, und sie werden vielleicht den Wunsch haben, auch das neue Bayreuth kennenzulernen …

Noch eines makabren Zwischenspieles hat der Chronist zu gedenken, bevor sich der Vorhang über dem Bayreuth von heute hebt. Auch diese Stadt wurde vom Krieg nicht verschont: Haus Wahnfried wurde durch Bomben zum Teil zerstört, und im Festspielhaus wurde kurze Zeit für die Besatzungsmacht gespielt… Nachdem Winifred Wagner vorläufig auf die Teilnahme an der Leitung der Festspiele verzichtet hat, liegt die Verwaltung des Erbes von Richard Wagner nunmehr in den Händen seiner beiden Enkel Wieland und Wolfgang. Die ersten Festspiele im Sommer dieses Jahres —

über die in der „Furche" ausführlich berichtet wurde — haben den Beweis erbracht, daß man in Bayreuth entschlossen ist, nicht nur das Erbe zu hüten, sondern auch künstlerisch neue Wege zu gehen. Dies bezeugte vor allem die neue „Parsifal "-Inszenierung, aber auch die Erneuerung des „Rings" durch Wieland Wagner. Von maßgeblichen Kritikern wurde ihm bestätigt, daß seine Inszenierungen Wagners Absichten zutiefst entsprechen und nur die Erwartungen der Anbeter Wagners sowie des berauschten Bildungsbürgertums enttäuschten. Jedenfalls ist man heute in Bayreuth fest entschlossen, mit dem Wagner-Kult aufzuräumen und das Festspielhaus gründlich zu „entrümpeln“, was sich zunächst in dem Verzicht auf die geliebten alten illusionistischen Versatzstücke und Prospekte äußert. Wieland und Wolfgang Wagner haben, nach den Worten eines Kritikers, erkannt, daß es nicht damit getan sei, die Kontinuität der Festspiele nach siebenjähriger Unterbrechung wieder aufzunehmen, sondern daß es diesmal um weit mehr geht: „Um die Gewinnung eines neuen, weder legendären noch nationalistisch verfälschten Wagner-Bildes, um die Verlebendigung der Wagnerschen Idee im Geist und durch die Gestaltungsprinzipien des musikalischen Theaters unserer Zeit… Sie haben höchste Ehrfurcht vor dem Werk des Großvaters, aber nicht die geringste vor dem seiner doktrinären Ausleger gezeigt und damit die Bayreuthlegende von der sakrosankten Unantastbarkeit überlieferter Stilvorstellungen endgültig überwunden. Jeder, der in Bayreuth den Geist Wagners und nichtden der Wagnerianer verwirklicht sehen will, wird ihnen recht geben.

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