Bayreuth ohne Onkel Wolf

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Lange vor Richard Wagner machte Markgräfin Wilhelmine Bayreuth zum Gesamtkunstwerk.

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Lange vor Richard Wagner machte Markgräfin Wilhelmine Bayreuth zum Gesamtkunstwerk.

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Bayreuth ohne Onkel Wolf. Bayreuth ohne die Familie, die den Ort berühmt gemacht und den Onkel Wolf bewundert hat. Bayreuth ohne Winifred Wagner, ohne den Schatten der Hitler-Verehrung (Hitler ließ sich von der Familie Wagner bekanntlich gern Wolf nennen), lang vor Richard Wagner. Kaum zu glauben, daß Bayreuth auch schon damals Bayreuth war, Ort der Musen, Zentrum der Künste.

Das Bayreuth Wagners und seiner Nachkommen hat das Vor-Wagner-Bayreuth fast völlig zugedeckt, auch wenn die privilegierte Schicht, die regelmäßig zu den Wagner-Festivitäten anreist, die Bauten sieht, kennt und schätzt. Der Kontext, in dem sie entstanden sind, die kulturelle Atmosphäre im Bayreuth des achtzehnten Jahrhunderts ist verdrängt und vergessen. Verdrängt nicht im Sinne Sigmund Freuds, sondern in einem handfesteren Sinne verstanden: Durch die Ausstrahlung des Richard-Wagner-Kults wurde das Vor-Wagner-Bayreuth einfach in den Hintergrund gedrängt.

Dieses Bayreuth ist nicht nur dank seiner baukünstlerischen Hinterlassenschaft ein Juwel des Rokoko, sondern, als von einer großen, starken, vielseitig begabten Persönlichkeit geprägter Ort (darin darf man einen Bezug zu Wagner erkennen), auch ein kulturhistorisches Phänomen. Ein viel zu bedeutsames, interessantes Phänomen, um lediglich jenen einen prachtvollen Rahmen abzugeben, die, auf Richard Wagner fixiert oder der eigenen Selbstdarstellung zuliebe, anreisen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist die Wiederentdeckung dieses Bayreuth durch Peter O. Krückmann so verdienstvoll und die zweibändige, wunderschön ausgestattete, reich illustrierte kulturhistorische Dokumentation, mit der nun dieses Bayreuth ins Bewußtsein zurückgeholt wird, so interessant. Denn das heutige Bayreuth ist nun einmal Richard Wagners Bayreuth. Bayreuth vor Richard Wagner hingegen war Markgräfin Wilhelmines Bayreuth.

Die Persönlichkeit, welche die Stadt vor Wagner nicht weniger wirkungsvoll, nicht weniger glanzvoll prägte, war die Schwester Friedrichs des Großen, Markgräfin Wilhelmine. Der Übertitel besagter Dokumentation lautet durchaus zurecht: "Paradies des Rokoko". Für die Künstler war Bayreuth im achtzehnten Jahrhundert ein Paradies. Der Titel entbehrt aber nicht eines leichten ironischen Untertons. Das Elend wird nicht ausgespart, jedenfalls nicht völlig. Es begegnet uns freilich weniger als Elend derer, die als Soldaten, Arbeiter und Steuerzahler die höfische Prachtentfaltung ermöglichten. Dafür massiv als Kälte der menschlichen Beziehungen in Herrscherhäusern im allgemeinen und im Elternhaus Friedrichs des II., des "Großen" und Wilhelmines ganz besonders, als Kälte königlicher und fürstlicher Heiratspolitik, als Eiseskälte hinter äußerem Glanz.

Ralph-Rainer Wuthenow bringt es im Kapitel "Ehrgeiz und Elend am Preußischen Hof" als einer der vielen Autoren des zweiten Bandes auf den Punkt: Er nennt Wilhelmine, die dem britischen Thronerben zugedacht war, dann aber den Markgrafen von Bayreuth heiratete, "einen Menschen, der bedeutender ist als der Rahmen, in den er gezwängt worden war".

Eine interessante Parallele zwischen Markgräfin Wilhelmines Bayreuth und Richard Wagners Bayreuth: Jedes dieser beiden Bayreuths war als Gesamtkunstwerk angelegt. Und ähnlich, wie Richard Wagners Gesamtkunstwerk dem kulinarischen Zugang Wesentliches vorenthält, trägt auch Markgräfin Wilhelmines Bayreuth zwar seine Ästhetik offen zur Schau, bedarf aber der Entschlüsselung, um wirklich verstanden zu werden. Diese Entschlüsselung erschöpft sich keineswegs in der Darstellung der geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und Bezüge, sondern bedarf des Eindringens in ein durchdachtes, durchaus persönliches, zu einem großen Teil bewußt in das geheimnisvolle Dunkel der Symbole, Allegorien, Assoziationen und Anspielungen gehülltes Programm, und es ist ein intellektuelles Vergnügen, Peter O. Krückmann dabei zu folgen.

Die von der Markgräfin entfaltete Bautätigkeit, welche die Kleinstaat-Finanzen des Bayreuther Hofes weit überforderte, war wohl nicht zuletzt "gebauter Traum", die in die Außenwelt projizierte reiche Innenwelt einer Frau, die in ihrer Phantasie Zuflucht vor dem unerträglichen Druck einer unsäglichen Familie gesucht hatte. Sie war aber wohl zugleich auch ein Ersatz für die enttäuschte Hoffnung, Königin von England zu werden. (Was sie übrigens nie geworden wäre. Der britische Nicht-Gatte starb als Thronfolger.)

Statt dessen erbaute Markgräfin Wilhelmine ihr Musenreich. Dies entsprach durchaus dem Zeitgeist: Das wie auch immer verstandene Goldene Zeitalter, das auf China projizierte und allenthalben in modischen Chinoiserien beschworene Arkadien, führte damals in Europa ein starkes, doch von der Realität abgehobenes Eigenleben in den Köpfen. Doch unter Wilhelmines Fittichen wurde es in Bayreuth für einen kleinen Kreis kurzlebige Wirklichkeit. Markgräfin Wilhelmine selbst war vielseitig begabt, plante zum Teil selbst ihre Bauten, schrieb, komponierte. Zu ihren Vertrauten zählten die Theaterzauberer aus der Familie Galli Bibiena, deren Wirken im zweiten Band nachgegangen wird.

Das alles war längst vorbei, als am 18. April 1871 "ein kleiner, beweglicher Herr" um Unterbrechung einer Theaterprobe ersuchte, um sich den Bau anzusehen, weil er keine Zeit habe. Er fand das Opernhaus aber für seine Zwecke ungeeignet und begnügte sich ein Jahr später mit einem Konzert anläßlich der Grundsteinlegung für sein eigenes, neues Festspielhaus. Onkel Wolf wollte Bayreuth zum "Gauforum" und Richard Wagners Festspielhaus zur "deutschen Akropolis" machen. Statt dessen sanken Markgräfin Wilhelmines Neues Schloß der Eremitage und ihr Apollo-Tempel in Schutt und Asche.

DAS BAYREUTH DER MARKGRÄFIN WILHELMINE Von Peter O. Krückmann GALLI BIBIENA UND DER MUSENHOF DER WILHELMINE VON BAYREUTH Herausgeber: Peter O. Krückmann Prestel Verlag, München 1998 Band I: 144 Seiten, Ln., öS 569,- Band II: 288 Seiten, Ln., öS 628,- Beide Bände im Schuber: öS 1.080,

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