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Keine JKignermatineen mehr, liebe Cosima

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Brief eines Mozart-Liebhabers an Cosima Wagner über den „Schlechtwetterkapellmeister“ und seine Interpreten.

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Brief eines Mozart-Liebhabers an Cosima Wagner über den „Schlechtwetterkapellmeister“ und seine Interpreten.

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Cosima, liebste Schwester, hab vielen Dank für Deinen Brief und für die freundlich gemeinte Einladung zur Sonntagsmatinee für Wagners „Fliegenden Holländer“, die ich aber nichtsdestotrotz ausschlagen muß: Ich kann seit langem keinen Geschmack mehr an solchen Matineen finden. Ich möchte für den Rest meines Lebens keinen dieser abgeschleckten Conferenciers in ihren weißen Anzügen und mit ihren aufgeklebten k. u. k.-Hof- schnurrbärten und ihr auswendiggelerntes Allgemeinbildungsgeplauder und ihre todmüden Uber- brückungsspäßchen und ihr distinguiertes Sektgeschlürfe mehr über mich ergehen lassen müssen.

Erstens, liebe Cosima, kann ich gerade Wagner und zweitens seinen „Fliegenden Holländer“ nicht ausstehen, und ich glaube ganz ernsthaft, daß Wagner in Wahrheit vollkommen unmusikalisch war. Wagner ist etwas für Pflichtbewußte, ich kann mir keinen Wagnerhörer als den aufopferungsfreudigen und masochistischen Wagnerhörer vorstellen, ja für Wagner selbst muß das Komponieren offenhörbar ein zähes

Ringen mit den widrigen Wogen des Schöpferschicksals, eine ununterbrochene, furchtbare Mühsal, wenn nicht eine Plage gewesen sein. Ich bin darüber hinaus überzeugt, daß sich Wagners Opern selbst nicht leiden können und nur widerwillig auf der Welt sind. Kurzum, meine Liebe: Wagner gehört wohl zum guten Ton, aber nicht umgekehrt.

Daß die Altphilologen, Mediävisten und Deutschdeutsche mit Wagner eine gewissermaßen berufsbedingte Freude haben, ist selbstverständlich und verzeihbar, heutzutage findet man nur noch selten einen so lautstarken und pompösen Bauchpinsler der wichtigsten mittelhochdeutschen Ge- schlechtergemetzel. Aber wenn man einem Komponisten zuliebe

erst Altphilologe oder Mediävist oder Hunne werden muß, spricht das - bei allem Respekt - eigentlich gegen den Komponisten. Par- zival ist mir viel lieber als Parsifal, und ich bin auch so viel Moralist, anzumerken, daß die Nibelungen unabhängig von Wagner daheimbleiben hätten sollen.

Wagner ist ja vor allem eine Aufforderung an die Meteorologie

zu umgehender Bewölkung und Düsternis und Nieselregen und Windpeitsche, das schädigt den Fremdenverkehr, die Kulturpolitiker unternehmen natürlich nichts, die haben ja alle Dienstoropax, aber südlich des Alpenhauptkamms Wagner zu spielen ist eo ipso peinlich und geschmacklos, südlich des Alpenhauptkamms um alles in der Welt kein komponierender Eskimo, südlich des Alpenhauptkamms um alles in der Welt kein dämonischer Schlechtwetterkapellmeister, beim Wotan! Wagner ohne Aspro ist ein Wagnis. Kein Eintritt in die Oper ohne Gummistiefel! Ohne sein verkrampftes Unwetter würde Wagner nur als Pfütze auf der Bühne übrigbleiben, liebe Cosima!

Sicher würde ein Wagnerinszenierungsprofessor auch verkünden, Wagner hätte nach zähem Ringen erkannt, daß man Heimat weder an irgendeinem Ort, noch in irgendeinem Land, sondern ausschließlich in einem anderen Menschen finden kann, was zwar stimmt, soweit es die fatale Vaterländerei und die bornierten Patriotismen betrifft, was im übrigen allerdings doch ein grober Unfug ist. Erstens kann mir kein in einem anderen Menschen heimatsuchender Mensch Heimat sein, der rennt mir doch entweder ständig fort oder treibt profane Geschäfte mit mir, zweitens ginge eine Heimat bestimmt nicht so oft zum Frisör und drittens schnappt sich der Mensch unvermutet eine Influenza, einen Krebs oder einen Gehimschlag, und schon sind der

Mensch und die Heimat wieder weg. Ein in die Erde eingegrabener Mensch wäre eine erbärmliche Heimat.

Überhaupt ist die unaufhörliche Heimatsuche und das damit verbundene degoutante Heimatgefasel eine verheerende Massenfehlleistung und für die fürchterlichsten menschlichen Katastrophen und Tragödien verantwort- ich, damit will ich nichts zu tun naben. In die eigentliche Heimat, aus der wir alle kommen, kommen wir nie mehr zurück, Lebe Schwester, und eine andere Heimat haben wir nicht. Wer einen Heimatroman schreiben will, muß einen Roman über die Schwangerschaft seiner Mutter schreiben, andernfalls wäre er ein Volksverderber. Vor dem Tod ist jedes Gezeter vergebens, ein gegen anatomische Unmöglichkeiten aufbegehrender Mensch ist unzurechnungsfähig, Wagner inklusive. Wir sollten endlich mit der unsinnigen und verhängnisvollen Heimatsuche Schluß machen und uns anstatt dessen ein gescheites Exil besorgen. Der lebendige Mensch kann nur im Exil Erfüllung finden, nicht in der Heimat, bei Mozart hört man das.

Mit einem Wort, hebe Cosima: Wagner nicht! Und keine gemüt- Lchen Matineen! Aber warum fliegen wir nicht über die Autobahn, füllen das Autoinnere mit „Don Giovanni“ und drehen kommentarlos auf Lautstärke 10! Gib mir Bescheid, wann ich Dich abholen soll! Reich mir die Hand, mein Leben!

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