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Neue und abgebrannte Opernhäuser

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„Sprengt die Opernhäuser in die Luft“, sagte Pierre Boulez in einem weltberühmten Interview, das am 25. September 1967 im „Spiegel“ erschien. Allerdings darf man den Ausspruch nicht gar zu wörtlich nehmen, denn in Bayreuth dirigierte er Richard Wagners „Parsifal“, in Paris Alban Bergs „Wozzek“ und in London Debussys „Pelleas et Melisande“, und man spricht sogar davon, daß er selber eine Oper schreiben will. Jedenfalls findet er, daß seit Alban Berg, also seit 35 Jahren, keine diskutable Oper mehr komponiert wurde. Wieland Wagner war der einzige Opernregisseur, der ihn zur Zusammenarbeit provoziert hat, auch Peter Brook und Ingmar Bergman betrachtet er als wirkliche Regisseure, als Regisseure nämlich, die eine moderne Oper inszenieren könnten, wenn es so etwas gäbe. Daß es so etwas nicht gibt, liegt für ihn hauptsächlich daran, daß man in einem Theajer, in dem vorwiegend Repertoire gespielt wird, nur mit größten Schwierigkeiten moderne Opern einstudieren kann. „Die teuerste Lösung“, sagte er zwei „Spiegel“-Redak-teuren, „wäre, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Aber glauben Sie nicht auch, daß dies die eleganteste wäre?“

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„Sprengt die Opernhäuser in die Luft“, sagte Pierre Boulez in einem weltberühmten Interview, das am 25. September 1967 im „Spiegel“ erschien. Allerdings darf man den Ausspruch nicht gar zu wörtlich nehmen, denn in Bayreuth dirigierte er Richard Wagners „Parsifal“, in Paris Alban Bergs „Wozzek“ und in London Debussys „Pelleas et Melisande“, und man spricht sogar davon, daß er selber eine Oper schreiben will. Jedenfalls findet er, daß seit Alban Berg, also seit 35 Jahren, keine diskutable Oper mehr komponiert wurde. Wieland Wagner war der einzige Opernregisseur, der ihn zur Zusammenarbeit provoziert hat, auch Peter Brook und Ingmar Bergman betrachtet er als wirkliche Regisseure, als Regisseure nämlich, die eine moderne Oper inszenieren könnten, wenn es so etwas gäbe. Daß es so etwas nicht gibt, liegt für ihn hauptsächlich daran, daß man in einem Theajer, in dem vorwiegend Repertoire gespielt wird, nur mit größten Schwierigkeiten moderne Opern einstudieren kann. „Die teuerste Lösung“, sagte er zwei „Spiegel“-Redak-teuren, „wäre, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Aber glauben Sie nicht auch, daß dies die eleganteste wäre?“

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Friedelinde Wagner, Schwester von Wieland, ist jedenfalls seiner Meinung. „Let's help Boulez burn down the opera houses“ hieß der Vortrag, den sie im Londoner ICA für das Goethe-Institut hielt — „Laßt uns Boulez helfen, die Opernhäuser zu verbrennen“. Dabei ging es ihr nicht nur um die Neue Oper im Speziellen, sondern um die Erneuerung der Oper im Allgemeinen, um die Überwindung alter Tabus, die Einbeziehung der Jugend in den Prozeß der Aktivierung und der Aktualisierung, kurzum: sie ist bereit, Barrikaden zu erstürmen, Idole zu zertrümmern, Gewohnheiten auszurotten, echte Begeisterung und totales Engagement sprechen aus ihren zündenden Worten.

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Die verbrannten Opernhäuser sollen nicht etwa das Ende der Oper bedeuten, sondern sie sollen durch neue Opernhäuser ersetzt werden, durch Stätten, welche die Teilnahme der Zuhörer ermöglichen, die Trennung zwischen Bühne und Parkett abschaffen, alle Schranken endgültig beseitigen und die Verwirklichung großzügiger Visionen ermöglichen.

Eine ganze Reihe solcher Projekte, die von kühnen Architekten entworfen, gelegentlich sogar mit Preisen bedacht, aber letzten Endes nie ausgeführt wurden, zeigte sie in Diapositiven und machte auch konkrete Vorschläge, die nicht der Originalität entbehrten. So deutete sie den Lie-bestrank des Tristan in die Sprache der Hippies um und hielt es für möglich und zeitgemäß, den Liebestod in Form eines „Trips“ darzustellen. In der letzten Szene der „Meistersinger“ wollte sie Zuhörer und Darsteller in einem Pop-Festival vereinen und fand es bezeichnend, daß bereits bei zahlreichen Gelegenheiten, nicht nur 1968 in Avignon, das Theater sich auf die Straße begeben hatte. Sie war der Ansicht, daß ihr berühmter Großvater, wenn er heute lebte, vieles selbst ganz anders konzipiert hätte. Vor allem lehnte sie sich auf gegen museale Mumifizierung im Namen von Respekt und Ehrfurcht. Jedes Mittel schien ihr berechtigt, um ihr Ziel zu erreichen. Eine Brandstifterin ist sie allerdings genauso wenig wie Boulez, und beide hatten sie die Hand nicht im Spiel, als vor kurzem im Abstand von nur wenigen Wochen das Staatstheater von Montevideo, das schmucke kleine Opernhaus von Kairo und das Casino-Theater von Montreux abbrannten..

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Vorbereitungen waren bereits im Gange, um das 100jährige Bestehen der Kairoer Oper zu feiern, die der Khedive Ismail zur Eröffnung des Suezkanals erbauen ließ, am 24. Dezember sollte eine Aufführung der „Alda“ in Originalkostümen stattfinden, als sich die Kunde von dem Brand verbreitete. Zu Tausenden begaben sich die Leute auf den Opernplatz und mußten machtlos zusehen, wie das gesamte Material, wertvolle Instrumente, unersetzliche Partituren und seltene Manuskripte, von den Flammen verzehrt wurden, nichts konnte gerettet werden. Weder am Suezkanal noch im Kairoer Opernhaus werden nun Feiern stattfinden, es ist offenbar keine Zeit für bunte Feste.

Heute ist es schwer, sich den Aufwand an kostbaren Juwelen, prachtvollen Garderoben und edlen Pelzen, der selbst noch zwischen den beiden Kriegen an Galaabenden zur Schau gestellt wurde, in die Erinnerung zurückzurufen. Gekrönte Häupter und Monarchen im Exil gaben sich Rendezvous im Foyer, auf der Bühne standen Sänger wie Tito Gobbi, Gino Bechi oder Beniamino Gigli, Pianisten wie Rubinstein, Backhaus, Ignaz Friedman und Cortot, Geiger wie Hubermann und Milstein, Heifetz und Thibaut, Richard Tauber trat auf in der „Zauberflöte“, Joyce Blackham sang die Carmen, Miroslaw Gangalovic hörte man im Boris Godunow und im Fürst Igor. Nach dem zweiten Weltkrieg begannen in der Oper die Symphoniekonzerte, mehr und mehr wurden auch ägyptische Solisten, Dirigenten und Komponisten zugezogen, in den sechziger Jahren fand eine Aufführung der „Lustigen Witwe“ auf Arabisch statt, am 25. Oktober dieses Jahres erlebte das Publikum die ägyptische Premiere von Carl Orffs „Carmina Burana“ mit Ratiba el Hefney und Jürgen Koeppen in den beiden Hauptrollen, drei Tage später war nichts übrig von der ganzen Pracht, das Opernhaus lag in Schutt und Asche.

Keine frevlerische Hand, kein musikalischer Fanatiker, sondern ein Kurzschluß führte das plötzliche Ende herbei. Während die Glut noch kaum gelöscht war, begann man bereits, Pläne für ein neues Opernhaus in Angriff zu nehmen, und man spricht davon, daß Boremann, der Architekt der Westberliner Oper, damit beauftragt, werden soll. Ob er der richtige Mann ist, um die Bedingungen für ein modernes Musiktheater zu erfüllen, bleibe dahingestellt, aber es wäre ein Jammer, wenn diese einmalige Gelegenheit nicht dazu ausgenützt würde, um eine Bühne zu schaffen, mit der

Kommunikationsschwierigkeiten endgültig überwunden werden könnten und auf der die Aufführung einer modernen Oper im Sinne von Boulez mit einer modernen Inszenierung im Sinne von Friedelinde Wagner möglich wäre. Das erste Kairoer Opernhaus wurde vom Khedive zur Eröffnung des Suezkanals erbaut. Es würde dem Präsidenten Saadat zur Ehre gereichen, wenn er mit dem zweiten Opernhaus die Wiedereröffnung des Kanals feierlich begehen würde.

• Im Museum des 20. Jahrhunderts sprach der Theaterkritiker der „Furche“, Professor Karl Maria Grimme, über das Thema „Gibt es noch Kunst?“.

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