Schicksalsschwangere Leidenschaften

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Musiktheater-Finale bei den Salzburger Festspielen: Tschaikowski als orchestrales Ereignis, Monteverdi choreographisch inspiriert, Henze in schrillen Szenerien erzählt.

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Musiktheater-Finale bei den Salzburger Festspielen: Tschaikowski als orchestrales Ereignis, Monteverdi choreographisch inspiriert, Henze in schrillen Szenerien erzählt.

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Ein Sommer der Festspielheimkehrer? Fast hat es diesen Anschein. Waltraud Meier kam als Ortrud im neuen "Lohengrin" nach jahrzehntelanger Abwesenheit nach Bayreuth zurück. Und in Salzburg, wo er mit seiner "Fledermaus" in der Ära Mortier für einen handfesten Skandal gesorgt hatte, feierte Hans Neuenfels mit "Pique Dame" ein Comeback. Der Regie-Revoluzzer und der für seine konservativen Regievorlieben bekannte Mariss Jansons: Ob das gut gehen würde?

Aber Neuenfels erweist sich geradezu als zahm, erzählt die Geschichte etwas distanziert, erinnert nur zaghaft an den einstigen Provokateur. Etwa, wenn er die Kinder aus Käfigen herauskommen, die Choristen in altmodischen Badekleidern oder witzigen Insektenkostümen (eine Reminiszenz an seinen seinerzeitigen, mit Laborratten garnierten Bayreuther "Lohengrin") auftreten, die Zarin als Skelett hereintragen lässt, beim Schäferspiel mit drei Plüschschafen als skurrilem Blickfang konfrontiert.

Gespielt wird in einem zwischen Kasino-und Bahnhofshallenatmosphäre changierenden schwarzen Einheitsbühnenraum. Ende des zweiten Aktes verwandelt er sich zum in Weiß gehaltenen Schlafzimmer der Gräfin. Diese wirft sich vor ihrem Tod noch emphatisch auf den in einen roten Offiziersrock gesteckten Hermann. Die berührende Hanna Schwarz und der im Laufe des Premierenabends zu seiner Form findende Brandon Jovanovich (der damit an seinen Vorjahrserfolg als Sergej in Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" nicht ganz anschließen konnte) warten mit eindrucksvollen vokalen Leistungen auf. Überstrahlt nur von Igor Golovatenkos darstellerisch ebenso mustergültigem Jelezki. Blass Evgenia Muraveva als Lisa. Für sie zeigt diese Regie weniger Interesse als für die Figur des Hermann: für Neuenfels kein dem Wahnsinn Verfallener, sondern ein von seinem Schicksal Genervter.

Das Ereignis dieser "Pique Dame"-Premiere sind die Wiener Philharmoniker und die von Mariss Jansons ebenso zu einer Höchstleistung animierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Plastischer modelliert, differenzierter in den Details, spannungserfüllter, vor allem ohne jeden Anflug von Larmoyanz ist dieser Tschaikowski nicht vorstellbar.

Körpersprache und Musik

Bloß eine aktuellen Moden gehorchende, von der Musik ablenkende, auf äußerlichen Effekt ausgerichtete Performance, wie manche sinnierten? Oder doch der eigenwillig-mutige Versuch einer differenzierten Verbindung von Musik- und Tanztheater für eines der großen Meisterwerke Alter Musik? Jan Lauwers wartet in seiner Interpretation von Claudio Monteverdis "L'incoronazione di Poppea" mit unkonventionellen, stark von der spezifischen Gedankenwelt Goyas beeinflussten Bildern auf. Eine wesentliche Rolle spielen die exzellenten Tänzer seiner Needcompany. Mit ihrer beredt-virtuosen Gestik und ihren originellen Designer-Kostümen kommentieren wie illustrieren sie pointiert die jeweiligen Handlungsfäden.

Mit einem in der Bühnenmitte platzierten, sich die gesamte Aufführung in Derwisch-Manier drehenden Tänzer macht die Regie unmissverständlich deutlich, dass dieses um Kaiser Nero, dessen von ihm verstoßene Gattin Ottavia und die sich an ihrer Stelle zur Kaiserin aufschwingende Poppea -damit um Macht, Leidenschaft und Brutalität -kreisende Szenario bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat. Bei all seiner choreographischen Vorliebe und einem Faible für unerwartete Details vergisst der Regisseur nie auf eine klare Personencharakterisierung.

Die virtuose Sonya Yoncheva als machtgeile Titelfigur, der von Kate Lindsay markant gezeichnete, mit Eros nicht geizende Nerone, die von ihrem Gatten gedemütigte, am Ende ins Exil verbannte Ottavia von Stéphanie d'Oustrac, der mit jugendlichem Flair auftretende, seine Offenheit mit dem Tod büßende Seneca von Renato Dolcini und der brillante Countertenor von Carlo Vistoli als emotional heftig zwischen Poppea und Drusilla schwankender Ottone dominierten das mit hoher Bühnenpräsenz aufwartende, hochkarätige Solistenensemble.

Nicht wie erwartet vom Dirigentenpult, sondern vom Cembalo führte Altmeister William Christie die auf zwei Seiten der Bühne aufgeteilten sechzehn Musiker seiner exquisiten Les Arts Florissants souverän durch die Partitur. Er zielte mit seiner Darstellung weniger auf die Dramatik des Sujets als auf die sensible Herausarbeitung individueller Seelenlandschaften. Eine auf die Idee einer viersätzigen Symphonie bauende Oper: so hat Hans Werner Henze seine für die Salzburger Festspiele geschriebene, dort 1966 uraufgeführten "The Bassarids" konzipiert. Mit einem Intermezzo inmitten des dritten Satzes, dessen zügellose Sexatmosphäre Krzysztof Warlikowskis fantasievoll-schrille Inszenierung auch voyeuristisch auskostet. Er erzählt diesen assoziationsreichen antiken Stoff in plakativ-bunten Tableaus, fügt Personen dazu, die sich nicht unmittelbar erschließen, weitet das Sujet in das Geheimnisvoll-Mystische.

Die andere Salome

Henzes Opera seria ist ein Lehrstück, wie man Massenhysterie erzeugen kann, die schließlich selbst eine Mutter zwingt, den eigenen Sohn zu enthaupten. Gewissermaßen eine andere Salome, die damit ideal in das von der Idee der Macht beherrschte Musiktheaterkonzept dieses Festspielsommers passt. Die ebenfalls in der Felsenreitschule gezeigte Strauss-Oper stand bekanntlich am Beginn des diesjährigen Salzburger Musiktheater-Reigens.

Für "The Bassarids" wartet die auch für die vielschichtigen Kostüme verantwortliche Małgorzata Szcze s´niak mit einer Lösung auf, die gleichermaßen die Breite des Raumes wie die stetig wechselnden Orte des Geschehens berücksichtigt: eine Aneinanderreihung unterschiedlich ausgestatteter, auf das Wesentliche reduzierter Innenräume, die die verschiedenen Ambiente der einzelnen Szenen plastisch suggerieren. Zugleich Orte, die den Solisten wie den vornehmlich auf der Bühne, anfangs vor dem Orchester agierenden, von Huw Rhys James minutiös einstudierten Staatsopernchoristen genügend Platz einräumten, um mit den von ihnen verlangten gestischen Exaltationen uneingeschränkt brillieren zu können.

Kent Nagano setzt an der Spitze der bestens gestimmten Wiener Philharmoniker auf klare Strukturen und größtmögliche Genauigkeit dieser komplexen Musik. Er legt damit den mit Bravour ihre Herausforderung meisternden Solisten -angeführt von Sean Pannikars verführerischem Dionysos, Russel Brauns vergeblich um Kontur ringendem Pentheus, William Whites altersweise-profundem Cadmus und Tanja Ariane Baumgartners von hysterischer Ekstase erfüllter, intensiver Agave/Venus - einen idealen Teppich.

Dass sich nicht nur mit populärem Repertoire sondern auch mit Opern der Moderne punkten lässt, haben nach dem vorjährigen "Wozzeck" und "Lear" nun auch diese heftig akklamierten "Bassariden" gezeigt. Ob sich das mit - wie man hört - George Enescus "Oedipe" nächsten Sommer fortsetzen wird?

Pique Dame Großes Festspielhaus, 25. August

L'incoronazione di Poppea Haus für Mozart, 28. August

The Bassarids Felsenreitschule 23., 26. August

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