Nichts hat nur eine Seite

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Das Theater an der Wien zeigt Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ szenisch überzeugend. Die Arbeit von Regisseur Robert Carsen ist bis ins Detail überlegt und besticht durch klare Zeichnung der Charaktere sowie einen souveränen Umgang mit dem Licht. Musikalisch ist die Darbietung indes nur durchschnittlich.

Am Schluss steht Poppea alleine auf der Bühne, das Licht ganz auf sie konzentriert. Der zuvor das Geschehen dominierende rote Vorhang ist zu ihrem Umhang geworden. Eine wahrhaft königliche Erscheinung. Niemand könnte es besser malen, kein Fotograf zwingender einfangen. So sieht Erfolg aus. Selbst wenn es nur eine Momentaufnahme ist.

Die mythische Figur in der Oper hat ausgedient, Menschen mit ihren Vorzügen und Schwächen werden in geradezu psychologischer Manier in Monteverdis letzter Oper vorgeführt. Die Themen sind vielfältig: Liebe, Macht, Sex, Intrige. Nicht zu vergessen – Karriere. Und zwar um jeden Preis. Königin will Poppea werden. Da ist ihr jedes Mittel recht. Selbst den von ihrem zukünftigen Gatten Nerone befohlenen Tod des Philosophen Seneca nimmt sie in Kauf. Die Ehe wird nur drei Jahre dauern. Mit einem Tritt in den Bauch wird Nerone seine schwangere Frau töten. So weit führt Giovanni Francesco Busenellos Libretto nicht. Es schließt mit der Erreichung von Poppeas Ziel: gekrönte Gattin des römischen Kaisers. Ein wenigstens kurzzeitiger Triumph.

Unvermeidlich: Die Badewanne

Wer Charaktere zeichnen, Personen führen kann, zudem mit dem Licht souverän umzugehen weiß, braucht keine oder kaum Requisiten. Wie der kanadische Regisseur Robert Carsen. Und, sieht man von scheinbar unvermeidlich gewordenen Koffern und – offensichtlich der Regieeinfall unserer Tage – einer Badewanne ab, sowie einem Bett und einigen Büchern in Senecas Denkerwerkstatt, hält er dies durch.

Carsens bis ins Detail überlegte Arbeit überzeugt durch klare Zeichnung der Charaktere und natürliches Führen von hier nur in Maßen auf die Bühne gestellten Massen. Und durch ein Bühnenbild (Michael Levine), wie es einfacher und eindringlicher nicht sein könnte: einen über die Bühne verteilten, zweiteiligen roten Vorhang. Immer wieder in andere Positionen gebracht, suggeriert er packend die Schauplätze der von Sex and Crime bestimmten Handlung, wandelt sich zur Schleppe oder zum Umhang. Eine Königsidee. Was auch für die gewählte Farbe gilt. Wie anders als mit Rot lassen sich die hier zur Schau gestellten Kämpfe, das mit aller Brutalität ausgespielte Thema der Dreierbeziehung zwischen Poppeas verlassenem Ehemann Ottone, der karrieregeilen Poppea und Nerone bezeichnen?

Monteverdi und seinem Librettisten geht es weder um Wertung noch um Moral. Die Personen werden in ihrer Vielschichtigkeit und Doppelbödigkeit gezeigt. Nichts, so Monteverdis wie Carsens Botschaft, hat nur eine Seite, ist eindeutig. Auch Mozart wird dieses Verfahren verwenden und es zur Perfektion führen.

„Vegetarische“ Interpretation

Weniger glücklich steht es bei dieser Produktion, die das Theater an der Wien mit der Glyndebourne Festival Opera und der Opéra National de Bordeaux koproduziert hat, um den musikalischen Teil. Das beginnt mit dem schwächelnden Nerone von Jacek Laszczkowski. Dass der polnische Sopran-Countertenor 2003 von einer renommierten Zeitschrift zum „Sänger des Jahres“ gekürt wurde, konnte er mit dieser Leistung am Premierenabend nicht bestätigen. Trine Wilsberg Lunds auch gestisch behäbiger Amor und Lawrence Zazzos die Schwierigkeiten seiner Rolle deutlich spüren lassender Ottone setzten dieses Bild fort.

Juanita Lascarro gab eine untadelige, wenn auch nur mit mäßiger persönlicher Strahlkraft ausgestattete Poppea, Marcel Beekman eine unwerfend komische Arnalta, Ingela Bohlin eine attraktive, ihre Reize gegenüber Ottone gekonnt ausspielende Drusilla. David Pittsinger spielte mit profunder Tiefe, stoischer Ruhe und intellektueller Überlegenheit den sich in sein Schicksal selbstverständlich fügenden Seneca. Ruby Hughes (Fortuna) und Renate Arends (Virtù) eröffneten leidenschaftlich mit dem zum Streit über ein- und denselben Sitzplatz pointiert umgedeuteten Prolog die Vorstellung.

„Vegetarisch“ nennen Engländer scherzhaft Interpreten, die sich derart auf das Wesentliche einer Partitur konzentrieren, dass für klangliche Vielfalt, Brillanz oder gar moussierendes Musikantentum nichts mehr übrigbleibt. Ganz auf diese Kargheit hatte der international gefragte Christopher Moulds das sonst ungleich facettenreicher und spannender musizierende Balthasar-Neumann-Ensemble eingestimmt. Präzision und unbedingte Klarheit waren seine erklärten Ziele. Hätte Carsen nicht für einen entsprechenden Kontrapunkt gesorgt, die dreieinhalb Stunden wären lang geworden.

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