Pique Dame  - © Wiener Staatsoper

Tosca - La Bohème - Boris Godunow - Pique Dame: Oberflächliches Glitzern und fundierter Glanz

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Puccini am Theater an der Wien und in der Staatsoper, Mussorgsky an der Volksoper, Tschaikowsky an der Staatsoper: ein diskursiver Opernbogen zu Jahresbeginn.

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Puccini am Theater an der Wien und in der Staatsoper, Mussorgsky an der Volksoper, Tschaikowsky an der Staatsoper: ein diskursiver Opernbogen zu Jahresbeginn.

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Jetzt wissen wir’s: Für Puccinis „Tosca“ benötigt es weder Kirche, damit auch keinen Mesner, noch Palast. Das Innere eines abgehalfterten Wohnwagens in einer Winterlandschaft mit einer Eiche mit Leichenteilen darauf und einem Kreuz als Blickfang tut es als Behausung für Scarpia auch. Auf die römische Engelsburg lässt sich ebenfalls verzichten.

Tosca wird diesmal von der im Libretto nur erwähnten, in dieser Produktion als Figur auftretenden Schwester Angelottis, der Gräfin Attavanti, auf einem Hügel (Bühnenbild: Annette Murschetz) erschossen. Der Todessprung bleibt ihr erspart. Eine überraschende Finallösung, deren Sinn verschlossen bleibt. Offen bleibt auch, warum sich Tosca (in den Höhen und Kantilenen häufig überfordert: Kristine Opolais), nachdem sie Scarpia (untadelig: Gábor Bretz) erdolcht hat, dessen weißen Pullover überzieht. Scarpia wird nicht als dämonischer Bösewicht gezeichnet, sondern als von Sexgier besessener, machtgeiler Dandy. Ihn versucht Tosca – überraschend unbeholfen und unsinnlich – im Negligé zu verführen, um das Leben ihres Geliebten Cavaradossi zu retten. Provozieren statt inszenieren hat sich der auch in seinem Haus, dem Wiener Burgtheater, mäßig erfolgreiche Martin Kušej für seine heftig ausgebuhte „Tosca“-Inszenierung am Theater an der Wien vorgenommen. Erfolgreich provozieren aber funktioniert nur, wenn man sich ein Sujet so zu eigen gemacht hat, dass auf diesem Boden neue Ideen erwachsen, die dank ihrer Erfindungskraft und begleitet von einer professionellen Art der Präsentation so für sich sprechen, dass dies zwingt, selbst bewährte Vorstellungen zu hinterfragen.

Aber wie soll das mit einer Regie gelingen, die sich selbstverliebt in oberflächlichem Glitzern aalt, nicht einmal ansatzweise nach fundiertem Glanz strebt? Ob der kurzfristig erkrankte Ingo Metzmacher mehr aus der Partitur herausgeholt hätte als der sich ihrer charakteristischen Poesie häufig verweigernde Marc Albrecht mit dem ohne Charme und Atmosphäre agierenden ORF-Radio-Symphonieorchester und dem mit Gartengerät auftretenden Arnold Schoenberg Chor? Mit dem kraftstrotzenden Jonathan Tetelman lernte man bei dieser verfehlten „Tosca“ wenigstens einen neuen, mit metallischem Glanz begabten Cavaradossi kennen. Eine Entdeckung ließ sich auch an der Wiener Staatsoper machen.

Ebenfalls bei Puccini, bei dessen „La Bohème“ in der mittlerweile über 400. Aufführung in der maßstäblichen Zeffirelli-Inszenierung. Neben Rollendebüts von der bereits als Marguerite im neuen Staatsopern-„Faust“ von sich reden machenden Nicole Car als Mimì und Slávka Zámecníková als gleich untadeliger, mit französischer Elegance etwas geizender Musette debütierte am Pult mit der koreanischen Dirigentin Eun Sun Kim einer der Shooting Stars der internationalen Dirigentenszene. Jüngst feierte sie ein umjubeltes Debüt an der New Yorker „Met“, an der Berliner Staatsoper ist sie häufig zu Gast. Im Haus am Ring beeindruckte, mit welcher Akkuratesse und Selbstverständlichkeit, aber auch Klangsinn sie die Solisten und Ensembles durch eine Repertoirevorstellung führte, als würde man schon seit Jahren bestens zusammenarbeiten.

Konzertant und fulminant

1998 inszenierte Harry Kupfer an der Volksoper Wien die Urfassung von „Boris Godunow“. Zu Ende seiner Direktionszeit wollte Robert Meyer diesen Mussorgsky-Klassiker in der Handschrift eines anderen Regie-Giganten zeigen: Peter Konwitschny. Als Kooperation mit den Theatern von Nürnberg, Göteborg und Lübeck. Aber wie in Corona-Zeiten die in dieser Oper verlangten Massenszenen so arrangieren, dass Ansteckungen schon bei Proben, erst recht bei Aufführungen ausgeschlossen sind? Anstelle abzusagen, entschied sich das Haus am Währinger Gürtel, diesen russischen Klassiker nicht szenisch zu realisieren, sondern in einer konzertanten Version ohne Kinderchor und vorletzter Szene in deutscher Sprache.

Dank des subtilen Dirigats des früheren Weimarer und Dortmunder GMD Jac van Steen an der Spitze eines gut studierten Orchesters und engagierten Chors, der gleich den Solisten in Abendkleid und Frack auftrat, sowie Albert Pesendorfer als bewegend sein Schicksal schilderndem Boris, gelang eine überzeugende, den Gestus des Werks klar erfassende Aufführung. Die unterschiedlichen Leistungen des übrigen Ensembles, aus dem Yasushi Hiranos Pimen und Carsten Süss’ Schuiskij herausragten, fielen kaum ins Gewicht.

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