Betroffen und romantisch
Saisonbeginn feierte das Theater an der Wien mit "Das Tagebuch der Anne Frank" und "Hans Heiling", an der Volksoper hatte das "Weiße Rössl" erfolgreiche Premiere.
Saisonbeginn feierte das Theater an der Wien mit "Das Tagebuch der Anne Frank" und "Hans Heiling", an der Volksoper hatte das "Weiße Rössl" erfolgreiche Premiere.
Oft genügen ein Tisch mit Stehlampe, ein Sessel und wenige an die Wand geworfene Bilder, um Atmosphäre zu erzeugen. Wie bei Grigori Frids angesichts der jüngsten Flüchtlingswelle besonders brisanter Mono-Oper "Das Tagebuch der Anne Frank". Dabei handelt es sich um ein durch Beschränkung auf kleines Ensemble und Solosopran (exzellent Juliane Banse) sowie durch die höchst plastische musikalische Gestaltung der einzelnen Abschnitte, faszinierendes Werk - und zudem um ein besonderes zeitgeschichtliches Dokument.
Regisseur Reto Nickler, der damit am Theater an der Wien debütierte, betonte die Aktualität, indem er neben Fotos und Tagebuchnotizen der Frank noch Namen weiterer NS-Opfer und aufrüttelnde aktuelle Zahlen auf die in schwarzes Licht getauchte Bühne projiziert. Etwa, dass kürzlich 71 Flüchtlinge im Burgenland in einem LKW erstickt, weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Igor Strawinskys nicht ganz so spannend von den Wiener Virtuosen unter Leo Hussain realisierte "L'historie du soldat"-Suite, diese allemal Effekt machende Paraphrase über das Böse und seine Verführungen, bot die entsprechende Einleitung.
Die gescheiterte, schließlich mit Suizid bezahlte Emanzipation ist Thema der zweiten Premiere am Theater an der Wien: "Hans Heiling". Einst vielgespieltes Repertoirestück, ist Heinrich Marschners romantische Oper heute kaum mehr als durch die Ouvertüre bekannt. Als Grund wird gerne das Sujet angegeben: Wer hat heute noch etwas mit Geistern am Hut?
Neue Lesarten
Ob man es durch eine neue Lesart wiederentdecken könnte? Das versuchte der sich erneut als Regisseur an seinem Haus präsentierende Theater an der Wien-Intendant Roland Geyer. Er deutet den Titelhelden, den Michael Nagy mit kehligem Timbre gibt, als missbrauchten Sohn einer überstarken Mutter (die bis an ihre Grenzen geforderte Angela Denoke). Weil er nicht das ersehnte Glück mit seiner angebeteten Anna (schrill, die Höhen übersteuernd Katerina Tretyakova) findet, sieht er keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen. Eine plausible, rasch einseitig wirkende Lesart, die -angefangen vom hier als Epilog gelesenen Vorspiel -das Missbrauchsthema über die übrigen Aspekte dieses Librettos zu sehr dominieren lässt. Dies wird durch die zu sehr auf die genannten Darsteller konzentrierte Personenführung noch verstärkt. Dennoch, die vokal überzeugendste Leistung bot Peter Sonn als Konrad, untadelig Stephanie Houtzeel als Annas Mutter Gertrud. Wenig Fantasie bewies Herbert Murauer für die Bühnengestaltung, bieder die Choreografie von Ramses Sigl. Dafür brillierte der von Erwin Ortner und Ottokar Prochazka einstudierte Arnold Schoenberg Chor. Dirigent Constantin Trinks an der Spitze des ORF-Symphonieorchesters interessierten die effektvollen Passagen von Marschners Partitur mehr als die Herausarbeitung ihrer hintergründigen Dramatik.
Ob Operette noch aktuell, vor allem spielbar ist? Für die Wiener Volksoper keine Frage, wie sie mit ihrer sehr gelungenen Neuinszenierung von Ralph Benatzkys an Ohrwürmern reichen "Im weißen Rössl" hinlänglich bewies. In einem in ansprechendem Postkartenkitsch getauchten Ambiente (Bühnenbild und Kostüme Rainer Sinell) lässt Josef E. Köpplinger, Intendant am Staatstheater am Gärtnerplatz, München - der Kopartner dieser Produktion - dieses Singspiel im Stil einer Revue ihrer Entstehungszeit, den 1930er-Jahren, ablaufen.
Es reiht sich Pointe an Pointe
Da gibt es keinen Stillstand, es reiht sich Pointe an Pointe. Blendend serviert von einer reschen Wirtin (Sigrid Hauser), ihrem sie doch bekommenden Ober Leopold (Boris Eder alternierend mit Daniel Prohaska), Bernd Birkhan als sich gut mit dem Berlinerischen zurechtfindenden Gieseke, Mara Malastir als seiner bagschierlichen Tochter, Carsten Süss als erfolgreich um sie freienden Otto Siedler, Markus Meyer als springlebendigem schönen Sigismund, Juliette Khalil als seinem virtuos lispelndem Klärchen, Hans Dieter Knebel als verschrobenem Privatgelehrten Hinzelmann oder Wolfgang Hübsch als soigniertem Kaiser Franz Joseph. Schwungvoll tönte es aus dem Orchestergraben, wenngleich Michael Brandstätter am Pult des Volksopernorchester die Feinheiten der Partitur deutlicher herausstreichen könnte.
Hans Heiling
Theater an der Wien
18., 21., 23. September
Im weißen Rössl
Volksoper
19., 26., September
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