Irrwege eines Künstlerdaseins

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Die erste Musiktheaterpremiere der neuen Staatsoperndirektion galt einer musikalisch wie szenisch mustergültigen, begeistert gefeierten Aufführung von Hindemiths #Cardillac#.

Wenn ich einen Operntext hätte, würde ich in wenigen Wochen die größte Oper herstellen#, schrieb Paul Hindemith im September 1923 seinem Verleger Strecker. Schließlich sei ihm #das Problem der neuen Oper klar und ich bin sicher, es sofort restlos lösen zu können # soweit das menschenmöglich ist#. Schwierig gestaltete sich nur die Suche nach dem entsprechenden Libretto. Namen wie Brecht und Romain Rolland wurden ins Gespräch gebracht. Hindemith setzte auf Franz Blei. Schließlich fand er in Ferdinand Lion den idealen Partner und dieser in E. T. A. Hoffmanns Kriminalnovelle #Das Fräulein von Scuderi# eine ebensolche Inspirationsquelle.

Die Parabel von einem so von seinem Künstlertum infizierten Goldschmied, dass er, sobald jemand eines seiner Kunstwerke kauft, den Käufer ermordet: #Was ich schuf, ist mein#, lautet seine Maxime. Ihr ordnet er alles unter, nimmt dafür Einsamkeit und den Verlust von jeglichem Humanismus in Kauf.

Hindemith hat dieses das Spannungsfeld der Freiheit des Einzelnen und den krankhaften Zwang zum Besitz behandelnde Sujet zu einem gleichermaßen von Sachlichkeit wie Expressivität bestimmten Dreiakter inspiriert, der in zwei Versionen vorliegt: der kürzeren, dichteren Erstfassung, die 1926 in Dresden uraufgeführt wurde, und der 1952 in Zürich uraufgeführten, längeren Zweitfassung. An der Wiener Staatsoper war dieser Hindemith bereits in drei Produktionen zu sehen, jeweils in der Erstversion. Für sie entschied man sich auch diesmal und ließ sie von einem Team realisieren, wie es besser nicht hätte sein können.

Begonnen hat dies schon bei der von Rolf Glittenberg erdachten Szenerie: zuerst in schwarz-weiß gehaltene, schräg platzierte scherenschnittartige Häuserfronten, dann ein im oberen Bühnenrund drapierter roter Vorhang, der zum Himmelbett für die Dame und ihren Galan wird. Anschließend eine von einem schwarzen Portal umhüllte goldene Türe, der eine weiße vorangestellt wird, sobald die Werkstatt Cardillacs in das Zimmer seiner Tochter wechselt, ehe wieder das Eingangsbild erscheint. Eine mit vielen Assoziationen, von Nofretete bis zu den Filmkunstwerken der 1920er-Jahre reichende Bilderwelt, die immer wieder auf vorgetragene Textteile repliziert, zudem genügend Platz bietet für die individualistische Entfaltung der einzelnen, in Kostümen des 17. Jahrhunderts (Marianne Glittenberg) erscheinenden Darsteller.

Musterbeispiel für Musiktheater

Scharf zeichnet Regisseur Sven-Eric Bechtolf die einzelnen Protagonisten, bei denen ausschließlich die Titelrolle einen konkreten Namen trägt. Die anderen müssen sich # Pars pro Toto für die übrige Gesellschaft # mit allgemeinen Bezeichnungen begnügen. Der Inszenierung gelingt es, diese Typen zu individuellen Personen zu formen. Selbstbewusst tritt der Cardillacs Tochter erfolgreich freiende Offizier (hervorragend Herbert Lippert) auf, jeweils der Situation angepasst der auf seinen Vorteil schielende, schließlich Cardillac als Mörder überführende Goldhändler (rollendeckend Tomasz Konieczny). Gestalterisch wie stimmlich souverän lässt Ildikó Raimondi ihre Reize als Dame spielen und ihrem Kavalier (untadelig Matthias Klink) gar keine andere Chance, als für sie den sehnlichst gewünschten Schmuck zu erwerben. Alexandru Moisiuc vertritt glaubhaft die staatliche Macht.

Packend zeichnet Juha Uusitalo den Menschenliebe gegen Besitzgier tauschenden, sich damit zum Mörder wandelnden Cardillac. Ebenso hervorragend Juliane Banse als zur zitternden Marionette ihres Vaters stilisierte Tochter, die auch einen der Kernsätze des Librettos singt: #Unwissende jubeln, Ahnende zittern. Aus dem Entsetzlichen schöpfe ich Mut.#

Es war auch der Abend von Franz Welser-Möst: Ideal arbeitete er an der Spitze des exzellent musizierenden Orchesters und des prägnant artikulierenden Chors die vielfachen Spannungskurven des Werks heraus, modellierte plastisch Details, bot den Sängern einen idealen Teppich, heizte die Dramatik immer wieder an. Ein Musterbeispiel für aufregendes Musiktheater.

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