Eine Opernnovität voller Zitate

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Jedes Jahr eine Uraufführung versprach Alexander Pereira vor seinem Amtsantritt. Für sein erstes Jahr ließ sich dies nicht verwirklichen. Deswegen setzte er mit Zimmermanns brillant realisierten "Die Soldaten" einen Klassiker der Moderne aufs Programm. Im Vorjahr erlitt er mit Birtwistles neu adaptiertem "Gawain" Schiffbruch. In diesem Jahr dann die erste Novität, "Charlotte Salomon" von Marc-André Dalbavie, der bei dieser Uraufführung auch das Mozarteumorchester Salzburg leitete und damit als Festspieldirigent debütierte.

Zweisprachig und zitatenreich

Faszinierend der Stoff, den sich der 1961 nahe Paris geborene Pierre Boulez-Schüler ausgesucht hat: Die nicht zuletzt durch ihre Bilder (im Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam) präsente, tragische Lebensgeschichte von Charlotte Salomon, die 26-jährig im KZ Auschwitz ermordet wurde. Weil Salomon mit Charlotte Kann für sich eine Figur erfunden hat, findet sich dieses Alter Ego auch in dieser -mehr als szenische Folge denn als Oper anzusprechenden - knapp über zweistündigen Partitur (Libretto: Barbara Honigmann nach Salomons autobiografischen Notizen).

Johanna Wokalek schilderte als Charlotte Salomon auf Deutsch berührend deren durch die nationalsozialistischen Umtriebe beeinträchtigten Jahre in Berlin und in der südfranzösischen Emigration. Ebenso überzeugend gab die französisch singende Mezzosopranistin Marianne Crebassa ihr quasi musikalisches Pendant, Charlotte Kann. Die anspruchsvollen Anforderungen reichen vom Sprechgesang bis zur weit gespannten lyrischen Kantilene. Zahlreiche Zitate von Werken des Barock bis zu den Comedian Harmonists, die alle Salomon gleich wichtig waren, finden sich im ersten Teil dieses insgesamt zu ausführlichen Zweiakters. Grundsätzlich ließ sich Dalbavie für seine plakative Musik von Salomons expressiver Farbenwelt inspirieren. Entsprechend wurden Salomon-Gouachen und -Texte auf die von Johannes Schütz mit wenigen Requisiten bestückte Bühne der Felsenreitschule projiziert. Meisterhaft Luc Bondys hochsensible, personenzentrierte Inszenierung, deren Augenmerk neben den Hauptfiguren ebenso den mit gleicher Sorgfalt gezeichneten, zudem exzellent besetzten übrigen Protagonisten galt. Das eigentliche Ereignis dieser um die Suche nach der eigenen Identität kreisenden Produktion.

Keine Moral ist auch eine

Mit "Don Giovanni" wurde die im Vorjahr mit "Cosí fan tutte" begonnene, nächsten Sommer mit "Le nozze di Figaro" abgeschlossene neue Salzburger Mozart-Da Ponte-Trilogie fortgesetzt. Regisseur Sven-Eric Bechtolf hat seinen "Don Giovanni" in einem Hotelambiente angesiedelt. Das kennt man schon aus der vor einigen Jahren im Theater an der Wien gezeigten Inszenierung dieses Mozart durch Keith Warner. Er hat die handelnden Personen klug in das Hotelgeschehen integriert, damit spannende neue Einblicke in die Psychologie der Protagonisten ermöglicht.

Bechtolf -heuer Salzburgs Schauspielchef, 2015 und 2016 Intendant -verlegte die Handlung in ein Stundenhotel. Dafür hat ihm Rolf Glittenberg im Haus für Mozart ein vom Film "Grand Hotel Budapest" inspiriertes Einheitsbühnenbild geschaffen. Ein Fingerzeig, dass es alle mit allen treiben . Frei nach dem Motto: Keine Moral ist auch eine. Damit hat es sich auch schon. Denn warum die dabei von Don Giovanni geführte Donna Anna (überfordert Lenneke Ruiten) selbst ihren Vater, den Commendatore (dumpf orgelnd Tomasz Konieczny) tötet, dieser im selben Offizierskostüm auftritt wie der blässlich-kultivierte Don Ottavio (Andrew Staples), bleibt offen. Ebenso wie die Deutung Leporellos als eine Art amerikanische Comedy-Figur. Womit sich Luca Pisaroni mehr auf diesen Anspruch als seine auch rhythmisch wackelig bewältigte, musikalische Aufgabe konzentrieren muss.

Ildebrando D'Arcangelo wäre der bessere Leporello gewesen. Für den Don Giovanni fehlte es ihm an aristokratischer Eleganz und an der entsprechenden vokalen Markanz. Zudem darf er in diese Szenerie bloß einen Testosteron gesteuerten, oberflächlichen Playboy abgeben. Als ob in seiner Figur nicht mehr steckte! Dafür bevölkert immer wieder der sich am Schluss vervielfachende Luzifer die Bühne.

Bleiben eine bagschierliche Zerlina (Valentina Nafornita), ein unauffälliger Masetto (Alessio Arduini) und eine glanzlose Donna Elvira (Anett Fritsch). Dass Christoph Eschenbach am Pult der zu wenig geforderten Wiener Philharmoniker sich weder auf die Dramatik noch das hintergründige Buffo dieser Musik wirklich versteht, war nach seiner noch spannungsloseren Vorjahrs-"Cosí" fast zu erwarten. Ob sich dieses Bild kommenden Sommer nach dem neuen, von Dan Ettinger dirigierten "Figaro" verfestigen oder gar ins Positive wenden wird?

Charlotte Salomon - Felsenreitschule 2., 7., 10., 14. August

Don Giovanni - Haus für Mozart 3., 6., 12., 15. August

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