Leben mit gezücktem Degen

Werbung
Werbung
Werbung

René Jacobs hat Mozarts "Don Giovanni" bei den Innsbrucker Festwochen ein neues Image verpasst.

Dass eine Opernaufführung szenisch von der Musik bestimmt wird, ist heutzutage selten. René Jacobs gelang dies bei den Innsbrucker Festwochen mit einer neuen Sicht auf Mozarts Don Giovanni, den er sowohl in der Prager Uraufführungsfassung als auch in der ein Jahr später entstandenen Wiener Fassung vorstellte. Und wie immer, wenn Don Giovanni von der gebräuchlichen Mischfassung mit ihrem Arienstau befreit ist, blühte Mozarts dramaturgische Überlegenheit auf.

Das neue Hörerlebnis eines überschäumend lebendigen Don Giovanni gründet in der rund drei Jahrzehnte währenden wissenschaftlichen und praktischen Beschäftigung Jacobs' mit der frühen italienischen Operntradition. Er wollte einen vom pathetischen Druck des 19. Jahrhunderts befreiten Don Giovanni aus der Perspektive Mozarts, der mit den Traditionen und Klischees der Barockoper vertraut war. Die tragischen und komischen Elemente speziell der venezianischen Oper brachte Mozart zu genialer Gleichzeitigkeit. Das 19. Jahrhundert drückte dem Don-Juan-Stoff, der zu Mozarts Zeit schon zum Jahrmarktsspiel verkommen war, einen faustisch beschwerten Stempel auf, und diesen Ballast schüttelt Jacobs nun wieder ab. Seine Liebenden sind so jung wie die Sänger der Uraufführung und in ihren teils gefährlichen Emotionen der heutigen Jugend nah.

Subversives Spiel

Mozarts Vielschichtigkeit nützt Jacobs zu einer überwältigend lebhaft kommentierenden Orchestersprache. Das überragende Freiburger Barockorchester erreichte auf Instrumenten der Mozartzeit einen satten, individuell aufgefächerten Klang, und natürlich korrigiert Jacobs auch viele Tempi in seinem Sinn. Mozarts Freude an subversivem Handlungsspielraum lebt er in den Rezitativen, die teils schräg und scharf und aufgeraut daherkommen und zentrale Bedeutung erreichen, mit ebensolcher Parlier-und Musizierlust nach wie die Poesie der Arien.

Das Notenbild wird nicht verändert, und doch ist es ein neu erschaffener "Don Giovanni". Giorgio Paronuzzi am Hammerklavier trägt mit geistreicher Improvisation dazu bei.

In einer Globushälfte, deren hinteres Gerüst Giovanni Gelegenheit zu Kletterübungen gab - Bühne Vincent Lemaire - ließ Regisseur Vincent Boussard betont schlicht, mit schönen Momenten der Freude und der Trauer Jacobs den Vorrang, selten die Musik adäquat durchdringend, doch eingehend auf das für diese Oper verstärkt gewonnene Element des "Dramma giocoso". Johannes Weisser war ein Junge im Teufelsrock mit stets gezücktem Degen, dem Leporello - Marcos Fink mit Kavaliersbariton - fast väterlich aus den Verstrickungen hilft. Die Frauen kleidete Christian Lacroix elegant in bräutliches Weiß. Svetlana Doneva sang herrlich strömend eine zarte Anna, Alexandrina Pendatchanska eine leidenschaftliche Elvira. Sunhae Im würde als Zerlina mit hellen Tönen den sozialen Aufstieg wagen, Werner Güra fand als Don Ottavio die ideale tenorale Empfindsamkeit, Nikolay Borchev als Masetto und Alessandro Guerzoni als Komtur rundeten das perfekte Ensemble ab.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung