Horrorvision einer absurden Ehe

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Bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik kannte der Jubel für Alessandro Scarlattis "Griselda" keine Grenzen.

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Bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik kannte der Jubel für Alessandro Scarlattis "Griselda" keine Grenzen.

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Ganze 114 Opern schrieb Alessandro Scarlatti, aber seine letzte ist die beste. Das sagt Rene Jacobs über "Griselda", ein von Boccaccios "Decamerone" und Petrarcas Dichtungen inspiriertes Dramma per musica, ein Meisterwerk barocker Opernkunst, 1721 in Rom uraufgeführt und von Jacobs gerühmt als "die schönste Musik, die Scarlatti je geschrieben hat". Eine Evaluierung, die der unermüdliche "Ausgräber", Bearbeiter und Dirigent in der Innsbrucker Premiere überzeugend bestätigte. Die Vollkommenheit seiner musikalischen Wiedergabe, ein Resultat kompromisslos minuziöser Vorbereitung, entflammte das Festwochenpublikum im randvollen Tiroler Landestheater zu überschäumender Begeisterung.

In diesem Vermächtnis Scarlattis verschmelzen die widerstreitenden Stilelemente der Barockoper seiner Zeit zu klassischer Ausgewogenheit von herzbewegender Expressivität und humoristisch-spielerischen Elementen, die das erstaunliche Werk in Mozartnähe rücken. Das machte Rene Jacobs in seinem subtil raffinierten Musizieren mit vitaler Frische und Unmittelbarkeit deutlich. Aber auch alle anderen Kräfte dieser Co-Produktion mit der Berliner Staatsoper Unter den Linden wirkten optimierend zusammen: die stimmige Ästhetik der Ausstattung von Tobias Hoheisel, die den psychologischen Verstrickungen feinfühlig nachspürende Regie von Stephen Lawless, ein stupendes junges Sängerensemble und das unter Jacobs Leitung immer wieder beredt musizierende Orchester der "Akademie für alte Musik Berlin", das mit seinen virtuos beherrschten historischen Instrumenten einen Klangkörper von exzeptioneller Qualität bildet.

"Griselda" ist die fast absurde Horrorvision einer Ehe, in der die Frau grausame Prüfungen ihrer Treue und Standhaftigkeit erleiden muss, um zuletzt vom reuigen Gemahl wieder in die Arme geschlossen zu werden. Doch das ist wohl ein trügerisches "lieto fine", kein Happy end as usual: der schmerzhafte Riss, den diese Ehe erlitten hat, setzt ein Fragezeichen vor die gemeinsame Zukunft.

Verstoßen, gedemütigt und gequält, rührte die argentinische Sopranistin Veronica Cangemi als ergebene Dulderin mit dem Ausdruck innigster Empfindung. Countertenöre prägten das Klangbild der Barockoper: Lawrence Zazzo in seiner sadomasochistischen Psychopathenrolle und Artur Stefanowicz als perfider Intrigant Ottone. Sie sangen ihre "Affetti" mit ebenso bravouröser Kehlfertigkeit wie das junge Liebespaar Costanza und Roberto, das mit den beiden Schwedinnen Miah Persson und Malena Ernman brillante Momente heiteren Charmes ins Spiel brachte. Die koloraturenreichen Duette zwischen diesem lichten Sopran und dem prachtvoll blühenden Mezzo nahmen in bewegender Schönheit Mozart voraus, evozierten im Gefühlsreichtum ihrer zauberhaften Kantilenen Assoziationen an "Cosi fan tutte" und "Die Hochzeit des Figaro". Last but not least brachte der noble Tenor Guy de Mey seine charakteristische Stimmfarbe und Bühnenpräsenz ins Spiel. Ein Sextett von exemplarischem Festspielformat! Der Jubel kannte keine Grenzen.

Weitere Höhepunkte der Innsbrucker Festwochen sind mit Haydns "Schöpfung" unter Rene Jacobs, der Legrenzi-Oper "La Divisione del Mondo" unter Thomas Hengelbrock und Philippe Arlauds Regie sowie einer Reihe erlesener Konzerte zu erwarten.

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