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Ein türkisches Ränhespiel

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Innsbrucks mittlerweile 35 Jahre hindurch kontinuierlich betriebene Pflege alter Musik ist bis heute Pionierarbeit geblieben. Bewegte sie sich angesichts eines von der Gre-gorianik bis zur frühen Klassik reichenden, schier unüberschaubaren Repertoires anfangs auf teils ungesichertem Terrain - von der Handhabung der noch kaum erprobten Originalinstrumente über die speziellen Anforderungen vokaler Techniken bis zur musikologischen Erforschung und Erarbeitung der vielfach in Archiven schlummernden Werke - so ist inzwischen eine Generation von Musikern herangewachsen, die vom Zink bis zur Naturtrompete, von der Renaissancelaute bis zum alten Violone das historische Instrumentarium wie selbstverständlich beherrscht.

Viel dazu beigetragen hat zweifellos eine Institution wie Innsbrucks internationale Sommerakademie für alte Musik, die seit 25 Jahren zugleich mit den Festwochen in der Tiroler Landeshauptstadt Profis aus aller Zeit vereint. Ihr pädagogisches Erfolgsgeheimnis liegt nicht zuletzt darin, den Teilnehmern neben den Meisterkursen und Seminaren modellhafte Aufführungen durch Spitzenkräfte ihres Fachs zu bieten. Heuer hat die bekannte '1 Yaversflötistin Professor Linde Brunmayr die Ieitung der Akademie übernommen und mit neuen Ideen so wirkungsvoll aufgefrischt, daß die Rekordzahl von 190 Teilnehmern - unter ihnen Hochschullehrer, Mitglieder bekannter Ensembles -ins Haus steht.

Sommerakademie und Festwochen stehen heuer unter dem gemeinsamen Motto „Alla turca”. Das bedeutet eine vielfarbig schillernde Palette musikalischer Impulse die aus dem Vorderen Orient in unsere Musik eingeflossen sind. Als Demonstrationsobjekt Nummer eins stellt Rene Jacobs, künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen, die Opera seria „Solimano” von Johann Adolf Flasse aus dem Jahre 1753 vor, eine der rund 80 Opern des seinerzeit hochberühmten sächsischen Hofkapellmeisters, der ein Meister der italienischen Oper war. Jacobs punktet mit dieser Rarität abermals in der wachsenden Konkurrenz aus dem Rarock-opern-Markt, der sich jedoch meist auf die bekannten „Schmankerln” von Monteverdi und Händel konzentriert, und will mit so ausgesuchten Novitäten Innsbrucks Vorreiterrolle immer wieder bekräftigen.

Schützenhilfe erhält er dabei vom Intendanten der Berliner Staatsoper, Georg Quandler, selbst ein Fan der alten Musik, der Jacobs längst an sein Haus Unter den Linden gebunden hat und nun hier den „Solimano” inszeniert: in der Ausstattung von Herbert Kapplmüller, die dieser als „betont ästhetisch und aus der Türkei-Vorstellung des 18. Jahrhunderts schöpfend” beschreibt.

Es geht um einen historischen Stoff, ein Liebes- und Ränkespiel rund um Suleymann den Prächtigen, in dem Hasse übrigens erstmals eine Janitscharenkapelle auf die Bühne brachte. Die Folgewirkung war groß, denken wir nur an Mozarts „Entführung”. (16., 18., 20. August, jeweils 19 Uhr im Tiroler Landestheater.)

Die zweite Festwochen-Oper ist die Satire ,,L' opera seria” des Wieners Florian Iopold Gaßmann, eine com-media per musica des Librettisten Calzabigi, die die Gattung der Seria (wahrscheinlich gerade am Beispiel des „Solimano”) herzhaft auf die Schaufel nimmt, Theater im Theater, bei dem sich Komponist und Librettist streiten, Sängerinnen und deren Mütter (!) in die Haare geraten, der Intendant mit der Kassa durchgeht und die endlich zustandegekommene Aufführung vom Publikum erbarmungslos ausgepfiffen wird. Ein Spaß „mit vielen hohen Männerstimmen” (wie Leiter Rene Jacobs verrät), der schon in Schwetzingen und Berlin volle Häuser gemacht hat und nun in der Ausstattung von Hans Schaver-noch und der Regie von Jean-Louis Martinoty als Gastspiel der Berliner Staatsoper Unter den Linden nach Innsbruck kommt. (26., 28., 30. August, jeweils 19 Uhr im Tiroler Landestheater).

Wie immer herrscht bei den Künstlern der Festwochen Internationa-lität. Als virtuoses Instrumentalensemble hat „Concerto Köln” Innsbrucks Barockopernerfolge schon früher mitgetragen; 1997 ist es erstmals „Orchestra in Residence” für die sechs Opernabende und ein Konzert (mit Gluck, Rameau, Vivaldi, Cam-pra, Kraus).

Weitere 15 Konzerte (bis 30. August) in historischen Sälen und Kirchen, darunter auch Orgelkonzerte auf den berühmten Renaissanceorgeln, sind einem im besten Sinne europäischen Repertoire verpflichtet. Da wird via Spanien und Italien dem maurisch-arabischen Element, via Ungarn und Wien den türkisch-os-manischen Impulsen nachgespürt, wie sie endlich die Musik ganz F,uro-pas befruchteten. „Kunst kennt kein Alter” betitelt Michael Köhlmeier seinen Festvortrag zur Eröffnung am 16. August.

Und keine Grenzen, fügt man gerne hinzu.

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