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Salzburg zeigte alle 22 Opern des Jahresregenten -

ein kritischer Rückblick von Michael Blees.

Man kennt sie nur noch aus der Musikliteratur: jene tief greifenden Bearbeitungen von Mozarts Werken durch nachfolgende Generationen. Gilt heute das Schaffen des Salzburger Meisters weitgehend als unantastbar, so schreckte man bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht vor kruden Eingriffen zurück, vor allem, wenn es sich dabei um Opern handelte, die damals nicht zum Standardrepertoire gehörten. Auch diese uns heute fremd gewordene Praxis präsentierten die Salzburger Festspiele in ihrer Werkschau der Mozart-Opern mit Aufführungen des Idomeneo in der Fassung von Richard Strauss und Lothar Wallerstein von 1931.

Strauss hatte sich nicht damit begnügt, radikale Striche einzufügen, Nummern umzustellen, die Orchestration anzureichern, Stimmlagendispositionen und die Dramaturgie zu ändern (die Priesterin Ismene ist an die Stelle von Elettra getreten, nicht zuletzt da er die Rolle der Elettra durch sein eigenes Werk ein für alle Mal geprägt sah), er komponierte auch große Teile komplett neu: die Secco-Rezitative ersetzte er durch eigene Accompagnati und ergänzte die Partitur durch spätromantische Zwischenspiele und ein großes Ensemble. Als grobe Vergewaltigung, wie Kritiker diese Neugestaltung nach der Uraufführung bezeichneten, mag man diese Version heute nicht mehr empfinden, vielmehr als interessante Werksicht des Spätromantikers Strauss auf den von ihm verehrten Klassikers Mozart - und immerhin war es das Verdienst von Strauss, den damals nahezu vergessenen Idomeneo dem Publikum wieder nahe gebracht zu haben.

Original und Bearbeitung

Einen hervorragenden Sachwalter hatten die konzertanten Aufführungen in der Felsenreitschule mit Fabio Luisi am Pult der prächtig musizierenden Sächsischen Staatskapelle Dresden: er zeigte differenzierten Sinn für die Feinheiten Mozarts ebenso wie für die imposanten Ausbrüche und klanglichen Raffinessen Strauss'scher Machart, brachte das Werk zu intensiver Wirkung, selbst wenn ihm kein erstklassiges Ensemble zur Verfügung stand: der gedeckt klingende Robert Gambill in der Titelrolle fand nur in wenigen Momenten zu tenoralem Glanz, mulmig in Diktion und Tongebung blieb Iris Vermillon als Idamantes und bestenfalls als solide präsentierte sich Britta Stallmeister als Ilia. Mit dramatischem Aplomb, aber auch Schärfen durchmaß Camilla Nylund die Ismene, während Rainer Büsching sonore Klänge als Orakelstimme beisteuerte.

Im Vergleich bot der nicht ganz ungekürzte originale Idomeneo - im neuen "Haus für Mozart" - eine qualitativ bessere Besetzung, allen voran durch Ramón Vargas, der in die Titelrolle nicht nur reichen tenoralen Schmelz einbrachte; er gestaltete ausdrucksstark und sang die "Fuor del mar"-Arie im zweiten Akt mit großer Virtuosität und Vehemenz in der koloraturgespickten Erstfassung. Eine grandiose Elettra war Anja Harteros; eine Sängerin mit volltönender Mittellage und sicherer Höhe, der die lyrischen Linien ebenso souverän gelangen wie die dramatischen Ausbrüche. Etwas maniriert, weniger unmittelbar blieb Magdalena Kosená als Idamante trotz herrlicher Klangfarbe und großem Nuancierungsvermögen an der Seite von Ekaterina Siurina, die die Ilia mit glockigem Sopran versah.

Wenn musikalisch die Spannung dennoch nicht durchgehend gehalten wurde, lag dies an Sir Roger Norrington am Pult der ordentlichen Camerata Salzburg; seiner Leitung fehlte immer wieder die packende Kraft. Szenisch handelte es sich bei diesem Idomeneo um eine Produktion von 2000, ausgestattet und inszeniert von Ursel und Karl-Ernst Hermann: ästhetisch schöne Bilder, gediegene Personenführung um die dazu erfundene stumme Rolle des Neptun (Andreas Schlager) - alles aber auch etwas betulich wirkend.

Dennoch darf dieser Idomeneo zu den gelungenen Wiederaufnahmen im Reigen der 22 Salzburger Mozart-Opern zählen - ganz im Gegensatz zu dem einst (2003) für seine Intensität gepriesenen, jetzt äußerst beliebig wirkenden Don Giovanni - man erinnert sich, jener mit den "Palmers-Girls" - in einer Inszenierung von Martin Kusej. Nicht nur einmal fragte man sich während des Abends, was denn wohl so tiefgründig und aufregend an dieser Produktion gewesen sein mochte, aber es blieb auch die Frage, ob der kaum zu Wirkungstiefe findende Daniel Harding am Pult der Wiener Philharmoniker mit dem Orchester nicht konnte oder wollte: immer wieder gab es leichte Koordinationsunebenheiten, häufig wirkten die Tempi übereilt und selten wurde auf die Sänger eingegangen.

Unter ihnen stachen der viril markante Ildebrando D'Arcangelo als Leporello, der erstklassige Masetto von Luca Pisaroni und Pietr Beczala als herrlich schmelzreicher Don Ottavio (endlich wieder ein Sänger, der dieser Rolle lyrisch satte Klänge verleiht) hervor. Eine zerbrechlich wirkende Donna Anna gab Christine Schäfer mit passagenweise zu leichtem Ton, stets aber souverän, was man von der höhenbegrenzten Melanie Diener als Donna Elvira nicht sagen konnte. Gerade in Salzburg hat man schon bessere Zerlinen gehört als jene von Isabel Bayrakdarian, aber auch imposantere Don Giovannis als jenen des rau und spröde klingenden Thomas Hampson, der als Figur so konturlos blieb wie vieles in dieser Produktion.

Lohnende Übernahmen?

Die letzte Premiere im Salzburger Mozart-Marathon galt der Buffa La finta giardiniera, eine spritzig kurzweilige Aufführung im Landestheater, die bereits bei der Mozart-Woche und im Repertoire des Hauses gezeigt wurde. Doris Dörrie hatte die Handlung der Gärtnerin aus Liebe in einem heutigen Gartencenter angesiedelt und mit einer überbordenden Fülle witziger Details von tanzenden Statuetten, singenden Turteltauben bis hin zu fleischfressenden Pflanzen ausgestattet. Sie wagte riskant schräge Ideen, erntete dafür aber auch viele spontane Lacher im Publikum.

Wichtiger aber noch: sie hörte auf die Musik und schuf bei aller Turbulenz immer wieder zurückgenommene Ruhepunkte - und konnte auf ein spielfreudiges, mit Véronique Gens (Arminda), John Mark Ainsley (Belfiore) und John Graham-Hall (Don Anchise) stimmlich trefflich besetztes Ensemble bauen. Adriana Ku C7cerová gefiel mit leichtem, silbrigem Ton als Serpetta, Ruxandra Donose überzeugte vor allem in den Mittellagen-Regionen des Ramiro, während Alexandra Reinprecht als Sandrina neben wunderbar erfüllten Passagen zuweilen in stimmliche Unstetigkeit verfiel. Mit großem Brio waltete Ivor Bolton am Pult des klanglich nicht sehr geschmeidigen Mozarteum Orchesters.

Hinsichtlich dieser Produktion (wie auch bei den Gastspielen aus Mannheim und Klagenfurt) bleibt nur ein schaler Nachgeschmack: die enormen Festspielpreise, die um ein Vielfaches über dem sonstigen Preisniveau des Hauses liegen. So betrachtet wurde unter dem Namen "Mozart 22" ordentlich abkassiert. Andererseits: wo, wenn nicht bei einen Festival wie den Salzburger Festspielen, hätte sich ein Projekt wie die Aufführung sämtlicher 22 Mozart-Opern realisieren lassen? Als Werkschau - und trotz erheblicher Qualitätsunterschiede - war dies ein bemerkenswertes künstlerisches Unterfangen von Einmaligkeitswert; ab Herbst wird man es sich als Ton-und Bildkonserve auf DVD nochmals zu Gemüte führen können.

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