Schwache Szenen, starke Stimmen

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Die jüngsten Wiener Opernproduktionen -Gershwins "Porgy and Bess", Donizettis "Lucia di Lammermoor" und Mendelssohns "Elias" - überzeugen musikalisch mehr als inszenatorisch.

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Die jüngsten Wiener Opernproduktionen -Gershwins "Porgy and Bess", Donizettis "Lucia di Lammermoor" und Mendelssohns "Elias" - überzeugen musikalisch mehr als inszenatorisch.

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Mit "Ereignis des Einfachen und Wahren" übertitelte der Kurier seine Premieren-Rezension der ersten Volksopernproduktion von Gershwins "Porgy and Bess" im Jahr 1965. Zugleich die österreichische Erstaufführung dieses Stücks und der Beginn der Musical-Tradition nicht nur am Haus am Währinger Gürtel, sondern in Wien überhaupt. Ob man sich mit dieser, vom damaligen Chefdramaturgen Marcel Prawy gewieft eingefädelten Sensationsproduktion nicht messen wollte und deswegen bei der diesjährigen Aufführungsserie die Szene ausblendet und nur konzertante Aufführungen anbietet? War man sich von Anbeginn sicher, dass die Strahlkraft der engagierten Besetzung ausreichen wird, um auch ohne übliches Bühnengeschehen an die einstige Erfolgsgeschichte dieser "Folk Opera in drei Akten"(so der Untertitel des Werks) anknüpfen zu können?

Das Konzept der Volksoper Wien, diese von "Weißen für Schwarze geschriebene Oper" fünfmal nur konzertant zu geben, ist jedenfalls aufgegangen. Mitreißender und einfühlsamer musiziert, rollendeckender besetzt ist dieser Gershwin kaum denkbar. Nicht nur die exzellenten Gestalter der Titelpartien -der mächtig orgelnde Volksoperndebütant Morris Robinson und die ihm an Intensität kaum nachstehende Melba Ramos -bestechen durch stimmliche Kraft, Phrasierungsintelligenz und Souveränität des Ausdrucks. Sie wissen ihre jeweilige Situation stets so plausibel zu erklären, dass die sonst übliche Inszenierung kaum abgeht. Joseph R. Olefirowicz an der Spitze des zu großer Form auflaufenden Volksopernensembles sorgt für eine Aufführung mit Schwung und Energie.

Verloren im Schnee

Das soll nicht als Plädoyer für ausschließlich konzertante Opernaufführungen missverstanden werden. Aber besser auf eine szenische Realisierung verzichten, wenn das entsprechende Team nicht zur Verfügung steht, wie jüngst an der Wiener Staatsoper zu erfahren war. Für Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor" mit einem Opernhaus zu kooperieren, das schon im eigenen Land nicht zu den ersten zählt -der Opera Philadelphia, wo diese Szenerie bereits gezeigt worden war -erwies sich als alles andere als glücklich. Laurent Pellys Regie konfrontiert mit altmodischem Rampentheater, von einer Interaktion der einzelnen Personen hält er sichtlich wenig. Über Charakterzeichnung liest man im Programmheft mehr, als auf der Bühne zu sehen ist. Olga Peretyatko in der Titelpartie kann eine Edita Gruberova nicht vergessen machen. Mit ihrer die labile Psyche ihrer Figur in den Vordergrund rückenden Rollengestaltung und sicheren Koloraturen wusste sie am Premierenabend aber durchaus für sich einzunehmen. Juan Diego Flórez' brillanter Edgardo war ihr allerdings um einige Klassen voraus. Das dritte Atout dieser Produktion ist Evelino Pidò. Er widmete sich am Premierenabend mit dem differenziert aufspielenden Orchester mit besonderer Akribie dem Facettenreichtum dieser Musik. Manches hätte man sich leidenschaftlicher gewünscht. Aus den übrigen Comprimarii ragte Jongmin Parks markanter Raimondo hervor, durchschnittlich die übrigen. Gut möglich, dass sie -unbehelligt von den Fängen dieses meist mit Schnee bedeckten, fahlen Allerweltsbühnenbilds (Chantal Thomas), in dem die Choristen zuweilen bizarr agieren müssen -in einer konzertanten Aufführung mehr aus sich herausgegangen wären.

Der Prophet bleibt auf der Strecke

Eine dunkel ausgeleuchtete Bühne, Gitterwände als Hintergrund, hinter dem der überlebensgroße Kopf des Propheten durchschimmert. Er wird am Ende mit einem Benzinkanister überschüttet und findet so den Tod. Ein ebenso unnötiger Gag wie gleich zu Beginn, wenn die Masse wütend eine Kirche in tausende Stücke zerreißt. Felix Mendelssohn Bartholdys "Elias" ist im Original ein zweiteiliges Oratorium. Versteht man daraus eine Geschichte zu kreieren, steht einer szenischen Darstellung dieses Stoffs nichts im Wege. Dafür sollte man aber zumindest Affinität zur Figur eines Propheten besitzen. In Propheten nur Menschen zu sehen, die einem geholfen haben, ist entschieden zu wenig.

Das erklärt zwar, weshalb der mit dieser Arbeit am Theater an der Wien debütierende Calixto Bieito das Geschehen -soweit sich ein solches überhaupt ausnehmen lässt -in die Gegenwart transferiert, nicht aber, weshalb er sich mit der Zeichnung der Personen allzu sehr abgibt. Entsprechend heftig reagierte das Premierenpublikum auf diese, sich mit einer mehr als vagen Bildersprache begnügenden Inszenierung. Dafür entschädigte der musikalische Teil. Herausragend Christian Gerhaher. Er machte mit mustergültiger Artikulation und beredter Phrasierung das Schicksal des Elias beklemmend deutlich. Dazu gesellten sich ein qualitätvolles Solistenensemble und der gewohnt vorzügliche Arnold Schoenberg Chor. Souverän steuerte der erstmals am Theater an der Wien gastierende Jukka-Pekka Saraste das RSO Wien durch die Klippen dieses Mendelssohn. Ohne die verunglückte szenische Begleitung hätte es ein großer Abend werden können.

Porgy and Bess Volksoper Wien, 22., 25. Feb.

Lucia di Lammermoor Wiener Staatsoper, 21. Feb.

Elias Theater an der Wien, 23., 25., 27. Feb.

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