Das Schwierige des Leichten

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Kaum ein großes Haus, das nicht auch spezielle Kinderprogramme anbietet. Mehr noch, zahlreiche Veranstalter legen längst mehr Karten für Kinder und Jugendliche auf als für Erwachsene. Schließlich will um das Publikum von morgen rechtzeitig geworben werden. Der positive Nebeneffekt aus diesen Bestrebungen liegt auf der Hand: Nie zuvor sind so viele Jugendliche in Konzerte und Theater gegangen wie heute.

Freilich, neu ist die Einbindung der Jugendlichen ins Theatergeschehen nicht. Man denke nur an die eigens für Kinder gedachten Schuldramen der Jesuiten ab dem 17. Jahrhundert oder an Mozarts 1767 ausdrücklich für Kinder geschriebenes Singspiel "Apollo und Hyazinth“. Trotzdem, von Kinderoper, wie sie sich heute darstellt, lässt sich erst im Jahrhundert danach sprechen. Und wer denkt dabei nicht zu allererst an Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel“? Bis heute ein Kassenschlager in zahlreichen Theatern, vor allem um die Weihnachtszeit, und für übernächste Saison, wie man hört, auch in einer Neuproduktion im Wiener Haus am Ring mit Christian Thielemann am Pult vorgesehen.

Auch im vorigen Jahrhundert zählten Märchenstücke zum ständigen Repertoire zahlreicher Opernhäuser. Nicht zuletzt deren unterschiedliche Qualität führte dazu, dass sich renommierte Komponisten dieses Themas annahmen und damit das Genre Kinderoper tatsächlich erst kreierten. Paul Hindemiths extra für Kinder geschriebenes "Wir bauen eine Stadt“, Paul Dessaus "Das Eisenbahnspiel“, die szenischen Spiele für Kinder von Darius Milhaud, Hans Krásas 1938 konzipierte, 1941 im jüdischen Kinderheim Prag uraufgeführte, später im Konzentrationslager Theresienstadt nachgespiel-te Kinderoper "Brundibár“ oder Benjamin Brittens "Let’s Make An Opera!“ sind einige der prominentesten Beispiele für die Entwicklung.

"Klänge unserer Zeit“

An sie knüpfte auch Hans Werner Henze mit seiner sowohl für Erwachsenen- wie Kinder-Darsteller komponierten, auf den Märchen von "Hänsel und Gretel“ und dem "Däumling“ beruhenden Favola per musica "Pollicino“ an. Ein das Genre Märchenoper bedienendes wie gesellschaftskritisches Stück, entstanden 1979/1980 für die Kinder in Montepulciano und das von Henze dort ins Leben gerufene "Cantiere Internazionale d’Arte“. "Während die Kinder schauspielern, singen und musizieren, erzeugen und hören sie Klänge, denen sie später wieder begegnen werden, in Konzertsälen, hoffentlich auch in Opernhäusern(!): Klänge unserer Zeit“, beschrieb der Komponist sein Anliegen. Beurteilt man es allein nach der Anzahl und den Orten der Aufführungen - darunter das Königliche Opernhaus Covent Garden London, die Opernhäuser von Hannover, Stuttgart, Mannheim, Dresden oder Rotterdam - dann hat dieses Stück im Sinne seines Schöpfers "eingeschlagen“. Was außer der Wahl des in mehreren Kulturkreisen bekannten wie populären Sujets mindestens ebenso an der musikalischen Realisierung liegt. Neben Arie, Duett, Cabaletta werden auch zahlreiche Tanzformen wie Walzer, Tango oder Polacca verwendet. Vor allem aber versteht Henze dies mit volkstümlichen Weisen so zu verbinden, dass die Gesangsnummern sich bald wie längst bekannte Schlager ausnehmen. Ebenso raffiniert erdachte Zwischenspiele binden diese Nummern zu einem schlüssigen Ganzen und kommentieren darüber hinaus die jeweiligen Situationen.

Ein Musterbeispiel, wie man Erfolgsstücke baut, die unmittelbar solche ansprechen, die bisher mit dem Genre Oper kaum oder keine Bekanntschaft gemacht haben, aber ebenso Opernliebhaber erfreuen. Vorausgesetzt, man versteht diese neunteilige Bilderfolge mit so viel Charme und Abwechslungsreichtum umzusetzen, wie es der Volksoper 1983 bei der österreichischen Erstaufführung dieses "Däumling“ so unvergesslich geglückt ist.

Gefällige Arrangements

Die Staatsopernproduktion, zugleich die vierte der insgesamt fünf Premieren in dieser Spielzeit, vermag daran nur sehr bedingt anzuknüpfen - abgesehen davon, dass das Ambiente des großen Hauses so manchen intimen Momenten dieser Partitur im Wege steht. Das würde ebenso wenig ins Gewicht fallen, wie dass man, um eine Spielzeit von einer Stunde zu ermöglichen, das eine oder andere Zwischenspiel gestrichen hat, hätte sich René Zisterer vom Sujet, vor allem aber der Musik zu einer über gefällige Arrangements hinaus gehenden Regie inspirieren lassen. So findet kaum mehr als konventionelles Rampentheater ohne nähere Charakterisierung der Personen statt, bleiben zahlreiche dramatische Momente bestenfalls angedeutet und kommt kaum je Spannung auf. Was auch am zu wenig zündenden Dirigat von Gerrit Prießnitz (an der Spitze des sauber musizierenden Staatsopern-Bühnenorchesters und des Orchesters des Musikgymnasiums Neustiftgasse) liegt. Ungeachtet vielfacher Textundeutlichkeit sämtlicher Protagonisten überzeugt Mat-theus Sinko vor der meist in violettes Licht getauchten, einfachen Waldkulisse (Bühnenbild und Ausstattung: Maria-Elena Amos) in der Titelrolle. Solide Hans Peter Kammerer und Caroline Wenborne als seine Eltern, Andreas Hörl (Menschenfresser), Ulrike Hetzel (Uhu) und Clarisse Jähn (Clotilde). Ungleich farbenreicher agierte Simina Ivan in der Rolle der Menschenfresser-Frau.

Pollicino

Wiener Staatsoper

weitere Termine: 4., 7., 8. Mai

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