Mit mehr oder weniger Meriten

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Facettenreich zeigt sich das Wiener Musiktheater: ein britisch erklärter Salieri am Theater an der Wien, ein androgyn gedeuteter Gluck an der Staatsoper und ein detailverliebter Offenbach an der Volksoper.

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Facettenreich zeigt sich das Wiener Musiktheater: ein britisch erklärter Salieri am Theater an der Wien, ein androgyn gedeuteter Gluck an der Staatsoper und ein detailverliebter Offenbach an der Volksoper.

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Eine Farce mit gesellschaftskritischem Einschlag? Eine Metamorphose über Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, wie man es Äußerungen von Regisseur Torsten Fischer im Programmheft entnehmen könnte? Dann hätte er sich für seine Inszenierung von Antonio Salieris vor allem musikhistorisch bedeutenden, vorrangig durch beredte Rezitative gekennzeichneten "Falstaff" am Theater an der Wien ein ernsthafteres Konzept überlegen müssen.

Fischer deutet das um Eifersucht und Intrige kreisende Libretto zu einer Familiengeschichte am britischen Hof um, die er in einem weiß getünchten Palastraum mit Spiegelwand (Ausstattung: Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer) erzählt.

Königin Elisabeth und Prinz Philipp erscheinen als stumme Schauspieler, Alice Ford als Kate, ihr als dem Wahnsinn nahe gezeichneter Gatte als Prinz William. Mrs. Slender (schrill Alex Penda) wird zu Camilla, Mr. Slender (perfekt falsettierend, sonst unpassend steif Arttu Kataja) zum im Schottenrock und Cut auftretenden Prinz Charles. Falstaff muss gar als Doof agieren. Bardolf darf zwischen einem servilen Diener, hintertrieben-mephistophelischen Intriganten und James Bond wechseln und damit schauspielerische Wandlungsfähigkeit demonstrieren, wie es der vokal souveräne Robert Gleadow perfekt vorzeigte. Dem als Rossini-Spezialisten gehandelten Maxim Mironov als Mr. Ford fehlte es zuweilen an Höhenglanz und Christoph Pohls am Ende im Zauberkasten zersägten (!) Falstaff mitunter an profunder Tiefe. Überstrahlt wurden sie von der alle Register ihrer Darstellungskunst mit Verve und Charme ziehenden Anett Fritsch als Mrs. Ford. Dass sie wie die Damen und Herren des ausgezeichneten Arnold Schoenberg Chors hörbar Spaß an dieser unkonventionellen Produktion hatten, lag auch an dem sich durch vorwärtsdrängende Attitüde auszeichnenden Dirigat von René Jacobs an der Spitze seiner transparent musizierenden Akademie für Alte Musik Berlin. Ist auch "Falstaff" noch so durchsichtig orchestriert, sind die Personen jedoch zu wenig psychologisch erfasst.

Homoerotische Züge

Zweifellos ist da Christoph Willibald Glucks "Armide" an der Staatsoper das stärkere Stück. Auch hier wird ein Sujet neu interpretiert: Regisseur Ivan Alexandre lässt die weibliche Titelfigur als Mann in Frauenkleidern auftreten. Er versteht sie als muslimische Sexfalle gegen die Kreuzritter, in deren Milieu diese Gluck-Oper spielt. Ansonsten konfrontiert seine Inszenierung auf der von einem Käfig dominierten Bühne (Pierre-André Weitz) mit einer von homoerotischen Zügen angehauchten, das Geschehen nobel suggerierenden Bilderfolge.

Gaëlle Arquez, die damit an der Staatsoper debütierte, beeindruckte als emphatische und virtuose Armide, Stanislas de Barbeyrac überzeugte als Renaud an der Spitze eines stimmigen Ensembles, in dem die Frauen qualitativ dominierten. Weil die Ensembles der Staatsoper auf Japan-Tournee sind, musizierten im Orchestergraben, von Marc Minkowski meist zu schroffen Akzenten und unterschiedlich spannendem Spiel animiert, die besonders auf dieses Repertoire spezialisierten Les Musiciens du Louvre.

Hauptsächlich auf Deutsch, einige Ohrwürmer auf Französisch: So präsentiert sich "Hoffmanns Erzählungen" an der Volksoper Wien in einer eigens für dieses Haus erstellten Version. Renaud Doucets Inszenierung in André Barbes etwas altmodisch-verspielten Bühnenbildern gefällt sich mehr in überbordenden Detailzeichnungen als in klaren Personencharakterisierungen. Mirko Roschkowsky hätte das Stimmmaterial für die Titelfigur, kämpfte aber mit technischen Problemen. Von seinen drei Damen gebührte Beate Ritters im unschicken Reifrock gekleideter koloraturensicherer Olympia die Palme, während sich Anja-Nina Bahrmann, und vor allem Kristiane Kaiser mit ihren anspruchsvollen Aufgaben als Antonia und Giulietta nur zum Teil anfreunden konnten. Josef Wagner hinterließ mit seiner, wenn auch nur bedingt Dämonie ausstrahlenden Darstellung der vier Bösewichte ungleich mehr Eindruck. Überhaupt waren die Männerrollen in dieser Ko-Produktion mit der Oper Bonn rollendeckender besetzt als die Frauenpartien.

Wenig Spannung und Dynamik

Mehr Spannung und eine differenziertere Dynamik hätte man sich aus dem Orchestergraben erwartet. Auch dass der Chor wiederholt dem Orchester nachhinkte, ist dem mehr koordinierenden als inspirierenden Dirigenten Gerrit Prießnitz zuzuschreiben.

Was alles in Offenbachs unvollendet hinterlassener Partitur steckte, konnte man wenige Tage vor dieser Premiere am Währinger Gürtel wenigstens ansatzweise im Wiener Musikverein erleben. Dort zeigte der über 90-jährige George Prêtre an der Spitze der Wiener Symphoniker vor, wie aufregend und feinnervig die Barkarole klingen kann.

Falstaff

Theater an der Wien, 21., 23. Okt.

Armide

Staatsoper, 19., 22., 25., 29. Okt.

Hoffmanns Erzählungen

Volksoper, 23., 25. Okt., 3., 6. Nov.

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