Makabre Manipulationen

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"In erschreckend-realen Bühnenbildern von David Fielding erzählt Keith Warner Dürrenmatts Geschichte, die Einems ironischer Lyrismus brillant erweiterte."

Mit zwei unterschiedlich konzipierten und gelungenen Neuproduktionen feierten Wiens führende Opernhäuser Gottfried von Einem, der im Jänner hundert Jahre alt geworden wäre. Wie das künstlerische Ergebnis dieser beiden Premieren ausgefallen wäre, wenn - wie ursprünglich geplant -"Der Besuch der alten Dame" an der Staatsoper und "Dantons Tod" am Theater an der Wien herausgebracht worden wäre? Darüber kann man nur spekulieren. Bekanntlich gaben Schwierigkeiten bei der Besetzung den Ausschlag, warum die beiden Häuser schließlich die Stücke tauschten.

Das aber verbietet nicht darüber zu sinnieren, wie Regisseur Keith Warner angesichts seiner dichten Deutung der "Alten Dame" Einems erste Oper, "Dantons Tod", in Szene gesetzt hätte. Auch mit einer so klaren Personencharakteristik und -führung, begleitet von einem derart perspektivischen wie eindringlichen Bühnenbild, womit er beim "Besuch der alten Dame" so beeindruckte?

Damit ist ihm am Theater an der Wien ein Wurf gelungen. Das Stück, diese bitterböse Parabel über Macht, Geld und Gier, das spezifische Spannungsverhältnis von Mammon und Moral, büßt offensichtlich nie an Aktualität ein. Für Geld scheint die Gesellschaft, wie es dieses Stück von Friedrich Dürrenmatt ungeschönt vor Augen führt, zu allem fähig. Selbst einen bis dahin geschätzten Mitbürger schickt sie in den Tod, wenn dafür ein zuvor nie erträumter Wohlstand zu winken scheint. Gier kennt weder Schranken noch Grenzen. Kein Horrorszenario, sondern täglich erlebbare Wirklichkeit.

Hoch oben eine Spielzeug-Eisenbahn, darunter der Eingang eines schmuddeligen Provinzbahnhofs und auf Stäben sich drehende Minimundus-Häuser. Später eine Sitzbank in unberührter Natur mit Plakaten, die bereits eine Verbauung mit störenden Wohnblöcken avisieren. Schließlich der Ausbruch dieser längst in den Sarkasmus abgedrifteten Idylle in die Dreidimensionalität, wenn eine Lok unvermutet in eine schrille Party fährt. In diesen spielerischbunten wie erschreckend-realen Bühnenbildern von David Fielding erzählt Warner Dürrenmatts Geschichte, die Einems ironischer Lyrismus brillant erweiterte wie verdichtete.

Ungenützte Möglichkeiten

Katarina Karnéus faszinierte als rachsüchtige Claire. Russell Braun mimte überzeugend ihren einstigen, von ihr nunmehr in den Tod getriebenen, stets nur den eigenen Vorteil vor Augen habenden Liebhaber Alfred. Dass es in der Politik meist weniger um die Sache als um das eigene Überleben geht, machte Raymond Verys schmieriger Bürgermeister unmissverständlich deutlich. Ebenso prägnant Markus Butters selbstverliebter Pfarrer und Adrian Eröds sich allen anbiedernder Lehrer.

Ihnen und den übrigen, unterschiedlich rollendeckend besetzten Protagonisten sowie den artikulationsklaren, sich gewohnt selbstverständlich ins Bühnengeschehen integrierenden Damen und Herren des exzellenten Arnold Schoenberg Chores legte Michael Boder mit seiner die einzelnen Höhepunkte der Partitur punktgenau herausstellenden, differenzierten Lesart am Pult des engagiert aufspielenden ORF-RSO Wien einen idealen Teppich. Was deswegen herauszustreichen ist, weil Einem seine Oper für ein größeres Ambiente erdacht hat. Vorrangig die Wiener Staatsoper, die diesen "Besuch der alten Dame" in Auftrag gegeben hatte und 1971 auch uraufführte.

Nicht ganz auf diesem Niveau glückte die Einem-Premiere an der Staatsoper. Dabei ist Einems Opernerstling, der 1947 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführte Zweiteiler "Dantons Tod", unbestritten das wirkungssicherere, unmittelbarer bewegende Stück. Und warum es nicht in einem käfigartigen, derart vorweg das Unentrinnbare der Situation suggerierenden Holzkubus, der genügend Raum für entsprechende Auf-und Abtritte bietet, realisieren? In dem Bühnenbild von Rainer Sinell hätten sich die Interaktionen der einzelnen Protagonisten klar zeichnen, ihre Handlungen plausibel erklären lassen. Das widerstrebte offensichtlich dem Regisseur, Josef Ernst Köpplinger. Sein Blick zielte auf das mehr oder minder unreflektierte Agieren der Massen, wie sich diese manipulieren lassen. Dem lässt sich mit scheinbarer Spontaneität nicht beikommen, wie sich bald zeigte. Nicht nur den zentralen Chorszenen, auch der Gerichtsszene hätte eine stärker ordnende Hand gut getan. Selbst wenn das die mangelnde psychologische Personenzeichnung nicht ganz hätte vergessen lassen.

Straffe Tempi, harte Akzente

Auch musikalisch hielt der Abend nicht ganz, was man sich von seiner Besetzung versprechen durfte. Am meisten überzeugte Wolfgang Koch in der Titelpartie. Herbert Lippert (Camille Desmoulins), Wolfgang Bankl (Simon), ebenso Jörg Schneider (Hérault de Séchelles) schienen am Premierenabend zuweilen bis an die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten gefordert. Blass Thomas Ebensteins Robespierre, wenig konturenscharf Ayk Martirossians Saint-Just. Mehr Eigenpersönlichkeit und subtile Strahlkraft hätte man sich von Alexandra Yangels Julie, aber auch Olga Bezsmertnas etwas zögerlicher Lucile erwartet.

Leicht machte es die erstmals an der Wiener Staatsoper dirigierende Susanna Mälkki ihren Mitstreitern -darunter die vorzüglich vorbereiteten Chor und Orchester - allerdings nicht. Ihr vorrangiges Interesse galt der strukturellen Komponente dieses Werks. Sie setzte auf straffe Tempi, harte Akzente, geschärfte Rhythmik. Aber nicht nur der Einfluss Strawinskys spiegelt sich in dieser Musik wider, auch Einems Faible für die Farbigkeit Puccinis. Das blitzte in Mälkkis oft sehr lautstarker Interpretation nur episodenhaft auf.

Dantons Tod Staatsoper, 31. März, 3., 6., 9. April

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