Dreimal wurde Verdis "Don Carlo“ uraufgeführt: 1867 im Théâtre Impérial de l’Opéra in Paris, 1884 an der Mailänder Scala und 1886 im Teatro Comunale in Modena. Für diesen Salzburger Festspielsommer und damit als besonderen Tribut zum Verdi-Jahr aber wählte man eine Mischfassung: die "Pariser“ auf Italienisch mit dem Fontainebleau-Akt. Denn nur so werden die Handlungsfäden dieser Grand Opéra deutlich. So wenigstens die Ansicht von Regisseur Peter Stein, die schon in der Vergangenheit nicht alle teilten. Etwa Herbert von Karajan, auf den die 1958 begonnene Salzburger "Don Carlo“-Aufführungstradition zurückgeht. Auf die Frage, weshalb er die vieraktige der fünfaktigen Opernfassung vorziehe, erwiderte er gerne, dass er damit bloß auf den Holzfällerchor verzichte.
Schlüsselszene König-Großinquisitor
Stein aber wollte es anders und zeigte mit seiner altmeisterlich-konservativen, auf jegliche Neudeutung verzichtenden Inszenierung an diesem langen, knapp über fünf Stunden dauernden Abend auch vor, warum: Weil sich mit dem Fontainebleau-Akt als Entrée die hier auf die Bühne gestellte Geschichte, vor allem die Liebesbeziehung zwischen dem Titelhelden und seiner Stiefmutter Elisabeth, besonders prägnant nachzeichnen lässt. Und zwar egal, ob im unmittelbaren Miteinander oder als nur ein Thema zwischen anderen. Wie etwa in der eindringlich gelungenen Szene zwischen König Philipp II. und dem Großinquisitor, was zwei außerordentlichen Sängerpersönlichkeiten geschuldet war: dem vokal schon ziemlich in die Jahre gekommenen Matti Salminen und dem mit markanter Tiefe prunkenden Eric Halfvarson.
Sonst war es vor allem der Abend von Jonas Kaufmann und Anja Harteros, die man, zumal auch nach ihrem "Trovatore“ bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen, als neues Traumpaar der Opernbühne bezeichnen kann. Wobei sich das an der Isar gewonnene Bild bestätigte. Denn auch im Großen Festspielhaus ersetzte Kaufmann seine fehlende Italianità meist durch betonte Kultiviertheit und faszinierte die Harteros von Beginn weg durch stimmliche Präsenz und schauspielerische Intensität. Eine bessere Besetzung für Carlos und Elisabeth wird man gegenwärtig nicht finden.
Dass sich in der Salzburger Aufführungsgeschichte für diese Partien auch bedeutendere Interpreten finden, sollte man trotzdem nicht ganz aus dem Gedächtnis drängen. Was, nebenbei bemerkt, auch für die übrigen Singschauspieler gilt - wie den gewohnt aristokratisch agierenden Thomas Hampson als Marquis von Posa, Robert Lloyds zuweilen fahl klingenden Mönch (und Karl V.), den soliden Tebaldo von Maria Celeng und die erst in der Schlussphase zur erwarteten Form auflaufende und mit einer berührenden Gestaltung des Schleierlieds aufwartende Eboli der sonst etwas zurückhaltenden Ekaterina Semenchuk.
Läppisches Autodafé
So frei sich die Protagonisten in den meist weiten, betont naturalistisch konzipierten Bühnenbildern von Ferdinand Wögerbauer - einzig die beiden Bilder des dritten Aktes, damit auch das Autodafé, wirken läppisch, hätten auch Platz in einer Boulevard-Komödie - bewegen können, so unterschiedlich führte sie Antonio Pappano am Pult der davon ungerührt ihre Klasse ausspielenden Wiener Philharmoniker. Denn erst nach der zweiten Pause, im vierten und fünften Akt, bekam dieser Abend wirklich Dramatik, wurde Leidenschaft nicht wie zuvor bloß subtil referiert, sondern mit packender Unmittelbarkeit vorgelebt. So wie man es sich den ganzen Premierenabend gewünscht hatte. Was sich dann auch im Applaus niederschlug, der zwar intensiv, aber mit kaum mehr als fünf Minuten doch unerwartet kurz ausfiel.
Trotz dieser Einschränkungen aber wurde dieser "Don Carlo“ insgesamt dem gerecht, was man sich stets von einer Festspielaufführung wünschte: prägnante Darsteller, eine bis ins Detail durchdachte, die Personen klar führende Regie und höchste Qualität im Orchester sowie bei den in dieser Szenerie meist nur sehr statisch agierenden Choristen aus den Reihen der Wiener Staatsoper.
Don Carlo
Salzburger Festspiele
22., 25., 28. August
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