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Die Italianita entrümpeln

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Mit ihren diesjährigen drei Neuinszenierungen, und zwar von Verdis „Aida“ und „Don Carlos“ und Puccinis „Turandot“, sind die Festspiele in Verona bisher ein eher erschreckendes Beispiel verschmockt-konserva-tiver Tradition, was Operninszenierungen anbetrifft, in ein neues Stadium getreten: Totale Entrümpelung hat der mutige, junge Intendant Dottore de Bosio auf die Fahnen der längst notwendigen, vom Publikum aber dennoch noch nicht voll akzeptierten Kampagne geschrieben. Als Regisseure und Bühnenbildner verpflichtete er Luciano Damiani, Jean Vilar und Luigi Squarzina, Künstler, die zwar nicht gerade Wieland Wagners kühnem Avantgardismus nacheifern, jedoch des Intendanten Wunsch,.,dem neuen Trend entsprechen, allmählich au|c,einen,,Stil hinarbeiten, die Arena, dieses gewaltige FJlipsoid mit seinen prachtvollen Stufenanlagen, ins Zentrum des Spiels rücken.

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Mit ihren diesjährigen drei Neuinszenierungen, und zwar von Verdis „Aida“ und „Don Carlos“ und Puccinis „Turandot“, sind die Festspiele in Verona bisher ein eher erschreckendes Beispiel verschmockt-konserva-tiver Tradition, was Operninszenierungen anbetrifft, in ein neues Stadium getreten: Totale Entrümpelung hat der mutige, junge Intendant Dottore de Bosio auf die Fahnen der längst notwendigen, vom Publikum aber dennoch noch nicht voll akzeptierten Kampagne geschrieben. Als Regisseure und Bühnenbildner verpflichtete er Luciano Damiani, Jean Vilar und Luigi Squarzina, Künstler, die zwar nicht gerade Wieland Wagners kühnem Avantgardismus nacheifern, jedoch des Intendanten Wunsch,.,dem neuen Trend entsprechen, allmählich au|c,einen,,Stil hinarbeiten, die Arena, dieses gewaltige FJlipsoid mit seinen prachtvollen Stufenanlagen, ins Zentrum des Spiels rücken.

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Das heißt, nicht mehr der traditionsgebundene dekorative Überbau dominiert, dem entsprechend man früher in der Arena am liebsten eine Breitfront-Guckkastenbühne aufgebaut hätte, sondern Versatzstücke passen sich jetzt dem architektonischen Gefüge des gewaltigen Monuments ein. Auch dort, wo — wie in „Aida“ — Kolassalbauten, Pylonen, Tempel- und Palasttore, weit ausgebreitete Marmorterrassen, drohende porphyrene Monstergottheiten notwendig werden, spürt man, daß versucht wird, den Schauplatz vom einengenden Papiermache zu befreien, der bisher oft reliefartig verengten Soielfläche Tiefendimension und somit neue Spannungsmomente zu leihen. Quer über alle Treppen, gleichsam himmelwärts.

Welch ein Effekt etwa In „Don Carlos“ (Regie: Jean Vilar, Bühnenbild: Damiani), wenn der Zug der Inquisition zur Höhe hinansteigt, wo die Feuer der Reinigung hinter den Gefängnisgittern lodern. Allerdings auch in der Massenregie, in Aufmärschen und Volksszenen wird die Reduktion bevorzugt, was an italienischen Opernkonventionen des neunzehnten Jahrhunderts hängende, eingesessene Italienische Kritiker besonders bejammern. Erst die Vereinfachung gestattet nun breiteres Ausspielen einzelner Szenen, klarere Artikulation dramatischer und lyrischer Momente. Sie schafft ganz neue Spannunigsverhältnisse zwischen dem Akteur und dem monumentalen Umraum. Und ä la longue scheint es durchaus möglich, eine Art Spieldramaturgie für die Arena zu entwerfen, die im Rahmen künftiger Kongresse erarbeitet werden könnte. Der Gedanke liegt um so näher, als für diesen Spielraum ein großzügiges, tragendes dramaturgisches Konzept in dem Moment notwendig wird, in dem man sich um einen Veroneser ODerninszenierungsstil. bemüht, den Festspielen durch Ausstellungen, Konzerte. Theater, möglichst auch durch neue Werke, einen neuen geistigen Anspruch unterlegt. Freilich, von heute auf morgen sind

die Probleme nicht zu lösen. Das weiß auch der richtig kalkulierende Intendant. Und so muß man vorerst teilweise noch seinen Willen und seine Intentionen für das Werk nehmen. (Das die internationale Presse sich diesmal besonders für dieses Festival engagierte, war nicht zuletzt das Verdienst des jungen Wiener Publ/ic-Relations-Experten Georg Manhardt.)

Nun, die hinsichtlich der räumlichen Gegebenheiten am klarsten, überzeugendsten gelöste Regieleistung in Verona bot Jean Vilar iriit Verdis „Don Carlos“, der im Rahmen der Stagione Lirica in der Arena heuer erstmals aufgeführt und auch thematisch in den Mittelpunkt des Festivals gerückt wurde: Im Teatro Romano am Etschufer sah man Schillers Version und beim Kongreß „Studi Verdiani“ erörterten Musiko-logen und Historiker Zusammenhänge zwischen Schillers Carlos und Verdis Freiheitsidee,

Gewiß, Carlos ist kein „Publikumsreißer“, der allabendlich Zwanzigtausend anlockt. Aber in dieser Glanzbesetzung war der mit einem für hier ungewohnten byzantinischsteifen Akzent behafteten Inszenierung der Erfolg, das heißt immerhin der enthusiastische Jubel von insgesamt fünfzigtausend Besuchern an fünf Abenden beschieden. Vilar gruppiert seine Szenen rund um das säulenflankierte Prachttof des Klosters San Just. Damiani entwarf dafür eine düsterglühende, schwarz-goldene Szenerie erstarrten spanischen Barocks, dominiert von einem riesigen Kruzifix, das über der Welt lastend thront.

Zahlreich sind die Treppenanlagen, die eigentlich geschäftiges Hin- und Hereilen, Gerenne, Märschieren, ein Wogen der Massen verlangten. Aber seltsamerweise kommen die Massenszenen nicht recht in Bewegung. Vilar bevorzugt einen höfisch starren Bewegungsstil, der lediglich im Arbeitszimmer König PhiliDps und in einzelnen Begegnungen Elisabeths mit Carlos von lebensvoll-feurigen

Ausdrucksmomenten durchbrochen wird. Allerdings muß man der Inszenierung Stil, eine persönliche Note zugestehen, die Atmosphäre absoluten Gottesgnadentums, des gewollt Preziösen wird geradezu greifbar. Dimiter Petkov ist eine eher jugendlich-elastische, bloß theatralisch resignierende Majestät von imponierender düsterer Stimmgewalt. Plo-cidgDomnig (Tenor):,ein hinreißender Wirrkopf voll Sinnlichkeit, Verzweiflung. Pietro CapueeMi als„-Marquis Posa eine Idealbesetzung. Montser-rat Caballi läßt als Elisabeth ahnen, wie großartig ihr geschmeidiger, sanfter Sopran in einem Opernhaus wirkte. Fiorenza Cossotto (Bboli) brilliert mit funkelnden Spitzentönen und blühenden Kantilenen. Tafcoo Okamura als Klosterbruder: stimmlich vielversprechend. Sonst: sehr solide, ausgewogene Gesangsleistungen. — Eliahu Inhal leitete die Aufführung mit Pathos, Temperament. Psychologische Feinheiten dieser Meisterpartitür blieben ihm stellenweise verschlossen.

Anders „Aida“: es ist zwar eine gleißende, lichtdurchflutete, allerdings weniger ökonomische, eine kaum wohl durchdachte Inszenierung (Luciano Damiani). Da herrschen überall noch alte Opernunsitten; das gewisse dürftige Bewe-

gungsrepertoire der großen italienischen Tenöre verunziert die Szenen eines Carlo Bergonzi (Radames), die expressiv singende Rita Orlandi-Malaspina (Aida) spielt teilnahmslos, als wollte sie ihren Kollegen bloß zusehen, Biserka Cvejic als Amneris genauso wie sie's in Wien oder sonstwo tut. Giangiacomo Guelfi (Amo-nasro) macht routiniert dramatische Verschwörergeste zum belanglosen Treiben. Antonio Zerbini (König) Bonaldo Giaiotti (Ramphis) schreiten, als wären sie aufgezogene Automaten. Von Stil und Linie, szenischer Entwicklung ist hier nichts zu spü-Ten... So geht es nicht. Der vehement einsetzenden Entrümpelung im Dekorativen muß die Entrümpelung im Spiel folgen, die totale Befreiung von abgegriffenen, verbrauchten Formen, eine lebens- und phantasievolle Regie, die ihre Spannungsmomente nicht zuletzt aus dem Umraum und semer'dichten Atmosphäre So blieb dem Publikum, das in Verona gerade an „Aida“ mit unbeschreiblicher Leidenschaftlichkeit hängt und in jeder Arie mitlebt, mitfühlt, mehr die Freude an kostbaren, strahlenden Stimmen, deren Feuer, Glanz und Timbre dank hervorragender Akustik ausgezeichnet zur Geltung kommen. Die Leitung der Aufführung hatte Carlo Franci, der seine Karajan-Schule nicht verleugnen kann (und offensichtlich auch nicht will). Ein brillanter Dirigent mit Geschmack und Flair fürs musikalische Monumentaltheater. Man kann gespannt sein, wie die Veranstalter ihr mutiges Konzept verwirklichen, was ihnen mit „Carmen“ im Sommer 1970, der Jubi-läums-„Aida“ gelingen wird. Vor allem, wie sie ihr großes Festivalprojekt realisieren.

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