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Fanfaren, Fackeln und Sterne in Verona

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Die Welt als Kulisse, die Antike als Bühne: das ist der Hinter- und Untergrund, auf dem in der Arena von Verona alljährlich die großen Operninszenierungen stattfinden. Heuer waren es Verdi, Puccini und Donizetti, die gespielt wurden: „Aida“, „Turandot“ und „La Favorita“, im Vorjahr waren es Verdi, Puccini, Bizet und Bellini: „Rigoletto“, „La Boheme“, „Carmen“ und „Norma“. Es sind immef wledeivdie gleiahtn Opern, dieiMer-“'gespielt werden, für deren Inszenierung * die große“ Arena -ideale Möglichkeiten bietet. Blättert man im Kalender der Veroneser Freilichtaufführungen zurück, so findet man auch zwei Aufführungen verzeichnet, die unmittelbar Bezug haben zum Mythus, der Verona unsterblich machte: 1939 wurde die Oper „Giulietta e Romeo“ von Zandonai aufgeführt, 1955 das Ballett „Romeo und Julia“ von Prokofieff. Sonst aber blieb man den bewährten Erfolgsstücken treu.

Als 1913 zum ersten Male im alten römischen Amphitheater eine Oper aufgeführt werden sollte, fiel die Wahl auf „Aida“ — man hatte damit bereits die Oper gefunden, die wie keine andere sich hier entfalten konnte: man spielte sie wieder, als die Opernsaison in der Arena nach dem Krieg, 1946, neu eröffnet wurde, als man 1953 das 40jährige Jubiläum der „Stagioni Liriche“ feiern konnte, und unzählige andere Male. Heuer, für die 36. Saison, war die „Aida“ von Maestro Tullio S e r a f i n neu einstudiert worden; den Chor dirigierte Giulio B e r-t o 1 a, die Regie lag in den Händen von Herbert Graf, die Choreographie stammte von Luciana N o v a r o.

Das Schauspiel im Amphitheater beginnt schon lange vor 21 Uhr, dem offiziellen Beginn der Vorstellungen, wenn das Volk in die Arena einzuströmen beginnt und die Ränge sich langsam füllen. Chiantiflaschen und Brote in der Hand, kommen die ersten Besucher schon gegen 19 Uhr: die Sitzplätze in den einzelnen Rängen sind nicht numeriert, und es ist wichtig, sich möglichst früh einen Platz zu sichern; da die Aufführungen meist bis etwa 1.30 Uhr dauern, ist es ratsam, Proviant mitzunehmen. Bald ist eine Lärmkulisse vorhanden, als würde ein Stierkampf stattfinden und nicht eine Opernaufführung. Die Arena faßt 30.000 Menschen. Viele Aufführungen waren ausverkauft und Tausende verlangten vergeblich Einlaß. In der ganzen heurigen Saison, die vom 24. Juli bis zum 17. August währte, war eine einzige Aufführung verregnet und mußte abgesagt werden; Verona ist klimatisch sehr begünstigt. An allen anderen Abenden wölbte sich ein wunderbar klarer Sternenhimmel, nur selten von ein paar hellen Wolken überzogen, über der Arena: auch er gehört mit zum Schauspiel der Opernnacht von Verona.

Wenn es 21 Uhr wird, betritt der Maestro das Pult, der Lärm ebbt ab und das Spiel kann beginnen. Die Scheinwerfer, die das 140 X 110 Meter große Oval des Amphitheaters erleuchteten, erlöschen, und Beifall, wie man ihn nicht oft zu hören bekommt, schwillt an. Dazu leuchten auf den Rängen Tausende, vielleicht Zehntausende von Kerzen auf, die die Be-

Sucher zur Begrüßung der Stars und des Orchesters mitgebracht haben und die sie nun entzünden: ein Schauspiel des Publikums für die Künstler...

Auch heuer hatte man wieder erste Kräfte — viele von der Mailänder Scala — engagiert. In der Aufführung, die wir sahen, sang Antoinetta Stella die Aida, Adriana L a z z a r i n i die Amneris, Carlo Bergonzi den Radames und Franco V e n-'•t r i g 1 i a (kn; .König.'-Vor allem ■ die Damen, der helle Sopran'der Stella und der dunkle Mezzosopran der Lazzarini, aber auch der starke Tenor Bergonzis ernteten immer wieder Szenenapplaus.

Die Inszenierung kulminierte natürlich im Triumphmarsch. In früheren Jahren war es üblich, daß dabei Hefanten und Kamele über die Bühne zogen; das ist jetzt leider nicht mehr so. Heute ist der Purismus Trumpf, und da ist es den Tieren verboten worden, auf der Bühne zu erscheinen. Aber der Purismus von Verona kann sich immer noch sehen lassen: mehr als 700 Mitwirkende kommen in ihren Junten Gewändern, rot und schwarz-gold vor allem, auf die Bühne, treten aus dem Nachthimmel heraus und marschieren, springen, kollern die Stufen herunter. Fanfaren ertönen. Standarten und Fackeln werden mitgetragen, und immer neue Menschengruppen quellen auf die Bühne. Es ist ein großartiges Bild, ein Musterbeispiel moderner Massenregie, wie man sie sonst nur in Technicolorfilmen zu sehen bekommt.

Der Szenenwechsel findet natürlich auf offener Bühne statt; auch er gehört zum Schauspiel wie die Programm- und Zeitungsverkäufer, die Kissen- und „Operngucker“vermieter. Die Scheinwerfer wenden sich dann gegen das Publikum, um einen schwachen Lichtvorhang vor die Bühne zu legen. Doch das Dunkel ist licht genug, und man sieht, wie die prunkvolle Szene sich ins Grab des unglücklichen Radames verwandelt. ..

Eine Opernnacht in Verona bleibt jedem, der sie miterleben durfte, unvergeßlich. Dies ist das großartigste Freilichttheater Europas. Hier hängen Theater und Wirklichkeit so direkt zusammen wie vielleicht nirgends sonst. Hier ist de Bühne noch die Welt. Und das ist ja letztlich der Sinn jedes Schauspiels.

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