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Oper aus Verlegenheiten

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Die Glanzzeiten der Arena von Verona sind fürs erste vorbei. Die goldenen Tage, da ein Aufgebot der ersten Sänger, von der „Met” und der Scala vor allem, hier aufregende Opernabende bescherten, werden immer seltener. Placido Domingo ist heuer im „Bąjazzo” und in „Cavalleria rusticana” der einzige von Weltkali- ber. Aber am Budget der Arena liegt es nicht in erster Linie (denn da sorgen schon Politiker dafür, daß Intendant . Cappelli nicht auf dem Trockenen sitzen bleibt). Es liegt vielmehr an den Problemen, die immerwährend kleine Streiks und Auseinandersetzungen mit sich bringen. Streik - einmal, weil das Bühnenorchester in einer Oper nicht beschäftigt ist (und zwar ohne Rücksicht darauf, ob Komponisten wie Charles Gounod ein Bühnenorchester für ihr Werk als sinnvoll empfanden oder nicht); dann wieder ein Verschleppen von Pausen ins Endlose, nur weil es regnen könnte… Daß internationale Sänger unter solchen Probenbedingungen höchst ungern auftreten, dieses Zeitschindespiel nicht mitmachen, ist klar. Also vermißt man sie in Verpna immer mehr. Wie aber auch die Aufführungen selbst unter diesem Verschleudern von Probenzeit leiden.

Der Premiere von Charles Gounods „Romeo und Julia”, heuer zur Eröffnung der Opernstagione in der Arena, merkte man deutlich an, unter welchen Umständen sie zustandegekommen war und wie wenig Zeit der Regisseur im Grunde gehabt haben mochte. Ein Abend schlampiger Beiläufigkeit.

Allerdings ist Gounods Oper, ein „kleines”, intimes Werk, für die Arena nicht sonderlich geeignet. 1867, also acht Jahre nach dem „Faust” (im deutschen Sprachraum als „Margarethe” auf allen Spielplänen) komponiert ist es ein Werk ohne jede Dramaturgie. Eine Häufung von Liebesduetten und vorwiegend klein besetzten Szenen, die man maßlos aufblasen mußte, um sie in der Arena nicht untergehen zu lassen.

Hundertschaften, in häßliche Kostüme Maria Antonietta Gambaros verpackt, stelzen durch dieses Verona: eine rotschwarze Monsterfestung, Türme, Paläste, Auffahrtsrampen für ein paar 1000 Leute. Modernistisch verschachtelt, daß es wohl den Veronesern selbst die Rede verschlug, als sie sahen, wie sich die Bühnenbildnerin ihre schöne Stadt als Bühnenideal vorstellt. Kein Wunder, daß der Applaus, der sonst auch für schöne Bühnenausstattungen sehr leidenschaftlich ausfallt diesmal fast ausblieb.

Fragwürdig blieb übrigens auch das Inszenierungskonzept des Filmregisseurs Gianfranco De Bosio. In Hollywood und Cinecittä mag er sich erfolgreich mit Fümstars schlagen und seine Art von Realismus erfolgreich verkaufen. Für Veronas monumentalen Rahmen ist ihm aber nur Konventionelles ohne jede Phantasie eingefallen. Langweiliger geht’s kaum. Jede Szene versucht er zur großen Show zu steigern, bleibt aber meist in sinnlosem Auf- und Abgehen, in lächerlichem Ringelrein stecken. Operntheater der Verlegenheit.

Wenigstens musikalisch war man da weitaus besser bedient. Die Bearbeiter haben zwar für diese italienische Fassung ein paar Striche geöffnet und auch einiges gekürzt (und dafür offenbar ganz schön kassiert). Aber ich könnte mir ohne weiteres noch andere größere Kürzungen vorstellen, die Gounods endloses Schwelgen in schönen Klängen etwas straffen und so auch ein bißchen kaschieren, daß es in dieser Oper keine rechten Einfälle, keine zündenden Melodien, keine packenden musikalischen Themen gibt.

Michel Plasson, ein sehr temperamentvoller jüngerer Dirigent, baute immerhin diewenigenHöhepunkte effektvoll auf: den hinreißenden Anfangschor, der das Romeo-und-Julia- Thema deutet, Mercutios Tod, die Lie- besszene am Balkon, Romeos und Julias Tod … Nicht gerade überreich an packenden Momenten, wenn man bedenkt, daß das Werk in dieser Fassung fast vier Stunden dauert. In Verona ist es nicht von ungefähr unpopulär.

Die Besetzung ist wohl das heikelste Kapitel: Die Romeos und Julias laufen nicht gerade zahlreich herum. Nur große Stimmen sind auch nicht das Ideal für diese Partien. Am besten paßt noch Veriano Lucchettis Romeo. Seine Stimme ist voluminös, aber das Timbre weich schmelzend. Wiewohl er natürlich nichts mit dem Jüngling Romeo gemein hat. Jeannette Pilou als Julia wirkt neben ihm scharf, und das Ewigmädchenhafte, das sie sich für solche Partien zu bewahren sucht, ist auch schon längst abgestanden. Fedora Barbieri (Gertrude) und Nicola Ghiuselev verteidigten als einzige den Ruf Veronas als großes Operntheater. Alles andere rundum ist schleunigst zu vergessen.

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