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Zweimal Shakespeare

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Nach wie vor ist Shaliespeare an den deutscnsprachigen Bühnen der meist’ aufgeführte Autor. In der letzten Spielzeit wurden 27 Werke in 99 Inszenierungen dargelioten. Das Trauerspiel „Julius Caesar", das deraelt im Burgiheater wiedergegeben wird, rangiert allerdinj^s nicht unter den vier, fünf bevorzugtesten Stücken, mag es auch früher eines der beliebtesten gewesen sein. Vielleicht haben wir in unserem Jahrhundert zu viel Erfah-rune mit Tyrannen und sehen da schärfer.

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Nach wie vor ist Shaliespeare an den deutscnsprachigen Bühnen der meist’ aufgeführte Autor. In der letzten Spielzeit wurden 27 Werke in 99 Inszenierungen dargelioten. Das Trauerspiel „Julius Caesar", das deraelt im Burgiheater wiedergegeben wird, rangiert allerdinj^s nicht unter den vier, fünf bevorzugtesten Stücken, mag es auch früher eines der beliebtesten gewesen sein. Vielleicht haben wir in unserem Jahrhundert zu viel Erfah-rune mit Tyrannen und sehen da schärfer.

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Maßgebliche Literarhistoriker und Kritiker haben nicht sehr überzeugend dieses Trauerspiel als eine der gewaltigsten Tragödien Shakespeares bezeichnet, dabei aber mit Recht gravierende Einwände erhoben. Der hinreißende Schwung der Szenen bis einschließlich der großartigen Forumsrede des Marc Anton ist unbestreitbar. Aber Cäsar in den wenigen Szenen, in denen er auftritt, so ganz ohne geistige Größe zu zeichnen, ihn lediglich auf einem Ohr als taub, als fallsüchtig, als beeinflußbar darzustellen, der nur auf dem Kapi-tol nicht nachgibt, läßt ihn für die andern keineswegs als glaubhaft bedrohlich erscheinen. Mord bliebe auch Mord einem Unhold gegenüber. Und hier? Die Verschworenen töten Cäsar nicht, weil er Untaten begangen hat, sondem weil er sie in Zukunft begehen könnte. Das ist also ein Vorbeugungsmord, mit dem sich vor allem der als so rechtschaffen dargestellte Bmtus ins Unrecht setzt. Ist nun Brutus die Hauptfigur des Stücks? Es sieht so aus. Aber dieser Mörder aus altruistischen, aber nicht gerechtfertigten Gründen wirkt in seiner betonten Lauterkeit reichlich steif. Shakespeare folgt einfach der Geschichte, wenn er ihn dem Selbstmord überantwortet. Der zweite Teil des Trauerspiels fällt völlig ab. Wieder setzt Regisseur Gerhard KUngenberg als Bühnenbildner Stufen und wechselnd gestellte Kupferplattenwände für die verschiedenen Schauplätze ein, wie schon elnmtįl. Die ständIige Symmetrie verführt In der Regie zu Formalismus, zu bevorzugter symmetrischer Stellung der Figuren, zur Anordnung der Bürger in der Forumszene als kompakten Rechteckblock. Alle Lebendigkeit geht verloren, vom Schwung der ersten Szenen ist durch diese Starre nichts zu spüren. Wieder tragen die römischen Vomehmen weiße Hosen und weiße Militärmäntel. Die deutsche Fassung von Klingenberg ist der von Schlegel berechtigt vorzuziehen. Doch sollten die menschlich ansprechenden Portia-Szenen nicht gestrichen werden, um so mehr als über Portias Selbstmord dann doch berichtet vnrd.

Von O. E. Hasse als Cäsar versprach man sich viel. Aber er erreicht nicht jene darstellerische Durchschlagskraft, die man an ihm gewohnt ist.

Die anderen sind stramme Recken mit mannhaftem Ton, Walther Reyer als Brutus — immer der gleiche klassische Held —, Rudolf Melichar als Cassius und und… Sebastian Fischer spricht als Marc Anton die zweifellos raffinierte Forumsrede doch zu artiflziell. Stück und Aufführung packen nicht.

In der vergangenen Spielzeit lag „Romeo und Julia" der Anzahl der Aufführungen nach im deutschen Sprachbereich an vierter Stelle. Das mag erstaunlich wirken. Wäre nicht zu vermuten, daß heute etwa ein Teenagerpublikum bei diesem Trauerspiel des 27jährigen Shakespeare in schallendes Gelächter awsbricht? Die derzeitige Aufführung im Volkstheater zwingt zur Stellungnahme. Jedenfalls ist diese schönste Liebestragödie der Weltliteratur, wie man sie bezeichnet hat, eine Verherrlichung der sinnlichen Liebe, einer Liebe, die aber, wie Romeo erklärt, derb und roh ist, mit tausend Domen sticht. Lieben heutige Menschen mit dieser leidvollen Heftigkeit? Das andere Wort Romeos wider Enthaltsamkeit liegt ihnen näher. Schon Georg Brandes hat den Schlaftnmk, den Julia einninmit, „so unverständig wie möglich" gefunden. Julia flieht nicht zu Romeo nach Mantua, obwohl der Vater erklärt, sie zu verstoßen, wenn sie Paris nicht heiratet. Romeo ist dermaßen verwirrt, daß er Gift besorgt, statt seinen Dolch zu verwenden, daß er das Rätsel von Julias Tod iiicht aufzuklären versucht; VoUeniäs kommt es zum Selbstmord der be’den lediglich durch den Zufall, daß ein Brief nicht bestellt werden konnte. Diese sinnlich Erglühten, die beinahe noch Kinder sind, vermögen nur miteinander zu leben, sonst ziehen sie den Tod vor. Schon Luigi da Porto schrieb im Jahr 1524 in seiner Erzählung „Giulietta", in der er diesen Stoff von Masuccio von Salemo übemahm: „Welche Frau würde handeln wie die treue Giulietta, die den Tod suchte neben ihrem Geliebten?" Schon für ihn war dieses Ende ein Sonderfall, wie erst für uns.

Und doch: 139 Aufführungen in der vergangenen Spielzeit. Entgegen allen Einwendungen ist es bed der Aufführung so, daß das durch die beiden Liebenden jäh aufflammende Gefühl über alle Unstimmigkeiten hinwegträgt. Wer in unserer Zeit der Ent-innerlichung nicht seelisch völlig verkarstet ist, auf den wirkt das Stück. Das beweist auch die Aufführung im Volkstheater unter der Regie von Gustav Manker, der die Gefühlsszenen nicht überschäumen läßt, das mancherlei Bewegungsmäßige spürsam einsetzt. Das einzige Bühnenbild, vom Regisseur im Verein mit Gerhard Janda entworfen, zeigt vier schmale bühnenhohe Pfeiler, die eine erhöhte Spielebene tragen. Es sind keine Verwandlungen nötig, erst gegen Schluß ergibt sich dadurch Unlösbares. Sowohl Michael Heitau als Romeo wie Kitty Speiser als Julia haben das leidenschaftlich Erglühte dieser jungen Liebenden. Sie bieten überdurchschnittliche Leistungen. Hilde Sochor ist eine derb temperamentvolle Amme, dem witzig überlegenen Mercutio gibt Herwig Seeböck allzuviel explosive Aggressivität. Gutmütig klug wirkt Herbert Propst als Bmder Lorenzo. Unter den zwei Dutzend Darsteilem heben sich noch Aladar Kunrad als Tybalt, sowie Margarete Fries und Egon Jordan als Julias Eltern heraus. Eine vorzügliche Aufführung. Die Übersetzung von Loek Huisman hat gegenüber Schlegel — Parallele zu KUngenberg — den Vorteil erheblich besserer Sprechbarkeit.

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