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Zweierlei Mord

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Wir Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts haben reichliche Erfahrungen mit Revolutionen. Der dreiundzwanzigjährige Schiller besaß sie nicht als er das republikanische Trauerspiel „Die Verschwörung des Fieseo zu Genua“, das derzeit im Burgtheater aufgeführt wird, zu schreiben begann. Das war sieben Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution, ihm standen lediglich Bücher zur Verfügung. Dennoch wurde dieses Stück eine Entlarvung entscheidender revolutionärer Triebkräfte. Nun freilich erschrickt man bei der Lektüre, es gibt immer wieder Stellen im Dialog, die durch Bombastik unerträglich sind. Es findet überdies eine Häufung von kolportagehaften Schurkereien statt, so daß da in manchem übler Kintopp vorweggenommen ist. Hinzu kommen zahlreiche Unsinnigkeiten, die keineswegs der Herausarbeitung der Charaktere oder des Schicksalhaften dienen, sondern nur unbeholfen wirken. Die Feststellung ist nicht neu, daß die früher entstandenen „Räuber“ höher zu bewerten sind.

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Wir Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts haben reichliche Erfahrungen mit Revolutionen. Der dreiundzwanzigjährige Schiller besaß sie nicht als er das republikanische Trauerspiel „Die Verschwörung des Fieseo zu Genua“, das derzeit im Burgtheater aufgeführt wird, zu schreiben begann. Das war sieben Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution, ihm standen lediglich Bücher zur Verfügung. Dennoch wurde dieses Stück eine Entlarvung entscheidender revolutionärer Triebkräfte. Nun freilich erschrickt man bei der Lektüre, es gibt immer wieder Stellen im Dialog, die durch Bombastik unerträglich sind. Es findet überdies eine Häufung von kolportagehaften Schurkereien statt, so daß da in manchem übler Kintopp vorweggenommen ist. Hinzu kommen zahlreiche Unsinnigkeiten, die keineswegs der Herausarbeitung der Charaktere oder des Schicksalhaften dienen, sondern nur unbeholfen wirken. Die Feststellung ist nicht neu, daß die früher entstandenen „Räuber“ höher zu bewerten sind.

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Die Hauptgestalt Fiesco, ebenfalls ein Dreiundzwanzigjähriger, kann uns nun freilich einiges sagen. Er ist taktisch klug, da er seine Absichten in der allgemeinen Gärung zunächst tarnt, dann aber als Führer der Verschwörung gegen die drohende Tyrannei hervortritt. Fiesco zeigt sich der Falschheit fähig, er arbeitet mit Finten, um sich beim Volk beliebt zu machen. Er erstrebt keineswegs die Errichtung einer neuen Ordnung, es geht ihm lediglich egoistisch darum, selbst Herzog zu werden, es geht ihm ausschließlich um seine persönliche Macht. Nur im Wunsch, die Gefahr, die vom Nachfolger Gianettino des alten Dogen Andrea Doria droht, zu beseitigen, trifft er sich mit den Verschworenen. Daß er aber nicht einmal heuchlerisch gemeinnützige politische Ziele vorgibt, ist ein Mangel des Stücks. Aber auch der ehrsame Republikaner Verrina entwickelt keine politischen Ideen. Damit zeigt der junge

Schiller, wie sehr die Revolutionäre lediglich darauf ausgerichtet sind, durch Destruktion die Macht zu gewinnen.

Regisseur Lindtberjr streicht klug alles Pathetisch-Schwulstige, streicht die Nebenhandlung mit Berta, läßt Verrina vernünftigerweise Bourgo-gnino nicht in eine „furchtbare Wildnis“ holen, um ihm zu sagen, daß Fiesco sterben müsse. Doch das andere Widersinnige kann auch er nicht beseitigen. Für den Schluß verwendet er die übliche Urfassung, nicht, wie verlautete, die Leipziger Änderung. Wieder zeigt sich Lindt-bergs vorzügliche Führung der Schauspieler. Als Bühnenbildner ordnete Ruodi Barth ein Hintereinander seitlich verschiebbarer, austauschbarer dunkler kupferfarbigen Renaissancewände an.

Klaus-Jürgen Wussow ist als Fiesco ganz der beschwingte, stets lächelnd überlegene Ehrgeizling, dem man das Sinnliche und die Falschheit glaubt. Erich Auer verkörpert gut Verrinas Starrsinn. Hinter der Empörtheit läßt Paul Hörbiger als Andrea Doria die Güte spüren. Hochmütig gehabt sich Michael Janisch als sein verhaßter Neffe. Heinrich Schweiger als überaus beweglicher Mohr — eine großartige Gestalt — merkt man die Freude an der eigenen Perfldie an. Annemarie Düringer ist eine innerlich vornehme Leonore, Zdenka Prochazkova eine impulsive intrigante Julia.

Schon vor einem halben Jahrhundert wandten sich die Jungen gegen die Eltern. In Bronnens „Vatermord“ tötet der Sohn den Vater, bei Hasenclever erspart lediglich ein Schlaganfall des Vaters dem Sohn den* Mord. Heute, in der Zeit weltweiter Rebellionen der Jugend, kommt es in dem im Kleinen Theater der Josefstadt gespielten Stück „Die Nacht der Mörder“ von dem Kubaner Jose Triana, das ebenfalls in aller Schärfe den Gegensatz der Generationen vorführt, keineswegs zum Elternmord.

Ein junger Mann und seine beiden Schwestern treffen sich im Heizungskeller ihres Wohnhauses, berauschen sich an der Vorstellung, Vater und Mutter zu ermorden, steigern sich immer mehr in ihren Haß, bis der junge Mann die Eltern fiktiv ersticht. Alles bleibt Spiel. Ist es Einübung oder Abreaktion? Nun, die beiden Mädchen spielen auch sonst noch Polizei und Gericht mit dem jungen „Mörder“, dieses Verfahren dient allen dreien aber nur dazu, das vorerst keineswegs übermäßig abstoßende Bild der Eltern nun merkbar immer mehr wahnhaft zu verzerren.

Der Spielcharakter wird dadurch betont, daß alle drei alternierend verschiedene Rollen verkörpern; wollten sie ihre Eltern wirklich ermorden, wären sie zu diesem Rollenwechsel, zu dieser Spielerei nicht fähig. Daß dabei unter ihnen Sado-Masochistisches frei wird, läßt an Stücke von Arrabal denken. Es sind Psychopathen, die ihren Haß wie Gift verspritzen, in dem Phantasiemord findet der „Mörder“ Beruhigung, denn am Schluß erklärt er, daß er die Eltern trotzdem liebt. Diese krankhaft geifernden jungen Menschen, die kein Ziel haben und sich als innerlich völlig leer erweisen, treibt unbewußt das eigene Ungenü-gen in ihr verbrecherisches Spiel. Berechtigt arbeitet Erik Frey als Regisseur das Hektische, Übersteigerte, Psychopathische dieses Spiels heraus, wobei Sieghardt Rupp, Dietlind Macher und Gertraud Jesserer vorzügliche Leistungen bieten.

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