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Ödipusserl, der Terrorist

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Ich finde die Ansicht, das Gegenteil von gut sei gut gemeint, doch etwas übertrieben. Ich finde, daß ein gut gemeintes, aber nicht ganz gelungenes Stück doch eine milde Beurteilung verdient als ein nicht einmal gut gemeintes. Ich finde also für die neueste Volkstheater-Uraufführung, „Im Schatten des Turmes“ von Harald Hauser eine Menge mildernder Umstände. Nur können die leider am Stück nichts verbessern.

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Ich finde die Ansicht, das Gegenteil von gut sei gut gemeint, doch etwas übertrieben. Ich finde, daß ein gut gemeintes, aber nicht ganz gelungenes Stück doch eine milde Beurteilung verdient als ein nicht einmal gut gemeintes. Ich finde also für die neueste Volkstheater-Uraufführung, „Im Schatten des Turmes“ von Harald Hauser eine Menge mildernder Umstände. Nur können die leider am Stück nichts verbessern.

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Wieder einmal hat sich einer unbekümmert eines überlebensgroßen Themas angenommen und dabei den erstbesten Einfall genug sein lassen - das Ergebnis sind zwei Akte über den Terrorismus im Stil einer Salonkomödie, freilich einer mit blutigem Hintergrund und tragischem Ausgang. Eine Salontragödie also. Da wird recht gemütlich geplaudert und debattiert, stellenweise geradezu ein bisserl im Stil von Shaw, nur nicht ganz so witzig - bis es eben passiert. Es. Das Schreckliche.’

Das Schreckliche ist, daß die Terroristen, zu denen der Sohn eines offensichtlich konservativen deutschen Politikers gehört, einen von dessen Parteifreunden, offenbar so eine Art Buhmann, ermorden wollen, irrtümlich aber den Vater ihres Gesinnungsgenossen erwischen, dem der Buhmann zufällig seinen Wagen zur Verfügung gestellt hat. Ödipus, der Terrorist, sticht sich nicht die Augen aus, sondern wird, weil er’s gar so verzweifelt treibt, zum Sicherheitsrisiko für die Terroristen und mit zwei Schüssen (hinter der Bühne) liquidiert. Ödipus’ Schwester hat sich zwar auch in terroristische Aktivitäten verwickelt und ist am Tod des Vaters mitschuldig, doch hier darf das Publikum hoffen, zumal seelischer Zusammenbruch Läuterung kündet - ihr altmodischer Verehrer beugt sich tröstend über sie,während der Vorhang sich schließt. Sie wird wohl mit ein paar Monaten wegen Sachbeschädigung, wenn nicht überhaupt mit dem schlechten Gewissen (und einem braven Mann) davonkommen.

Die Warnung vor dem Terrorismus also als Warnung vor dem Spiel mit dem Feuer: Seht her, was dabei alles passieren kann! Als könnten solche Betriebsunfälle jene beeindrucken, die es wirklich ernst meinen, die die bestialische Komponente dessen, was sie tun (oder bejahen) bewußt in Kauf nehmen, unbewußt aber wohl gerade suchen. Echte Terrorismus-Sympa thisanten und potentielle Terroristen werden aus diesem Stück günstigstenfalls die Lehre ziehen, daß man sich bei der Durchführung eines Anschlages vergewissern sollte, daß der richtige Mann im Auto sitzt. Nun sind aber derartige Verwechslungen nicht gerade ein Zentralproblem des Terrorismus, eher schon die kalte Präzision, mit der so viele Anschläge ablaufen. Die Amalgamierung des Terrorismus-Themas mit dem Ödipus-Motiv bringt den Zufall ins Spiel, nimmt damit dem Weg junger Menschen aus guten Häusern in den politkriminellen Untergrund gerade das, worauf es einer Untersuchung dieses Phänomens mit den Mitteln des Theaters ankommen müßte: Die Unbedingtheit, die kalte Folgerichtigkeit des Abstieges in die Inhumanität.

Das Stück hat aber zwei große Pluspunkte. Der eine ist die absolute Integrität des Autors, ist seine humanistische Grundtendenz, die, trotz allen Schwächen, durchaus über die Rampe kommt. Hier versucht einer wirklich, einem Phänomen auf den Grund zu gehen, dem er fassungslos gegenübersteht. Es gelingt ihm nicht, Wesentliches darüber zu sagen, wie junge Menschen Terroristen werden - dafür bleiben auch deren Beziehungen untereinander zu blaß. Sehr wohl aber gelingt es ihm, die eigene Fassungslosigkeit und die Fassungslosigkeit der Eltern, die sich vergeblich fragen, wo sie es bei der Erziehung haben fehlen lassen, spürbar, erlebbar, zu machen.

Der andere Pluspunkt: Der in Südamerika lebende Österreicher Harald Hauser ist zwar völlig außerstande, seine Terroristen so reden zu lassen, daß man ihnen die heutigen Terroristen glaubt, dafür aber schlägt, sicher vom Autor gewollt, durch den unscharf porträtierten Jargon heutiger Unmenschlichkeit deutlich und stellenweise fast phonographisch genau der Jargon der Unmenschlichkeit von Anno 1930 oder 1935 durch. Statt (ohnehin fragwürdiger) Terroristen-Mi- lieuechtheit arbeitet er auf diese Weise die Parallelität mit der überheblichen Humanitätsverachtung einer Generationjunger Nationalsozialisten heraus, holt aus’dem militanten Linken den SA- oder SS-Mann hervor, der in ihm steckt.

Zu den Schwächen der Konzeption gesellen sich freilich solche der Sprache und der Dialogführung. Auf dem Höhepunkt des Stückes, dort, wo die Meinungen von Vater und Sohn aufeinanderprallen und sich zu existentiellen Haltungen verdichten sollten, fällt dem einen wie dem anderen erstaunlich wenig ein. Auch da hat sich der Autor zu schnell zufriedengegeben. Da möchte man den beiden am liebsten einsagen. Und das ist nicht gerade ein die Wirkung steigernder Effekt.

Die Regie von Erich Margo, aber auch die Besetzung der Vaterrolle mit Hanns Krassnitzer, macht glaubhaft, daß der Sohn Klaus Kadereit die väterliche Maximen nie in einer besonders beeindruckenden Form serviert bekommen hat. Der Mann im Haus war wohl immer die Mutter. Elisabeth Epp spielt die noch immer von der Gegnerschaft gegenüber den Nazis geprägte Frau sehr stark. Ernst Cohen als Sohn macht seine Sache, so gut er kann, aber (und das gilt mit Einschränkung auch für die von Barbara Klein gespielte Figur der Schwester) die harten Konturen, die Kraft im Negativen, welche das schockartige Zurvernunftkommen am Ende glaubhafter gemacht hätten, werden ihm vom Autor vorenthalten. Ein sympathischer, etwas weicher Ödipus, ein ödipusserl, aber so sind sie ja vielleicht. Vielleicht hat sogar mancher vom harten Kern nur mit dem Feuer gespielt, konnte dann nicht mehr zurück. Bernhard Hall und Karl SchmidrWerter: Zwei junge Män ner mit guten Manieren, ganz so, wie so viele Terroristen aus gutem Haus geschildert werden. Friedrich Haupt gibt dem um das Terroristenmädchen bemühten jungen Mann alle guten Eigenschaften (darunter auch ein paar von der Stange). Deckend in Nebenrollen: Peter Hey, Robert Werner. Maxi Tschunko durfte bei den Kostümen aus dem Vollen schöpfen. Tibor Vartok baute das gute Haus, dessen Nestwärme ödipusserl ausbrütete - wie Anna, die brave, von Erna Schickei gespielte mütterliche Haushälterin zu den geradezu asozial hoch aufgehängten Blumen gelangt, um sie zu gießen, habe ich mich allerdings während gelegentlicher Längen des Textes gefragt.

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