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Nachlese zum Nationalfeiertag

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Am vergangenen Staatsfeiertag wurde im österreichischen Fernsehen Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ auf geführt. Die hierbei dem Stück gegebene • Interpretation macht es nötig, sich mit ihr moralpolitisch auseinanderzusetzen.

Die Bearbeiter der Fernsehfassung, Otto Schenk und Peter Weiser — der erstere insbesondere als Regisseur — waren nämlich bei der Inszenierung sehr offensichtlich von einem Gedanken geleitet: alles, was dem venezianischen Juden Shylock in dem Stück widerfährt, als ein Musterbeispiel des gesamten historischen Unrechtes darzustellen, das den Juden zu allen Zeiten angetan wurde. So wird, was immer auch Shylock geschieht, von den Bearbeitern auf den geschlossenen Antijudaismus und die kollektive und individuelle Bosheit aller nicht jüdischen Venezianer zurückgeführt.

Mit dieser Auffassung standen die Bearbeiter freilich von vornherein in einigem Widerspruch zu der Shakespeares und seines Textes, wie später noch gezeigt werden wird. Anstatt nun zu erklären, daß man sich nach einem geeigneteren, ihrer Auffassung entsprechenderem Stück umsehen müsse, zwangen sie jene dem „Kaufmann“ auf. Hierbei konnten sie größtenteils — wenn auch nicht immer — dem Vorwurf vorbeugen, etwas am Texte geändert zu haben. Das Wesen und die Technik des Fernsehens ermöglichen das durchaus. Das optische Moment herrscht dort von vornherein so stark vor, daß das gesprochene Wort weitaus weniger Bedeutung als etwa auf der Bühne hat und vom Zuschauer als nicht sehr wesentlich empfunden wird. So kann hier jeder Text und sein Sinn durch anders gemeinte Bilder von Handlungen, Gesten und Mimik überwuchert, verhüllt und somit ironisiert, in Frage gestellt und, wenn man es will, auch ins Gegenteil verkehrt werden.

Dies geschah in dieser Inszenierung auf durchgehende und — man kann nicht anders sagen — raffiniert-geschickte Weise. Es sei hier nur an einem, jedoch in sich bedeutungsvollem Beispiel illustriert: an der von Shakespeare als solche eindeutig statuierten Liebesbeziehung zwischen dem Christen Lorenzo und der Jüdin Jessica. Schon bei der Exposition Lorenzos, wird, wenn ihn Shakespeare ganz ernsthaft von seiner Liebe zu Jessica sprechen läßt, von Schenk im Bilde gezeigt, wie er dabei anderen vorbeigehenden Frauen begehrlich nachblickt und sie sogar betastet. Damit wird dem Zuschauer eindeutig klargemacht, daß es mit der ganzen Liebe nicht weit her und daß Lorenzo ein gefühlloser Verführer und nach anderem aus sei. Wonach, das erfahren wir in der Entführungsszene. Hier beteuert Jessica, vom Fenster hinunter Lorenzo ihre Liebe, auch indem sie ihm vom Vater entwendete Wertsachen vorweg zuwirft. Gerührt sagt Lorenzo zu seinem Helfer bei der Entführung über Jessica: „Verwünscht mich, wenn ich sie nicht herzlich liebe; Denn sie ist klug, wenn ich mich darauf verstehe, Und treu ist sie, so hat sie sich bewährt.

Drum sei sie, wie sie ist, klug, schön und treu, Mir in beständigem Gemüt verwahrt.“

Während Lorenzo diese völlig eindeutigen Worte spricht, läßt ihn jedoch Schenk die vordem zugeworfenen Wertsachen exstatisch umarmen, so daß der Eindruck entsteht, daß s i e es sind, was er an Jessica liebt und „verwahrt“. Zuletzt noch konstruieren die Bearbeiter mit einem aus früherem Zusammenhang gerissenen Text und unter weiterer Verwendung der photo-assoziativen Methode eine Schlußszene, mit der der Eindruck geschaffen werden soll, daß Lorenzo nichts als ein brutaler SA-Mann sei — wie der Kritiker der „AZ“ begeistert feststellt (das bei dieser Gelegenheit manifeste Versagen der Wiener Kritiker mit der einzigen Ausnahme H. Bergers vom „Volksblatt“ verdient eine eigene Abhandlung), — und daß der „Renegatin“ Jessica mit Recht kein gutes Leben an Lorenzos Seite bevorsteht. So wird denn aus ihr, der so opferbereiten und überzeugt Liebenden Shakespeares, durch Schenk eine neurotischmelancholische Problematikerin.

Wir erkennen aber auch an diesem Beispiel, um wieviel mehr von dem sicherlich sonst genug in seiner Zeit befangenen Humanismus Shakespeares, denn von dem so wuchtig vertretenen Philo- semitismus Schenks und Weisers zu halten ist Shakespeare vertritt die Meinung, daß die Liebe zwischen Mann und Frau alle religiösen und nationalen Schranken durchbreche. Um des Diktums von der universellen antijüdischen Front willen sind Schenk und Weiser ihrerseits gezwungen zu verkünden, daß aus Mischehen auf keinen Fall etwas Gutes herauskommen könne. Sie fallen damit in die reaktionäre Haltung der rassistischen wie der religiösen oder politischen Trog- lodyten zurück.

Das mögen sie sicherlich nicht gewollt haben. Dennoch: um der Verschwörung der Weisen von Venedig willen, müssen alle diese elisabethinisch-leichtlebigen und im Grunde kaum je wirklich bösen Venezianer Shakespeares insgesamt zu hassenswerten Schemen des vorgefaßten Konzeptes werden. So wird selbst die liebenswürdige Porzia — bei Shakespeare Inbegriff weiblicher Intelligenz und des Sieges über die männliche Plumpheit, doch auch — jawohl auch! — über die finstere Rachsucht Shylocks — bei Schenk schließlich zu einer nazistischen Megäre mit einem entsprechend nymphomanischen Einschlag.

Erste Lehre: Man darf der Wahrheit auch nicht um einer guten Sache willen Gewalt antun. Damit verwandelt man nicht nur die Wahrheit in Lüge, sondern auch die gute Sache in eine schlechte.

Um dem Kampf gegen den Antijudaismus zu dienen, glaubten die Bearbeiter des Stücks — in dem es sicherlich genug Lug und Trug und anderes Böses gibt — unterschlagen zu müssen, was es darin an Liebe, Freundschaft und Hilfsbereitschaft und überhaupt an Menschlichkeit gibt. Was verblieb, war eine Orgie des Menschenhasses. Die Gesinnung, die das verursachte, ist derjenigen nicht unähnlich, die zur „Rettung“ des Sozialismus oder der Demokratie in fremde Länder einbricht oder bereit ist, zugunsten des „Kampfes um den Frieden“ die Welt in Stücke zu zerschlagen.

Als Jude aber möchte ich sagen: Gott bewahre uns vor einer Judenfreundschaft, bei der über sämtliche Christen und das Christentum — wie im vorliegenden Fall Venedigs — der Stab gebrochen wird. Man mag einwenden: auch über Sodom wurde der Stab gebrochen. Wie jedoch hat Abraham dort bis zuletzt nach wenigstens zehn Gerechten gesucht, um deretwillen es hätte gerettet werden können! Wir Juden haben genug durch die Konstruktion der „Verschwörung der Weisen von Zion gegen die Christenheit“ zu leiden gehabt. Wir wollen nun nicht durch die Konstruktion einer „Verschwörung der Weisen von Rom gegen die Judenheit“ leiden müssen. Wir wollen nicht mit dem Geist der Unversöhnlichkeit identifiziert werden.

Ich glaube durchaus an die ehrenhafte Absicht der Schenks und anderer, die wenig glücklich sind über die hierzulande geübte Verwischung und Vertuschung der bösen Vergangenheit. Ich meine nicht, daß man deshalb die ganze Zeit seither sich an die Brust schlagen und nostra culpa hätte rufen sollen. Ich kann mich anderseits nicht des Verdachtes erwehren, daß manche, welche die vergangene Schuld so wütend denunzieren, dies deshalb tun, um sich davon auszunehmen. Im übrigen jedoch, glaube ich, da man — ohne die vergangene Schuld zu verbergen — die ganze Zeit über besser daran getan hätte, von jenen zu zeugen, die nicht an ihr teilgenommen, ja die ihr widerstanden haben: die sicherlich mehr als nur zehn Gerechten. Dann hätte man möglicherweise ein geeigneteres Stück für den Staatsfeiertag gehabt und nicht diesen unglücklichen und verunglückten Versuch unternehmen müssen, der bei aller Brillanz — oder gerade wegen ihr — auf Kosten des Glaubens an das Gute ging — eines Glaubens, dessen wir heute noch immer dringend bedürfen.

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