Neue "La Traviata“ - vom Wege abgekommen

Werbung
Werbung
Werbung

Mit einer szenisch wie musikalisch enttäuschenden "La Traviata“ eröffnete die Staatsoper den Premierenreigen der neuen Spielzeit. Entsprechend reserviert und kurz war der von Buh-Rufen konterkarierte Applaus.

Ohne überzeugende Gestalter der Titelpartie lässt sich selten ein Staat machen. Dies war im Haus am Ring in dieser Koproduktion mit dem Festival d’Aix-en-Provence, die bereits im Sommer dort zu sehen war, zu erleben. Schon im Vorfeld meinte Natalie Dessay, dass die Violetta nicht ihre Partie sei. Trotzdem hat sie es versucht und sich dieser für ihre kleine Stimme zu großen Herausforderung gestellt. Was nützt die eine oder andere mit besonderer Sensibilität bewältigte Phrase, wenn man den Abend über die Anstrengung spürt, mit der die Interpretin ihrer selbst gewählten Aufgabe gerecht werden will?

Darüber kann eine noch so virtuose schauspielerische Kompetenz nicht hinwegtäuschen. Zumal in einer Inszenierung, die sich im Freien wohl weitaus besser ausmacht als in einem geschlossenen Raum, in der anstelle eines einheitlichen Bühnenbilds (Alexandre de Dardel) mit großförmigen plakatartigen Bildern versucht wird, Atmosphäre zu schaffen. Irgendeine, denn wo und wann dieses Stück spielt, lässt sich in diesem sehr beliebigen Ambiente nur bedingt ausnehmen.

Die Skepsis des Regisseurs

Auch mit der Interaktion der Darsteller klappt es nicht. Die Idee, aus einer Art Probensituation zum Kern des Stücks zu kommen, wird von Regisseur Jean-François Sivadier nicht weitergeführt. Die offenkundige Absicht, die dominierende Dreipersonenkonstellation zwischen Violetta, ihrem Liebhaber Alfredo und dessen schicksalhaft ins Geschehen eingreifendem Vater Giorgio Germont kammerspielartig auf die Bühne zu bringen, bleibt im Ansatz stecken. Hier hätte es neben einer klaren Personencharakteristik einer gezielten Personenführung bedurft. Wie aber soll das funktionieren, wenn die Darsteller wiederholt gezwungen sind, auf sich mehr oder weniger allein gestellt vor dem Vorhang zu agieren oder frontal zum Publikum zu singen?

Auch mit einer Botschaft hält sich die Inszenierung zurück. Nicht anders zu erwarten bei einem Regisseur, der entgegen der historischen Wahrheit darüber sinniert, dass die Figur der Violetta gar nicht existiert, sondern erst durch die Partitur zum Leben erweckt wird. Wie lässt sich etwas glaubhaft realisieren, wenn man einem Sujet derart skeptisch gegenübersteht?

Weit unter den Erwartungen blieb diese erste Staatsopernpremiere der neuen Saison überraschenderweise auch musikalisch, sieht man von Fabio Capitanucci als für Wien neuen Vater Germont ab. Um an die großen Gestalter dieser Partie anzuschließen, bedürfte es freilich einer konturierteren Tiefe. Prominent liest sich die Aufzählung der Orte, an denen der amerikanische Tenor Charles Castronovo schon gastiert hat. Als Visitenkarte für einen rollendeckenden Alfredo erwies sich dies als zu wenig. Abgesehen von seiner kleinen Stimme, fehlt ihr Glanz in der Höhe, auch Geschmeidigkeit in der Mittellage.

Endlos gedehnter Totentanz

Solide waren die übrigen Partien besetzt, gut studiert präsentierten sich die Choristen, die in dieser zuweilen von Sesseln dominierten Bühnenlandschaft schunkeln oder mit den Hüften wackeln dürfen.

Dass dieser Abend nicht so recht vom Fleck kam, lag vor allem am Dirigenten, Bertrand de Billy. Bei aller Todesnähe, die Verdis "La Traviata“ von den ersten Takten an auszeichnet, besticht die Musik ebenso durch intime Poesie, kantable Brillanz, kultivierte Walzerrhythmik. De Billy an der Spitze des ihm willig folgenden Staatsopernorchesters deutete diesen Verdi allerdings einseitig zu einer Art sich bald endlos dehnendem Totentanz um, was nicht nur den eigentümlichen Charme der ungleich facettenreicheren Musik seltsam konterkarierte, sondern die Spannung bei aller Detailverliebtheit rasch abebben ließ.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung