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Bejarts Kameliendame

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An ihrem 13. Tag haben die Wiener Festwochen mit der Aufführung von „La Traviata“ im Theater an der Wien einen ersten sensationellen Höhepunkt erreicht. Sie verdanken ihn dem genialen Choreographen und Regisseur Maurice Bejart, der, seit ihn Maurice Huisman im Jahre 1960 an die belgische Nationaloper nach Brüssel berief, aus diesem Haus ein Zentrum des modernen Musiktheaters gemacht hat. — An vier Abenden zeigte er eine seiner kühnsten und gelungensten Produktionen, die ihm in enger Zusammenarbeit mit dem Bühnen- und Kostümbildner Thierry ßosquet geiun&en ist.

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An ihrem 13. Tag haben die Wiener Festwochen mit der Aufführung von „La Traviata“ im Theater an der Wien einen ersten sensationellen Höhepunkt erreicht. Sie verdanken ihn dem genialen Choreographen und Regisseur Maurice Bejart, der, seit ihn Maurice Huisman im Jahre 1960 an die belgische Nationaloper nach Brüssel berief, aus diesem Haus ein Zentrum des modernen Musiktheaters gemacht hat. — An vier Abenden zeigte er eine seiner kühnsten und gelungensten Produktionen, die ihm in enger Zusammenarbeit mit dem Bühnen- und Kostümbildner Thierry ßosquet geiun&en ist.

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Man glaubt, Bejarts Stil und den seines „Ballets du XX-me Siede“ zu kennen - und erlebt immer wieder Überraschungen. Es begann 1959 mit dem auch auf zahlreichen Gastspielreisen im Ausland, u. a. auch in Wien, .gezeigten und vom .österreichischen ' Fernsehen .ausgestuahltep • „Sacre.du ,-Brtn'temps“. von Strawin-sky. Dann folgten Choreographien, Ballette oder Tanzpoeme auf Musik von Debussy, Mahler, Wagner, Bach u. a., die die künstlerischen und intellektuellen Strömungen der letzten eineinhalb Jahrzehnte reflektierten: Existentialismus, Neoexpressio-nismus, „Totales Theater“, bereichert durch mystische und fernöstliche Elemente. — Aber was würde Bejart mit dieser „klassischen“ Verdi-Oper anfangen?

Wir müssen uns zunächst daran erinnern, daß gerade dieses Werk von jeher eine gewisse aktuelle Sensation bedeutet hat. Mexandre Dumas fils schrieb seinen Roman von der „Kameliendame“ unmittelbar nach dem Tod jenes Mädchens vom Lande namens Alphonsine Plessis, 'die unter dem Namen Marie Duplessis in Paris als große Kurtisane Karriere machte und m jungen Jahren an Schwindsucht sterb. Bereits drei Jahre danach wurde das Theaterstück von Dumas in Paris gespielt, und schon 1853 war Verdi mit seiner Oper fertig, .leren Text ihm F. M. Piave angefertigt hatte. Es war damals keineswegs etwas Alltägliches, eine solche „Heldin“ auf die Opernbühne zu bringen, und das mag u. a. auch Bejart dazu angeregt haben, dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten: einer Epoche, einer Gesellschaft, als Spiegelung von uns selbst, weil, was da auf der Bühne geschieht, auch jedem im Zuschauerraum passieren kann — und umgekehrt. Und ferner: „Die Oper ist nicht dazu da, um uns eine Geschichte zu erzählen, sondern um einer Geschichte träumend nachzuhängen.“ Wer diese Prämissen akzeptierte, kam in den Genuß eines erlesenen Schau- und Hörspiels. Wer freilich seine liebe, gute „Traviata“ -r- die weitaus feinste Partitur, die Verdi geschrieben hat — in der 333. konventionellen Inszenierung zu sehen hoffte, mußte das Theater an der Wien arg enttäuscht verlassen. Und einige taten es unter lautem Gebrüll.

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Statt der vier Schauplätze, die Piave und Verdi vorschreiben (Salon Violettas, Landhaus bei Paris, Ball-

saal bei Flora, Violettas Zimmer) sieht man ein riesiges Opernparkett, im Halbrund von zwei Logenrängen begrenzt und umkränzt, die aufs kostbarste ausgeschmückt sind (etwa im Stil von 1850 bis 1880). In diesen Logen ist der Chor untergebracht. Bojart' 'braucht 'aber^-nocH' -eta-ei Proszeniumslogen und läßt den Vater Germont gelegentlich auch von einer Mittelloge des zweiten Ranges singen bzw. mit der Tite.'heldin duettieren. Auch hat 3ejart eine neue Figur eingeführt, den stummen Choreographen A. D. Alexandre Dumas oder auch Armanc Duval, Held der echten romantischen Geschichte. Dieser tritt meisi im Frack, gelegentlich auch hüllenlos auf, er steuert die Bewegunger der Hauptfiguren, trägt oder führ' diese auf die Bühne, stellt sie wk Gliederpuppen (deren es eine ganze Menge gibt, man kann sie von der echten Akteuren anfangs nur schwel unterscheiden) in den gewünschter Positionen auf. Im letzten Bild wird Traviata, die „Entgleiste“, Todgeweihte, in einem blumengeschmück-ten Sarg hereinzutragen usw. Auf der Bühne und in den Loger

herrschen Prunk und Pracht. Und so ist es zunächst der optische Eindruck, der dominiert (eine solche Wirkung haben wir nur zweimal erlebt: in Wieland Wagners „Aida“-Inszenierung, die bei den Berliner Festwochen vor etwa 10 Jahren gezeigt wurde, und in dem von Dali ausgestatteten „Tristan“-Ballett nach Wagner-Musik). Vier Künstler nennt das Programm, die die auf der Bühne herumstehenden Skulpturen geschaffen haben, darunter eine riesige. Hat man sich einmal an diese „Verfremdungen“ gewöhnt und ist man gewillt etwas anderes ajls die gewohnte „Traviata“ zu sehen, so ;:ommt man darauf, daß hier - auch ganz schön gesungen wird. Zum Beispiel von der bildhübschen Griechin Vasso Papantoniou in der Titelrolle, deren Sopran nicht nur gut, sondern auch groß und strahlend ist (leider nicht immer ganz intonation^rein), ferner von dem mit einem bemerkenswerten Bariton ausgestalteten Vater Germont namens Louis Qui-<Reö- '•seinewrSohrt' Alf red**,• -din “Tenor - Edoardo 1 Glmenez und der Freundin Violettas Flora namens Anita Terzian .,. Weniger Erfreuliches kam aus dem Orchestergraben, wo das NiederösterreicWsc/'ie Tonkünstlerorchester unter einem fremden Dirigenten (£lio Boncompagni, eine ihm ungewohnte Aufgabe zu erfüllen bemüht war, während der Chor des Brüsseler Opernhauses trotz Verteilung auf mehrere Logen wacker zusammenhielt...

Im ganzen ein großer, interessanter Abend, eine Aufführung, bei der man das Gefühl hatte, daß alles so funktionierte, wie der Regisseur es sich vorgestellt hat. Um so betrüblicher, daß Bejart selbst nichl zu sehen war. Aber vielleicht hatte man ihn auf den Protest ines kleinen Teils des Publikums vorbereitet und gewarnt.

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