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Die schöne Fremde

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Als Jules Emile Frederic Massenet 1912 in Paris starb, hatte er insgesamt zwei Dutzend Opern geschrieben und war weltberühmt. Drei wurden nach seinem Tod uraufgeführt. Die berühmteste — auch außerhalb Frankreichs erfolgreichste — war „Manon“, nach einer Episode aus den siebenbändigen Memoiren und Abenteuern des Abbė Prėvost. Die Uraufführung fand 1882 in Paris, die Wiener Premiere am 19. November 1890 im k. k. Hofoperntheater statt. Jene sorgfältige Inszenierung sowie die glanzvolle Besetzung der beiden Hauptpartien mit Marie Renard und Ernest van Dyck mögen Massenet dazu bewogen haben, Wien zum Ort der Uraufführung seines „Werther“ zu bestimmen. Seither wurde „Manon“ im Großen Haus am Ring und im Theater an der Wien insgesamt etwa 260mal gespielt.

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Als Jules Emile Frederic Massenet 1912 in Paris starb, hatte er insgesamt zwei Dutzend Opern geschrieben und war weltberühmt. Drei wurden nach seinem Tod uraufgeführt. Die berühmteste — auch außerhalb Frankreichs erfolgreichste — war „Manon“, nach einer Episode aus den siebenbändigen Memoiren und Abenteuern des Abbė Prėvost. Die Uraufführung fand 1882 in Paris, die Wiener Premiere am 19. November 1890 im k. k. Hofoperntheater statt. Jene sorgfältige Inszenierung sowie die glanzvolle Besetzung der beiden Hauptpartien mit Marie Renard und Ernest van Dyck mögen Massenet dazu bewogen haben, Wien zum Ort der Uraufführung seines „Werther“ zu bestimmen. Seither wurde „Manon“ im Großen Haus am Ring und im Theater an der Wien insgesamt etwa 260mal gespielt.

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Die Premiere am vergangenen Samstag war die erste dieser Saison in der Wiener Staatsoper. Sie wurde mit entsprechender Sorgfalt vorbereitet und besetzt. Man tat gut daran, für Inszenierung und Ausstattung einen Franzosen zu engagieren, denn das Genre der „opera comique“ und des „drame lyrique“ haben bei uns keine Tradition, zumindest war diese für viele Jahre unterbrochen (die letzte Neuinszenierung im Theater an der Wien hat 1949 stattgefunden, Ljuba Welitsch sang die Titelpartie, später dann Sena Juri- nac).

Jean Pierre Ponnelle hat sich davor gehütet, „Manon“ zu modernisieren oder zu stilisieren. Hingegen hat er versucht, den überlangen Abend, der samt den zwei Pausen (eine hätte vollauf genügt) Wagner-Format hatte, unterhaltsam und abwechslungsreich zu gestalten. Von den sechs. Bildern waren vier von geschmackvoller Konventionalität, das letzte anfechtbar, das vorletzte von erlesener Schönheit und Eleganz. Es erhielt zu recht Sonderapplaus, sobald es der Vorhang freigab.

Der Hof der Poststation von Amiens hatte die Atmosphäre des

18. Jahrhunderts, das Zimmer in Paris die entsprechende Armut, die „Fete au Cours-la-Reine“ fröhliche Bewegung, St. Sulpice, wo der Chevalier Des Grieux als Abbė von den frommen Damen umschwärmt wird, noble und gedämpfte Farben, das Hotel de Transylvanie war ein Fest fürs Auge: Die vierfach geteilte Bühne zeigte gleich mehrere von rotglühenden Il,üstern erleuchtete Spielräume, die in Pastellfarben ausgestattet waren und in denen sich eine mit subtilem Geschmack gekleidete Gesellschaft bewegte. — Anstatt der öden Straße nach Le Havre, die das Textbuch vorschreibt, zeigte Ponnelle im letzten Bild einen düsteren Winkel an der riesig aufragenden Hafen- maue/ mit einer steilen Treppe.

Im Ganzen trachtete der Regisseur

Ponnelle, möglichst viel Abwechslung und Bewegung in die eher statisch angelegten Szenen zu bringen, und nur, wer diese Oper einmal (ungekürzt) ohne diesen Aufputz in ihrer ganzen epischen Länge und Breite erlebt hat, wird ihm deshalb keinen Vorwurf machen. Vielleicht hätte er alles mehr um die beiden Protagonisten zentrieren sollen, zumal sie vorzüglich waren: die zierlich schlanke Griechin Jeanette Pilou und der männlich profilierte Spanier Giacomo Aragall. Dieser Manon glaubt man mehr die leidend Liebende als die Abenteurerin, während ihrem Partner mehr der dramatische Ausbruch als die lyrische Kantilene liegt. Aber beide haben intensiv gesungen und gespielt. Dabei hatte Aragall einen Tenor von metallischem Glanz einzusetzen, wie es nicht viele von dieser Qualität und Technik, gibt. In der Rolle des Vaters Des Grieux machte darstellerisch und stimmlich Ganzarolli gute Figur, Mastromei war ein imposanter „dicker Vetter“, Heinz Zednik als Guillot-Marfontaine und Hagegaard als Bretigny gaben scharf charakterisierte Figuren von jungen Lebemännern aus der Provinz. Die Damen Jahn, De Groot und Yachmi in ihren dekorativen Kostümen waren angenehm anzusehen und zu hören. Mit dem Französischen kam das aus einem halben Dutzend Ländern zusammengewürfelte Ensemble beachtlicher Stimmen mit wechselndem Glück zurecht. Das der beiden Protagonisten war fast untadelig.

Serge Baudo war der Dirigent der Aufführung, und daß Manon bei uns eine schöne Fremde ist, war deutlicher aus dem Orchestergraben als von der Bühne zu hören. Übrigens ist sie und ihre Schwestern, von „Eve“ und „Herodiade“ bis Werthers Lotte und „Thais“ mehr auf den französischen Provinzbühnen als in der großen Pariser Oper zu Hause.

Bis vor kurzem, etwa noch in den dreißiger Jahren, konnte man mindestens ein halbes Dutzend der Massenetschen Opem auf dem Spielplan eines beliebigen „Theätre muncipal“ antreffen, mit seinem ein wenig verstaubten Plüschkomfort, seinem lässig, aber instinktsicher musizierenden kleinen Orchester und den entsprechenden kleinen, weichen, typisch französischen Stimmen. Denn was Brahms als „französische Zuckerbäckermusik“ und andere als „Seelensofa“ abtaten, ist den Franzosen sozusagen auf den Leib angepaßt Diese stets geschmackvollen und deliziösen Klänge, der sentimentale und diskrete Ausdruck, die süße Kantilene, das nie sich vordrängende Orchester: das ist dort klassischer Besitz. Romain Rolland, ein großer Bewunderer der deutschen Musik, schrieb einmal, in jedem Franzosen stecke ein Stück Massenet (den übrigens auch Debussy sehr verehrt hat und ohne den Puccini nicht das geworden wäre, was er ist). Und Francis Poulenc machte ihm das schönste Kompliment, als er einmal sagte: „Massenet — c’est notre folklore!“

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