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Romeo und Julia in der Bartholomäusnacht

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Giacomo Meyerbeer, der einer der erfolgreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts war und durch sein bewußtes Streben nach Pomp und Wirkung das Deuxieme Empire in der Musik repräsentierte, muß der mittleren und der jüngeren Generation erst vorgestellt werden. Denn seit 35 Jahren wurde in Wien keine seiner Opern aufgeführt, die 1933 aus den deutschen und fünf Jahre später auch aus den österreichischen Spielplänen verschwanden.

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Giacomo Meyerbeer, der einer der erfolgreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts war und durch sein bewußtes Streben nach Pomp und Wirkung das Deuxieme Empire in der Musik repräsentierte, muß der mittleren und der jüngeren Generation erst vorgestellt werden. Denn seit 35 Jahren wurde in Wien keine seiner Opern aufgeführt, die 1933 aus den deutschen und fünf Jahre später auch aus den österreichischen Spielplänen verschwanden.

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Giacomo Meyerbeer hieß ursprünglich Jacob Liebmann Beer und wurde 1791 als Sohn eines Bankiers in Berlin geboren. Seine Ausbildung durch berühmte Lehrer erfolgte in mehreren deutschen Städten, wo er unter anderen Kollege von Carl Maria von Weber war. In Wien als Pianist erfolgreich, wurde er von Salieri auf die italienische Oper gewiesen. 1816 bis 1824 hielt er sich in Italien auf. Es waren entscheidende Jahre, in denen er unter dem Einfluß Rossinis mehrere Opern im italienischen Stil schrieb. Sein erster großer Erfolg kam aber erst nach seiner Übersiedlung nach Paris mit „Robert der Teufel“, der 1831 an der Grande Opera uraufgeführt wurde. Als nächste Oper folgten „Die Hugenotten“, wie ihr Vorgänger nach einem Text von Eugene Scribe, deren Partitur Meyerbeer bereits 1833 fertiggestellt, aber erst drei Jahre später zur Uraufführung freigegeben hat.

Es geht, wie in den meisten Opern Meyerbeers, um ein Liebespaar, das in den Widerstreit feindlicher Parteien gerät, also um das Rorneo- und-Julia-Motiv. Die einander gegenüberstehenden Feinde sind hier Katholiken und Protestanten; der Kulminationspunkt des Konflikts ist die Bartholomäusnacht am 24. August 1572. Die Königin von Navarra, Margarete von Valois, will den Streit beenden, indem sie Valentine, die Tochter des katholi schen Grafen von Saint Bris und Braut des Grafen von Nevens, mit dem protestantischen Grafen Raoul de Nangis vermählt. Nach vielerlei Komplikationen wird das Liebespaar auf der Flucht von einem Trupp Katholiken, den Valentines Vater kommandiert, erschossen. Auch hier also: Blut und Liebe, wie in den meisten Opern; aber hier entbrennen die Konflikte auf konfessioneller Basis, und nicht überall und zu allen Zeiten war den Opernleitern oder den Behörden die Zurschaustellung dieser Dinge recht, weshalb „Die Hugenotten“ oft unter anderem Titel, mit geänderten Namen und Kostümen gegeben wurden.

Der szenische Aufwand, die spektakulären Massenaktionen und das historische Kostüm sind heute, wie gelegentliche Reprisen dieser und anderer Meyerbeeropern nach 1945 erwiesen, kaum noch erträglich. Hingegen zeigt sich im Konzertsaal, von äußerem Beiwerk befreit, wer Meyerbeer war und was er konnte. Meyerbeers Schwächen — die zugleich auch seine Stärke waren, wurden von Schumann, Wagner und, in späteren Jahren, auch von Heine genügend getadelt und verspottet. Als Musiker erweist Meyerbeer seine Qualitäten in der formalen Klarheit und Übersichtlichkeit, in der meisterlichen Gestaltung geschlossener Nummern, großartiger Arien, Ensembles und Massenszenen, in der kunstvollen Begleitung der Singstimme durch einzelne, zuweilen konzertierende Soloinstrumente, in der Bereicherung des Orchesters durch Baßklarinetten, Saxophone und Ophikleiden, vor allem aber in der magistralen Führung der Singstimmen. („Nur von großen Sängern lernt man sangbar schreiben“, sagte er einmal.) Bemerkenswert — und in seiner Zeit nur mit Berlioz vergleichbar — ist die Kunst seiner Instrumentierung, wodurch weder Chor noch Solostimmen zugedeckt werden. — Die Verwendung von Bühnenorchestem zeigt, daß er sich auch mit dem Klang-Raum-Problem auseinandergesetzt hat.

Freilich, um Meyerbeer werkgerecht aufzuführen, bedarf es einer ganzen’ Phalanx größer Stimmen, wie sie.bei der konzertanten Aufführung durch Chor und Orchester des Österreichischen Rundfunks und die Wiener Singakademie unter der Leitung Emst Märzendorfers im Großen Konzerthaussaal zur Verfügung standen. Von den 15 Solisten seien wenigstens die ersten sieben genannt, die, aus aller Herren Länder kommend, die ungewöhnlich anspruchsvollen Partien vollendet meisterten. Wir nennen sie in der Reihenfolge ihrer an diesem Abend dargebotenen Leistungen: Nicolai Gedda als Raoul, stimmgewaltig und intensiv; Rita Shane, die in der Riesenpartie der Margarete von Valois die halsbrecherischen Koloraturen makellos bewältigte; ferner Enri- queta Tarres als Valentine, die erst im 4. Akt richtig zum Einsatz ihrer edlen, schön timbrierten Stimme kam; Jeanette Scovotti als Page, Dimiter Petkow — Graf Saint Bris und Justino Diaz als dessen Diener Marcel.

Trotz dreistündiger Dauer ließ die Spannung kaum nach, nicht zuletzt dank der gewaltigen Steigerung im 4. Akt, mit welchem Gustav Mahler die Oper zu beenden pflegte. In der konzertanten Fassung hätte er wohl das Finale gelten lassen. Mit den 16 Bläsern auf der Orgelempore und dem auf der Galerie postierten „Kirchenchor" der Hugenotten ist es sehr effektvoll. Dr. Marcel Prawy kommentierte die in französischer Sprache erfolgte Aufführung in seiner bekannt ansprechenden Art. Beifallsstürme nach einzelnen Arien und am Schluß, wie nur selten in der Oper. Sie wird am 28. Februar vom österreichischen Rundfunk, Sender I. ausgestrahlt.

• Einer heftigen Kritik wurden im französischen Parlament die Zustände an der Pariser Opéra comique unterzogen. Der zuständige Ressortminister Bettencourt mußte, in der Kulturdebatte zugeben, daß zum Beispiel Sängerinnen für 80 Vorstellungen verpflichtet wurden, aber maximal nur an zehn Abenden auf- traten. Bettencourt bestätigte die dringende Reformbedürftigkeit der Pariser Oper.

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