Mit Verdis „Rigoletto“ bleibt die Wiener Volksoper unter ihren Möglichkeiten – szenisch wie musikalisch. Eine Enttäuschung.
Die Zeit für Opernführer scheint bald vorbei. Warum soll man sich für eine Aufführung vorbereiten, wenn man dann partout anderes sieht, als in einem solchen Nachschlagewerk geschildert wird? Wie am Wochenende in der Volksoper. Zwar stand eine Neuproduktion von „Rigoletto“ auf dem Programm, gewohnte Bilder, aber auch eine originelle neue Sicht vermisste man allerdings. Neu war nur das Ambiente. Regisseur Stephen Langridge verlegte die Handlung vom Mantua des 16. Jahrhunderts in die Gegenwart, ließ sich von Ausstatter Richard Hudson (er zeichnet auch für die Kostüme verantwortlich) ein Filmstudio entwerfen, später einen Gemeindebau aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, für das Schlussbild ein ebenso aus dieser Zeit stammendes Wohnhaus mit Bar im Erdgeschoß, davor einen musealen Wohnwagen. Ein ideales Ambiente für Langridges Schlusspointe: den nach einer erfolgreichen Eroberung aus dem ersten Stockwerk schauenden, selbstzufrieden eine Beruhigungszigarette rauchenden Duca.
Ihn zeichnet Langridge als Filmstar. Rigoletto, nicht mit dem üblichen Buckel, dafür mit einer Beinschiene, schließlich war er an Polio (!) erkrankt, wird zu seinem Garderobier. Entsprechend bürgerlich auch die übrigen Protagonisten. Nur so nämlich, lässt der Regisseur im Programmheft wissen, lasse sich die spezifische Botschaft des Stücks heute vermitteln. Und hier müsse man bei dem ansetzen, was Giuseppe Verdi ursprünglich vorhatte: Er wollte das Stück bekanntlich „La maledizione“ („Der Fluch“) nennen.
Was sich zumindest interessant liest, wird allerdings nicht eingelöst. Die Figuren, selbst Rigoletto, werden kaum gezeichnet, die Personenführung wirkt über weite Strecken dem Zufall überlassen. Übrig bleibt, dass sich wieder einmal ein Regisseur an einem Stück versucht hat, an das er offensichtlich nicht glaubt und das er vermeint, mit sogenannter Aktualisierung retten zu müssen. Im Haus am Währinger Gürtel hätte man hier gewappnet sein müssen. Schon Langridges „Otello“ – auch der hat bekanntlich Verdi zum Komponisten – im Vorjahr bei den Salzburger Festspielen war alles andere als schlüssig, geschweige denn ein Erfolg.
Neuer Chefdirigent dringend nötig
Aber auch musikalisch fehlte es an der notwendigen Fortune. Was nützt der achtbare Lebenslauf eines Dirigenten, wenn er sich dann auf die entsprechende Partitur nur mäßig versteht? Der in Parma bei Daniele Gatti ausgebildete, seit 1999 in Pesaro auch Dirigieren lehrende Manlio Benzi wusste dem durchschnittlich aufspielenden Orchester hauptsächlich laute Töne zu entlocken, garnierte dies zuweilen mit sich in sentimentaler Langsamkeit erschöpfenden Tempi. Selbst die Choristen (Einstudierung: Michael Tomaschek) hatten es in dieser Aufführung – gesungen wird in Deutsch, einzig „La donna è mobile“, eine so unnötige wie billige Pointe, in Italienisch – nicht leicht, sich über die kraftvollen Orchestertöne zu erheben.
Oliver Kooks Duca fehlte es an Höhe und Glanz. Jacek Strauch, der damit ein spätes Volksoperndebüt beging, demonstrierte als Rigoletto gestische Unentschlossenheit, machte seine Verzweiflung kaum je glaubhaft und ließ nie Zweifel, dass diese Partie seine stimmlichen Mittel längst übersteigt. Jennifer O’Laughlins Gilda war vor allem durch zahlreiche schrille Spitzentöne immer wieder gefährdet. Marek Gasztecki fehlte es für den Sparafucile an markanter Tiefe, zudem vermisste man die nötige diabolische Verschlagenheit.
Die Liste, darunter Peter Wimberger als kaum mehr als routinierter Monterone, Josef Luftensteiner als hörbar angestrengter Marullo, Sulie Girardi als zuweilen distonierende Giovanna oder Zoryana Kushpler als unterschiedlich klar artikulierende Maddalena, ließe sich unschwer fortsetzen.
Die Lehren aus einer solchen Produktion liegen auf der Hand: Die Wiener Volksoper sollte sich schleunigst nach einem Chefdirigenten oder wenigstens nach mehreren ständigen Hausdirigenten, die mit dem Orchester kontinuierlich arbeiten, umsehen und künftig bei der Sängerbesetzung mit mehr Sensibilität umgehen. Dann sollte, nein muss diese „Rigoletto“-Produktion ein negativer Ausreißer bleiben.
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